Inkontinenzprophylaxe: Definition
Umgangssprachlich wird oft von Inkontinenzprophylaxe gesprochen, allerdings ist das nicht ganz korrekt. Expertin Angelika Sonnenberg erklärt wieso:
Prophylaxe umfasst Maßnahmen, die einer Erkrankung vorbeugen sollen. Inkontinenz ist ein Symptom und keine eigenständige Erkrankung. Aus diesem Grund gibt es genau genommen keine Inkontinenzprophylaxe. Im Fachkreis wird stattdessen von Kontinenzförderung gesprochen.

Maßnahmen der sogenannten Inkontinenzprophylaxe beziehungsweise Kontinenzförderung verfolgen das Ziel, Kontinenz zu erhalten, zu fördern, oder Inkontinenzbeschwerden zu kompensieren.
Durch gezielte Unterstützung, wie Übungen und/oder Hilfsmitteln, sollen bestehende Probleme mit der Harn- oder Darmentleerung verbessert werden.
Es geht vor allem darum, die Lebensqualität von Menschen mit Inkontinenzbeschwerden zu verbessern und deren Selbstständigkeit zu bewahren.
Gehen Sie Ihre Beschwerden an
Eine Inkontinenz ist nichts, wofür Sie sich schämen müssen. Schätzungsweise zehn Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer Form von Inkontinenz. Mehr als die Hälfte spricht allerdings nicht darüber – auch nicht mit ihrem Arzt.
Doch gerade das Arztgespräch ist wichtig, damit die genaue Ursache geklärt und gezielte Therapiemaßnahmen eingeleitet werden können. Eine Inkontinenz ist behandelbar, kann kompensiert werden und auch geheilt werden.(1)
Erst zum Arzt, dann alles Weitere
Es ist wichtig, dass Sie die Ursache für Ihre Inkontinenzbeschwerden kennen. Sie sparen Zeit und Gedanken, wenn Sie diese Suche einem Arzt überlassen.
Erste Anlaufstelle kann immer Ihre Hausarztpraxis sein. Bei Bedarf werden Sie von hier aus zusätzlich an einen oder mehrere Fachärzte überwiesen.
Es ist wichtig, dass verschiedene Fachpersonen an der Kontinenzförderung beteiligt sind. Fachärzte wie Urologen, Gynäkologen oder Neurologen können vom Hausarzt hinzugezogen werden. Auch speziell ausgebildete Physiotherapeuten können beispielsweise im Rahmen eines Beckenbodentrainings einbezogen werden. Dieses kann vom Arzt verordnet werden, sodass die Krankenkassen die Kosten anteilig oder vollständig hierfür übernehmen.

Stellt Ihr Arzt fest, dass sich hinter Ihren Inkontinenz-Beschwerden eine Grunderkrankung verbirgt, ist deren Behandlung oberstes Therapieziel. Auch weitere eventuelle Begleiterkrankungen werden im Behandlungsplan berücksichtigt.
Manche Medikamente können ebenfalls eine Inkontinenz bedingen oder verstärken.(2)
Mögliche Beispiele hierfür sind Entwässerungstabletten, Abführmittel, Beruhigungs- und Schlafmittel, spezielle Blutdrucksenker oder Antidepressiva. Aus diesem Grund kann es durchaus sinnvoll sein, die Medikation anzupassen.
Expertenstandard Kontinenzförderung in der Pflege
Der Expertenstandard Kontinenzförderung in der Pflege ist ein schriftlicher Beitrag von Personen aus der professionellen Pflege und Pflegewissenschaften, der Empfehlungen zur gezielten Kontinenzförderung umfasst.(3)
Die Empfehlungen richten sich in erster Linie an Pflegefachkräfte, die erwachsene Menschen begleiten, pflegen oder beraten,
- die pflegebedürftig sind.
- die ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Harn- und/oder Stuhlinkontinenz haben.
- bei denen eine Harn- und/oder Stuhlinkontinenz bereits vorliegt.
Auch für Betroffene und (pflegende) Angehörige liefert der Expertenstandard wertvolles Praxiswissen. Sie können aktiv zur Kontinenzförderung beitragen.
Wichtig hierbei ist, dass die betroffene Person stets im Mittelpunkt steht und ihre Wünsche und Bedürfnisse respektiert werden. Sofern die betroffene Person damit einverstanden ist, können Angehörige einbezogen werden.
Inkontinenzprophylaxe: Allgemeine Maßnahmen im Überblick
Die meisten Maßnahmen der allgemeinen Inkontinenzprophylaxe betreffen den Lebensstil und können im häuslichen Pflegealltag integriert werden.
