Neben organisatorischen Aufgaben wie der Korrespondenz mit der Pflegekasse, dem barrierefreien Umbau der Wohnung und der Organisation von Pflegehilfsmitteln kommen auf pflegende Angehörige häufiger auch pflegerische Tätigkeiten zu. Plötzlich müssen Sie sich mit ganz konkreten Themen beschäftigen: Von A wie Anziehen bis Z wie Zahnpflege. Hier hilft Ihnen vor allem eines: konkretes und praxisnahes Pflegewissen, das Sie unterstützt und Ihre eigene Gesundheit schützt. pflege.de lässt Sie nicht im Stich und gibt Ihnen für jedes Kapitel des Pflegealltags praktische Tipps und Anleitungen an die Hand.
Praxiswissen für die Pflege: von Körperpflege, Lagerung und Sturzvermeidung
Viele Ehepartner, Kinder oder Enkelkinder holen sich bei einem akuten Pflegefall in der Familie zunächst Hilfe bei Pflegekräften und Ärzten. Dennoch möchten sich viele nach der notwendigen Erstversorgung langfristig selbst um ihre Angehörigen kümmern und das in den meisten Fällen in der Häuslichkeit. Millionen pflegende Angehörige kümmern sich in Deutschland und auf der ganzen Welt tagtäglich um ihre bedürftigen Angehörigen und ermöglichen die persönliche ambulante Pflege zuhause statt die Betroffenen in einer stationären Einrichtung versorgen zu lassen. Dazu bedarf es in vielen Fällen umfassendes Pflegewissen.
Dazu gibt es ein bekanntes Beispiel aus der Praxis: Im November 2007 überraschte der Politiker Franz Müntefering seine Wähler und seine Parteigenossen: Er gab seinen Ministerposten auf und auch den Job als Vizekanzler. Seine Frau war an Krebs erkrankt und Franz Müntefering löste das Versprechen ein, das sich das Ehepaar gegenseitig gegeben hatte: „Wenn einer von uns ein Pflegefall werden sollte, kümmert sich der andere um ihn, wenn irgend möglich zu Hause.“
Das Beispiel zeigt, dass in vielen Fällen die Angehörige die Pflege ihres Familienmitglieds übernehmen, wenn es pflegebedürftig wird und auf die Unterstützung anderer angewiesen ist. Den meisten davon geht es so wie Ihnen vielleicht auch: Sie übernehmen eine Fülle von pflegerischen Aufgaben, ohne dafür professionell ausgebildet zu sein – und nicht selten steht man nach einem plötzlichen Pflegefall von heute auf morgen vor dieser verantwortungsvollen Aufgabe.
Info
Anspruch auf eine individuelle Pflegeberatung
Jeder Pflegebedürftige beziehungsweise seine Angehörigen haben nach § 7a des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) grundsätzlich einen Rechtanspruch auf eine individuelle Pflegeberatung.(1) In dem Rahmen werden im ersten Schritt unterschiedliche Unterstützungsmöglichkeiten wie etwa Entlastungsangebote, Sozialleistungen und Hilfsangebote für den Pflegebedürftigen sowie seine pflegenden Angehörigen vorgestellt. Es wird der individuelle Fall der pflegebedürftigen Person betrachtet und die Beratung auf ihn und seine Bedürfnisse zugeschnitten. Dazu wird ein individueller Versorgungsplan im Sinne eines sogenannten Fallmanagements erarbeitet.
Pflegeaufgaben:
Der Pflegealltag umfasst viele verschiedene Bereiche und Tätigkeiten. Zu den Aufgaben, denen sich Pflegende stellen, gehören in der Regel folgende:
Aneignen von Wissen über unterschiedliche Krankheiten und Spezialwissen in Sachen Hygienemaßnahmen
Durchführen von Prophylaxen zum Beispiel bei Dekubitus, Mundpilz (Mundsoor), Kontrakturen oder Intertrigo (Wundsein, Hautwolf)
Beherrschen von körperlich anstrengenden pflegerischen Maßnahmen wie Hebe- und Lagerungstechniken unter anderem bei Dekubitus
Verrichten von intimen Tätigkeiten wie Körperpflege,Intimpflege und Mundpflege
Ausüben anspruchsvoller Aufgaben wie etwa zu den Themen Mobilitätsförderung oder Sturzvermeidung
Umgang mit der Bettlägerigkeit eines Pflegebedürftigen
Organisieren der Medikamentengabe und das dazugehörige Verabreichen auf verschiedenste Arten
Auseinandersetzen mit der hygienischen und korrekten Handhabung unterschiedlicher Medizinprodukte (zum Beispiel Katheterpflege, PEG-Ernährungssonden bei enteraler Ernährung oder Stoma-Versorgung)
Bonus
Hygiene in der Pflege – 29 praktische Tipps & Tricks für pflegende Angehörige.