Der Expertenstandard empfiehlt hier verschiedene Maßnahmen:(3)
- Selbstständigkeit fördern
- Individuell geeignete Hilfsmittel einsetzen
- Ernährungsweise und Flüssigkeitszufuhr anpassen
- Körperliche Aktivitäten ausüben
- Beckenbodenmuskulatur trainieren
- Haut sorgfältig reinigen, pflegen und schützen
Selbstständigkeit bei Inkontinenz fördern
Es ist wichtig, alles daran zu setzen, dass die betroffene Person ihre Selbstständigkeit beibehält oder in ihrer Selbstständigkeit gefördert wird. Selbstständigkeit bezieht sich hier auf eigenständige Toilettengänge bei Tag und Nacht.
Gegebenenfalls sind hierfür kleinere Wohnraumanpassungen erforderlich, um die Sicherheit zu erhöhen und die Orientierung zu verbessern.(3)
Wenn die allgemeine Selbstständigkeit einer Person im Alltag beeinträchtigt ist und sie auf die Unterstützung von anderen Menschen angewiesen ist, hat sie möglichen Anspruch auf einen Pflegegrad. Mit diesem stehen der betroffenen Person verschiedene Leistungen der Pflegeversicherung zu, die den Pflegealltag erleichtern sollen.
Individuell geeignete Hilfsmittel bei Inkontinenz einsetzen
Eine Wohnraumanpassung kann, aber muss nicht immer der große Badumbau sein. Indem Sie beispielsweise bestimmte Hilfsmittel einsetzen, können Sie erste Anpassungen auch im kleineren Rahmen vornehmen.
Es gibt unter anderem Hilfsmittel, die die Sicherheit im Badezimmer erhöhen können. Dazu gehören beispielsweise Halte- und Stützgriffe, Toilettensitzerhöhungen oder verschiedene Sitzmöglichkeiten für die Dusche (wie Duschstühle oder Duschhocker) und Badewanne (wie Badewannensitze).
Ernährungsweise und Flüssigkeitszufuhr bei Inkontinenz anpassen
Eventuell kann eine Anpassung der Ernährung und Flüssigkeitszufuhr sinnvoll sein. Ob und inwiefern, hängt von individuellen Faktoren ab.(3)
Die empfohlene Trinkmenge richtet sich immer nach individuellen Faktoren, liegt aber in der Regel bei 1,5 bis 2 Litern pro Tag. Am besten fragen Sie Ihren behandelnden Arzt, welche Ernährung und Trinkmenge er Ihnen empfehlen kann. Gegebenenfalls kann eine zusätzliche Ernährungsberatung sinnvoll sein.

Körperliche Aktivitäten bei Inkontinenz ausüben
Regelmäßige körperliche Aktivität ist bei Menschen mit einer Inkontinenz gleich aus mehreren Gründen wichtig, denn Bewegung kann
All das kann sich positiv auf die Funktionsfähigkeit von Blase und Darm auswirken.
Doch nicht alle Sportarten sind für jeden Menschen in gleichem Maße geeignet oder möglich. Aus dem Grund hängt die Wahl einer geeigneten Sportart immer von den individuellen Gegebenheiten ab.(3)
Für ältere Menschen sind beispielsweise eher spezielle Formen des sogenannten Seniorensports geeignet.
Bei bewegungseingeschränkten oder bettlägerigen Personen eignen sich eher spezielle Techniken der sogenannten Mobilisation und Kinästhetik, wo es vor allem darum geht, die eigene Bewegung im möglichen Rahmen zu aktivieren und zu fördern.
Beckenbodentraining bei Harn- und Stuhlinkontinenz
Ein regelmäßiges Beckenbodentraining kann wichtige Muskeln stärken, die die Kontinenz verbessern können. Es ist wichtig, dass die Übungen professionell angeleitet und bei Bedarf begleitet werden – beispielsweise von speziell ausgebildeten Physiotherapeuten.
Speziell ausgebildete Physiotherapeuten in Ihrer Nähe finden Sie unter anderem unter der Therapeutenliste AG GGUP (Arbeitsgemeinschaft Gynäkologie Geburtshilfe Urologie Proktologie).

Kostenlose Beckenbodenübungen für zuhause
pflege.de hat für Sie einfache Übungen für ein Beckenbodentraining zusammengestellt. Besprechen Sie vorab bitte mit Ihrem behandelnden Arzt, ob Sie diese Übungen bedenkenlos zuhause ausführen können. Sie können sich die Übungen kostenlos herunterladen, ausdrucken und mit zum nächsten Arztbesuch nehmen.
Biofeedback und Elektrostimulation bei Inkontinenz
Ergänzend zum Beckenbodentraining können zwei spezielle Techniken zur Stärkung der Beckenbodenmuskulatur sinnvoll sein: Biofeedback und Elektrostimulation. Hierbei handelt es sich um technologiegestützte Trainingsmethoden, die je nach Einzelfall in Betracht gezogen werden können.
Die Biofeedback-Methode kommt eher bei jüngeren, mobilen und kognitiv nicht beeinträchtigten Personen in Frage. Hierbei trainieren Sie Ihre Beckenbodenmuskeln selbst. Mit speziellen Geräten, die Sensoren haben, können Sie über einen Bildschirm (beispielsweise über eine App) in Echtzeit sehen, ob Sie Ihre Muskeln richtig anspannen. Das Ziel ist hierbei ist, die Kontrolle über die Muskeln zu verbessern.
Die Elektrostimulation wird eher bei älteren, weniger mobilen sowie kognitiv beeinträchtigten Personen eingesetzt. Hierbei übernimmt ein Gerät das Training für Sie. Es sendet kleine elektrische Impulse an Ihren Beckenboden, die die Muskeln stimulieren. Sie müssen hier somit nichts weiter tun, die Muskeln arbeiten durch die Impulse des Geräts von alleine.
In beiden Fällen ist es wichtig, dass die Methode für die betroffene Person geeignet und auch in ihrem Sinne ist. Darüber hinaus sollten die Methoden professionell angeleitet und bei Bedarf auch begleitet werden.(3)
Haut bei Inkontinenz gründlich reinigen, pflegen und schützen
Durch wiederholten oder längeren Kontakt mit Urin und/oder Stuhl kann die Haut geschädigt werden. Wenn sich die Haut rund um den Intimbereich und/oder das Gesäß aufgrund dessen entzündet, spricht die Medizin von einer Inkontinenz-assoziierten Dermatitis, kurz IAD.
Derartige Entzündungen sind für Betroffene meist unangenehm und erfordern zusätzliche pflegerische Maßnahmen.
Umso besser, wenn es gar nicht erst so weit kommt. Achten Sie daher auf eine gründliche, aber sanfte Intimhygiene und individuell abgestimmte Hautpflege.(3)
Sofern Sie oder die pflegebedürftige Person Inkontinenzmaterial tragen, achten Sie darauf, dass Urin und Stuhl zeitnah entfernt werden. Behalten Sie die Haut im Blick und wechseln Sie regelmäßig die Position.
Harninkontinenz-Prophylaxe: Spezielle Maßnahmen im Überblick
Der Expertenstandard empfiehlt neben den allgemeinen Maßnahmen zur Inkontinenzprophylaxe spezielle Maßnahmen, mit denen Sie einer Harninkontinenz vorbeugen können.
pflege.de gibt Ihnen einen Überblick über die wichtigsten Empfehlungen:(3)
- Menschen mit einer überaktiven Blase sollten koffeinhaltige Getränke auf ein Minimum reduzieren, da diese den Harndrang verstärken können.
- Menschen mit Harninkontinenz-Beschwerden und starkem Übergewicht oder Adipositas sollten ihr Körpergewicht reduzieren, da Übergewicht zusätzlichen Druck auf die Blase und den Beckenboden ausübt.
- Ein sogenanntes Blasentraining kann sinnvoll sein, um die zeitlichen Abstände zwischen den einzelnen Blasenentleerungen schrittweise zu erhöhen. Im Fokus stehen hierbei Bewältigungsstrategien des Harndrangs.
- Neben dem Blasentraining gibt es noch das Toilettentraining, bei dem ein Entleerungsrhythmus mit festen Entleerungszeiten erzielt werden soll.
Zwei Beispiele für sogenannte Bewältigungsstrategien des Harndrangs:
- Nehmen Sie Ihre empfohlene Trinkmenge zwischen 8 und 18 Uhr zu sich, um häufiges nächtliches Wasserlassen zu verhindern.
- Lenken Sie sich beim ersten Harndrang ab. Zitieren Sie beispielsweise ein Gedicht oder eine Telefonnummer und verlängern Sie so die Zeit bis zum Toilettengang, um Ihre Harnblase zu trainieren.

Miktions- und Trinkprotokoll im Rahmen der Kontinenzförderung
In einem sogenannten Miktions- und Trinkprotokoll halten Sie jede zugeführte Flüssigkeit sowie relevante Informationen zur Blasenentleerung (Miktion) über einen Zeitraum von mindestens drei bis 14 Tagen schriftlich fest.