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Tipp
Nehmen Sie an kostenlosen Pflegekursen teil
Als pflegender Angehöriger haben Sie das Recht, an Pflegekursen teilzunehmen. Dort erhalten Sie Grundkenntnisse zu Pflegethemen wie etwa der Umgang mit dem Pflegebedürftigen oder Pflegetechniken und – das ist besonders hilfreich – Sie lernen andere pflegende Angehörige kennen. Der Austausch untereinander kann Ihnen mehr Sicherheit und Rückhalt in Ihrer besonderen Situation bieten. Pflegekurse werden bei den Krankenkassen, aber auch an den Volkshochschulen und von vielen weiteren Trägern angeboten.
Der Besuch eines Pflegekurses kostet zwar ein paar Stunden Zeit – aber die sollten Sie sich unbedingt nehmen. Damit Ihr Angehöriger während dieser Zeit nicht alleine bleiben muss, können Sie die Verhinderungspflege in Anspruch nehmen. Darauf haben Versicherte ab Pflegegrad 2 Anspruch und Sie können für ein paar Stunden aus dem Haus und wissen Ihren Angehörigen dennoch gut versorgt.
Pflege: Wissen, was hilft
Wenn Sie sich noch einmal die Aufgaben anschauen, die Ihnen bei der Pflege eines Angehörigen begegnen können, so werden Sie schnell entdecken, wie dringend Sie konkretes Pflegewissen benötigen:
Bei Hebe- und Lagerungstechniken gibt es technische Hilfen (zum Beispiel Hebehilfen und Aufstehhilfen), die Sie kennen sollten. Darüber hinaus schonen Techniken wie beispielsweise die Kinästhetik Ihre Kräfte und machen Transfers für beide Seiten leichter und angenehmer.
Für eine gute Körperpflege sind nicht nur Wasser und Seife wichtig, sondern die Wahl der richtigen Utensilien, der konkrete Ablauf sowie praktische Hilfsmittel für das Badezimmer und die Toilette.
Mobilisation und Sturzprophylaxeverlangt Wissen und Techniken (zum Beispiel Kinästhetik), die Ihren eigenen Körper schonen, damit Sie selbst gesund bleiben.
Eine gute Hygiene bedeutet nicht unbedingt, dass Sie nun antibakterielle Reinigungsmittel in rauen Mengen verbrauchen müssen. Die wichtigste Hygiene ist immer noch die Händehygiene.
Eine gute Mundpflege verhindert Entzündungen, die den Pflegebedürftigen gefährden können.
Der Umgang mit Bettlägerigkeit erfordert spezielles Wissen, zum Beispiel über die Umgebungsgestaltung oder erforderliche Aktivierungsmaßnahmen.
Die Verabreichung von Medikamenten ist oft sehr anspruchsvoll – und Sie sind es auch, die auf Neben- und Wechselwirkungen achten müssen.
Eine richtige und ausführliche Krankenbeobachtung ist wichtig, damit keine Erkrankungen oder gar Schmerzen beim Pflegebedürftigen übersehen werden.
Info
Beratungseinsatz nach § 37.3 SGB XI
Pflegegeldempfänger, die keine professionelle Unterstützung bei der Pflege in Anspruch nehmen, müssen in regelmäßigen Abständen die häusliche Pflege überprüfen lassen. Dies geschieht im Rahmen des Beratungseinsatzes nach § 37.3 SGB XI.(2) Der Vorteil: Professionelle Pflegeexperten geben Betroffenen individuelle Tipps zur Pflegepraxis.