Diese Notizen unterstützen Sie beim Blasen- und Toilettentraining und geben Ihnen sowie Ihrem Arzt einen guten Überblick. Nutzen Sie hierfür gerne die kostenlose Vorlage von pflege.de.
Stuhlinkontinenz-Prophylaxe: Spezielle Maßnahmen im Überblick
Der Expertenstandard empfiehlt neben den allgemeinen Maßnahmen zur Inkontinenzprophylaxe spezielle Maßnahmen, mit denen Sie einer Stuhlinkontinenz vorbeugen können.
pflege.de gibt Ihnen einen Überblick über die wichtigsten Empfehlungen:(3)
- Gesunder Stuhl ist möglichst weich. Dauerhaft harter oder flüssiger Stuhl ist nicht gesund und sollte untersucht werden. Je nach Stuhlkonsistenz kann dann eine Anpassung der Ernährung und Flüssigkeitszufuhr sinnvoll sein.
- Ein sogenanntes Darmentleerungstraining soll die Stuhlgewohnheiten verbessern.
- Medikamentöse Eingriffe in die Darmtätigkeit sind möglich, müssen aber im Einzelfall abgewogen werden. Beispielsweise gibt es spezielle Medikamente und Darmspülungen, die die Darmbewegungen für eine bestimmte Zeit eindämmen oder Medikamente, die die geplante Darmentleerung unterstützen sollen.
Wann ist eine Inkontinenzprophylaxe sinnvoll?
Es gibt verschiedene Situationen, in denen Maßnahmen der Inkontinenzprophylaxe beziehungsweise Kontinenzförderung besonders sinnvoll sind.
Grundsätzlich immer dann, wenn ein erhöhtes Risiko für eine Harninkontinenz oder Stuhlinkontinenz besteht.
Beispiele hierfür sind:
- Schwangerschaft und Entbindung
- Menopause bei Frauen
- Höheres Lebensalter
- Übergewicht
- Pflegebedürftigkeit
- Kognitive oder körperliche Beeinträchtigungen sowie Erkrankungen wie zum Beispiel: Diabetes mellitus, Multiple Sklerose, Morbus Parkinson, Schlaganfall, Bandscheibenvorfall
Mehr zu den Ursachen und Risikofaktoren für Inkontinenz lesen Sie in unserem Inkontinenz-Ratgeber.
Wenn bei Ihnen oder Ihrem Angehörigen eine Inkontinenz vorliegt, sprechen Sie bitte darüber und wenden Sie sich an einen Arzt. Je mehr wir über das Thema Inkontinenz sprechen, desto mehr Menschen ist damit geholfen.

Häufig gestellte Fragen
Was ist Inkontinenzprophylaxe?
Maßnahmen der sogenannten Inkontinenzprophylaxe sollen einen ungewollten Urinverlust (Harninkontinenz) und/oder Verlust von Darminhalten (Stuhlinkontinenz) verhindern. Genau genommen umfasst der Begriff Prophylaxe unterschiedliche Maßnahmen, die einer Erkrankung vorbeugen sollen. Da Inkontinenz ein Symptom und keine eigenständige Erkrankung ist, ist der Begriff Kontinenzförderung mehr geeignet.
Was bedeutet Kontinenzförderung?
Maßnahmen der Kontinenzförderung konzentrieren sich darauf, bestehende Probleme mit der Harn- oder Darmentleerung durch gezielte Unterstützung, wie Übungen und/oder Hilfsmittel, zu kompensieren oder zu verbessern.
Was ist der Expertenstandard Kontinenzförderung in der Pflege?
Der Expertenstandard Kontinenzförderung in der Pflege ist ein schriftlicher Beitrag von Fachexperten aus der professionellen Pflege und Pflegewissenschaft, der Empfehlungen, Einschätzungen und Maßnahmen zur gezielten Kontinenzförderung umfasst.
Wie kann man einer Inkontinenz vorbeugen?
Die meisten Maßnahmen der sogenannten Inkontinenzprophylaxe betreffen den Lebensstil und können im häuslichen (Pflege-)Alltag integriert werden. Der Expertenstandard „Kontinenzförderung in der Pflege“ empfiehlt hier folgende allgemeine Maßnahmen: Selbstständigkeit fördern, individuell geeignete Hilfsmittel einsetzen, Ernährungsweise und Flüssigkeitszufuhr anpassen, körperliche Aktivitäten ausüben, Beckenbodenmuskulatur trainieren und die Haut sorgfältig reinigen, pflegen sowie schützen.