Oft vernachlässigt: Selbstpflege für pflegende Angehörige
Wenn es Sie, den pflegenden Angehörigen, nicht gäbe, dann wäre der beliebte Ansatz der Politik „ambulant vor stationär“ gar nicht umsetzbar. Sie – und all die anderen pflegenden Angehörigen – sind das Rückgrat der Pflege, die in Deutschland tagtäglich geleistet werden muss. Umso wichtiger ist es, dass Sie auch auf sich selbst achten. Dass die Selbstpflege und der Ausgleich zur Pflege (im ambulanten wie stationären Bereich) häufig vernachlässigt werden, zeigen die zahlreichen Beispiele für Gewalt in der Pflege.
Viele pflegende Angehörige leiden oft mehr unter der alltäglichen Pflegearbeit als sie glauben. Der kleine pflege.de-Selbsttest kann Ihnen zeigen, ob Sie selbst gefährdet und überlastet sind. Lesen Sie einmal die folgenden Fragen – wie viele Fragen müssen Sie mit „Ja“ beantworten?
Haben Sie oft Rückenschmerzen?
Haben Sie Knieschmerzen?
Haben Sie Herz-Kreislauf-Beschwerden?
Sind Sie oft gereizt oder fühlen sich überfordert?
Leiden Sie unter depressiven Störungen?
Haben Sie oft Magenbeschwerden?
Schlafen Sie schlechter als früher?
Sie haben mehrere Fragen mit „Ja“ beantwortet? Hand aufs Herz: Das ist zu viel und ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Pflege Ihres Angehörigen eine Belastung für Sie ist. Tatsächlich überschätzen viele pflegende Angehörige ihre Belastbarkeit, auch wenn sie sich gerne um ihre Angehörigen kümmern. Im täglichen Stress, um eine gute Pflege und Betreuung zu gewährleisten, vernachlässigen sie nicht nur ihre eigenen Bedürfnisse, sondern oft auch ihre Gesundheit. Auch Franz Müntefering aus dem obigen Beispiel sagte – nach dem Tod seiner Frau – in einem Interview: „Sich aufzuopfern hilft nicht, man muss selbst überleben können.“
Tipp
Nehmen Sie sich auch mal eine Auszeit
Um sich selbst zu entlasten und neue Energie zu tanken, sollten Sie sich als pflegender Angehöriger regelmäßig eine Auszeit nehmen. Damit Ihr pflegebedürftiges Familienmitglied weiterhin versorgt wird, können Sie eine stundenweise Betreuung durch die Verhinderungspflege in Anspruch nehmen. Falls Sie Ihren Angehörigen nicht alleine lassen möchten, gibt es auch spezielle Pflegehotels, in denen Sie gemeinsam Urlaub machen können. Nutzen Sie Ihre Rechte und die Leistungen, die auch Ihnen als Pflegebedürftiger zustehen.
Informieren Sie sich dazu in unseren Ratgebern zu den Themen:
Heide Niesalla leitet seit 2017 das HARTMANN SCIENCE CENTER (HSC), das wissenschaftliche Kompetenzzentrum für Desinfektion und Infektionsprävention von HARTMANN. Die promovierte Biologin hat zuvor mehrere Jahre im Life Science-Bereich gearbeitet. Aus eigener Erfahrung kann sie sich sehr gut in die Lage pflegender Angehöriger versetzen und weiß, wie wichtig eine gute Aufklärung und Wissensvermittlung in diesem Bereich ist.
Seit Beginn der Coronavirus-Pandemie hat sich die Aufmerksamkeit auf den Infektionsschutz erhöht. Auch wenn die Infektionszahlen im Moment (August 2021) niedrig sind, bleibt die Gefahr einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 oder einem anderen Virus, das Atemwegserkrankungen auslöst, bestehen. Für pflegende Angehörige hat der Infektionsschutz schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Denn es gibt auch viele andere Aspekte, die einen guten Schutz vor Infektionen in der häuslichen Pflege unabdingbar machen. pflege.de hat zu diesem Thema Dr. Heide Niesalla befragt. Sie ist promovierte Biologin und leitet seit 2017 das HARTMANN SCIENCE CENTER.
pflege.de: Für wie wichtig erachten Sie den Schutz vor Infektionen gerade für Risikogruppen wie ältere oder pflegebedürftige Menschen im Allgemeinen und losgelöst von der derzeitigen Pandemie?
Dr. Heide Niesalla: Immens wichtig. Ältere und pflegebedürftige Menschen sind generell eine besondere Risikogruppe aus Sicht des Infektionsschutzes. Wichtig zu unterscheiden sind hier verschiedene Arten von Infektionen: Es gibt auf der einen Seite ansteckende Infektionskrankheiten, wie Influenza und COVID-19, und auf der anderen Seite Infektionen, die durch die Pflegesituation an sich bedingt sind. Ein Beispiel ist die Infektion einer Wunde nach einer Operation. Dies kann als eine mögliche Komplikation nach dem Eingriff auftreten, wenn Bakterien von außen in die Wunde gelangen. Es kann aber auch Pflegebedürftige mit chronischen Wunden betreffen, sowohl im Krankenhaus als auch zuhause. Treten solche Infektionen im Krankenhaus auf, spricht man von sogenannten nosokomialen Infektionen. Für ansteckende Infektionskrankheiten sind ältere und pflegebedürftige Menschen oftmals – aber nicht bei jeder Krankheit – Risikogruppen für schwerere Verläufe. Dies ist zum Beispiel bei COVID-19 der Fall. Deshalb sollten diese Risikogruppen beim Auftreten bestimmter Krankheiten besonders vor einer Ansteckung geschützt werden. Wie ein sinnvoller Schutz aussehen kann, hängt davon ab, wie der jeweilige Krankheitserreger übertragen wird. Bei Erkrankungen der Atemwege, wie COVID-19 aber auch Influenza oder Erkältungskrankheiten, werden die Erreger primär durch Tröpfcheninfektion und Aerosole übertragen. Deshalb sind Atemschutzmasken und Abstandhalten neben der Händehygiene als präventive Maßnahmen im Rahmen der COVID-19-Pandemie unbedingt notwendig. Außerhalb von Pandemiezeiten kann es bei einer Erkrankung des Pflegenden ebenfalls geraten sein, Masken zu tragen.
Es gibt andere Krankheiten wie Durchfallerkrankungen, zum Beispiel verursacht durch das Norovirus oder auch andere Viren, die hauptsächlich durch Kontakt- oder Schmierinfektion übertragen werden. Hier ist eine sehr effektive Präventionsmaßnahme die Desinfektion der Hände und der möglicherweise kontaminierten und häufig berührten Oberflächen, zum Beispiel Toilettensitze. Erkrankte sollten den Kontakt zu Gesunden möglichst reduzieren, um diese nicht anzustecken beziehungsweise sollten im Umgang miteinander unbedingt entsprechende Schutzmaßnahmen (Tragen einer FFP2-Maske und Händedesinfektion) einhalten.
Andersherum kann es natürlich vorkommen, dass die pflegebedürftige Person an einer ansteckenden Krankheit wie Influenza oder einer Noroviren-Infektion leidet. Ist dies der Fall, kann sich die pflegende Person durch entsprechende Schutzmaßnahmen (wie FFP2-Maske, oder das Tragen anderer persönlicher Schutzausrüstung wie Einmalhandschuhe, Kittel und Schutzbrille sowie Händedesinfektion) selbst vor einer Ansteckung schützen.
pflege.de: Die Inzidenzzahlen sind so niedrig wie schon lange nicht mehr. Die Leute atmen auf und fühlen sich wieder freier. Wie schätzen Sie die Situation ein? Könnte dadurch die Gefahr wieder erhöht werden, zuhause einen pflegebedürftigen Angehörigen anzustecken? Werden die Leute wieder leichtsinniger?
Dr. Heide Niesalla: Niedrige Inzidenzzahlen sind erfreulich und erleichternd, aber wir sehen ja bereits wieder einen Anstieg und leider auch weiterhin Ausbrüche in Pflegeeinrichtungen. Zudem besteht kein 100%-iger Impfschutz. Daher sollte man gerade im Umgang mit Risikogruppen weiterhin vorsichtig sein.
Dass die Inzidenzen noch relativ gering sind, verdanken wir zum einen den Impfungen, zum anderen aber auch den allgemeinen Infektionsschutzmaßnahmen (Maskentragen, Einhalten der Hygieneregeln, Abstandhalten, Lüften). Wir befinden uns zurzeit in einer sehr dynamischen Situation, in der zwar schon viele Menschen eine Impfung erhalten haben, aber noch lange nicht jeder einen ausreichenden Schutz hat. Außerdem kann das Auftreten neuer Virusvarianten dazu führen, dass der Impfschutz abgeschwächt wird. Man sieht am Beispiel der Niederlande, dass eine vorzeitige Lockerung aller Maßnahmen bei unzureichendem Impfschutz der Bevölkerung sehr schnell zu einem rapiden Anstieg der Fallzahlen führen kann. Gerade bei der Pflege Angehöriger, die zu einer Risikogruppe zählen, sollte man sich daher nach wie vor an die Infektionsschutzmaßnahmen halten.
pflege.de: Viele Menschen fühlen sich mit einer FFP2-Maske eingeengt beim Atmen. Wäre eine normale Maske für zuhause ausreichend?
Dr. Heide Niesalla: Prinzipiell reicht ein medizinischer Mund-Nasen-Schutz (MNS). Wenn der Schutz nochmals erhöht werden soll, sind FFP2-Masken zu nutzen. Sie haben eine andere Passform und auch eine andere Materialzusammensetzung. Dies ist speziell relevant bei der aerogener Übertragung (Luftübertragung) von Erregern.
Zusätzlich schützt sich der Träger einer FFP2-Maske selbst vor einer Ansteckung. Wenn sich Träger von FFP2-Masken eingeengt fühlen, sollten Modelle verschiedener Hersteller ausprobiert werden. Diese unterscheiden sich zum Teil sehr in ihrem Tragekomfort. Wichtig ist, auf eine richtige Nutzung der FFP2-Maske zu achten: Diese sollte nicht nur den Mund-, sondern auch den Nasenbereich abdecken und diesen ganzen Bereich möglichst eng umschließen. Und bitte vermeiden Sie es so gut es geht, generell die Masken nach dem Aufsetzen großflächig anzufassen. Wenn Sie die Maske anfassen, dann möglichst nur an den Gummibändern oder am Nasenbügel.
pflege.de: Infektionsschutz war ja schon immer wichtig, bereits vor der Corona-Pandemie. Auf was sollten pflegende Angehörige besonders im Pflegealltag achten?
Dr. Heide Niesalla: Im Umgang mit älteren und pflegebedürftigen Menschen hat Hygiene einen besonderen Stellenwert. Wir sollten den Infektionsschutz dabei immer gesamtheitlich betrachten. Die richtige Händehygiene ist dabei eine wesentliche Maßnahme, um Infektionen zu vermeiden. Grundsätzlich sollten die Hände in diesen bestimmten Situationen desinfiziert werden:
bevor mit der Pflege begonnen wird,
vor aseptischen Tätigkeiten, das heißt Tätigkeiten, die die vorherige Beseitigung aller Krankheitserreger erfordern, wie zum Beispiel vor dem Wechsel eines Wundverbands,
nach möglicher Verunreinigung der Hände, zum Beispiel mit Ausscheidungen, Blut oder anderen Körpersekreten,
nach der Nutzung von Handschuhen,
und nach Beendigung der Pflege.
Auch das Desinfizieren von Flächen in der unmittelbaren Umgebung eines Pflegebedürftigen kann sinnvoll sein, wenn die Flächen zum Beispiel verunreinigt wurden und zudem noch häufig berührt werden. Weiter sollte der Umgang mit benötigten Materialien wie Verbänden, Wundauflagen und so weiter unbedingt hygienisch erfolgen.
Aktuell im Zusammenhang mit der COVID-19 Pandemie kommt hinzu, dass jetzt ausreichend Impfstoff verfügbar ist. Eine Impfung kann schwere Krankheitsverläufe verhindern und alle Beteiligten in der Pflegesituation schützen. Daher sollte auch eine Impfung in Betracht gezogen werden.
Wenn man den Infektionsschutz von verschiedenen Richtungen aktiv angeht, kann ein hoher Schutz erreicht werden.
Dr. Heide Niesalla
pflege.de: Abgesehen von SARS-CoV-2 gibt es zahlreiche andere Erreger, die einem alten Menschen zu schaffen machen könnten. Welche Bakterien oder Keime sind für ältere Menschen oder Pflegebedürftige noch gefährlich?
Dr. Heide Niesalla: Es gibt Erreger, die bei allen Menschen Infektionskrankheiten hervorrufen, diese nennt man obligat pathogen, dazu gehört SARS-CoV-2, aber zum Beispiel auch das Masern- oder das Norovirus. Je nach Immunstatus und anderen Vorerkrankungen, kann es sein, dass diese Infektionen bei Pflegebedürftigen schwerer verlaufen.
Dann gibt es fakultativ pathogene Erreger, die häufig zur normalen Flora des Körpers gehören. Das heißt, sie sind auf der Haut oder im Darm aller Menschen zu finden. Sie machen erst einmal nicht krank, sondern sind zum Teil sogar lebensnotwendig. Wie schon beschrieben, können sie dennoch Infektionen hervorrufen, wenn sie in „die falschen“ Bereiche des Körpers gelangen. Wenn diese Erreger zum Beispiel in die Blutbahn gelangen, kann es zu einer Sepsis, also einer Blutstrominfektion kommen. Gelangen die Bakterien der Haut in eine Wunde, kann sich die Wunde entzünden und wenn zum Beispiel Bakterien aus dem Darm in die Harnwege gelangen, kann daraus eine Harnwegsentzündung entstehen.
Um das zu verhindern, ist die Händehygiene und generell die Hygiene in der Pflege so wichtig.
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pflege.de: Gibt es Zahlen, die belegen, wie Krankheiten verhindert werden können, wenn auf die Hygiene richtig geachtet wird? Haben Sie Erfahrungswerte in dieser Richtung?
Dr. Heide Niesalla: Dies ist ganz individuell, je nach Erreger und angewendeter Schutzmaßnahme. Für den Krankenhausbereich wurde ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Auftreten von nosokomialen Infektionen, das heißt Infektionen, die während eines Aufenthalts im Krankenhaus auftreten, und der Händehygiene gezeigt. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass eine Verbesserung des Händehygiene-Verhaltens, das heißt die Händedesinfektion der Mitarbeiter in den entsprechenden Situationen, die Rate an nosokomialen Infektionen verringert. Insbesondere Händedesinfektion ist also essenziell beim Infektionsschutz, das gilt auch für die Pflege zuhause.
Die Pflegeexpertin, Journalistin und Autorin Martina Rosenberg erreichte mit ihrem SPIEGEL-Bestseller „Mutter, wann stirbst du endlich?“ eine hohe mediale Aufmerksamkeit. In Medienauftritten, Lesungen und Vorträgen vertritt sie die Interessen von pflegenden Angehörigen. Sie selbst pflegte jahrelang ihre Eltern und weiß, wie herausfordernd das Vereinbaren von Familie, Beruf und Pflege ist.
Ihre früheren Tätigkeiten als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Pressesprecherin in Sozialverbänden geben ihr einen tiefen Einblick in die ambulante und stationäre Versorgung in der Altenpflege.
Seit September 2020 unterstützt Martina Rosenberg die Plattform pflege.de mit ihrer Expertise. Im Interview spricht sie über ihre Ziele, die Schwierigkeit pauschaler Pflege-Versprechen und was sie dazu motivierte, den Bestseller „Mutter, wann stirbst du endlich?“ zu schreiben.
Martina, wir freuen uns sehr, dass Du von nun an pflege.de als Pflegeexpertin unterstützt. Wie bist du eigentlich zum Thema Pflege gekommen?
Mein Leben ist recht bunt verlaufen. Bevor ich als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei verschiedenen Sozialverbänden tätig wurde, lebte ich 12 Jahre in Griechenland und hatte dort eine Agentur für Sportanimateure. Aber das ist lange her. Als meine Tochter zur Welt kam, bin ich mit meiner kleinen Familie in das Haus meiner Eltern südlich von München gezogen und wir lebten wieder fest in Deutschland.
Ein paar Jahre später wurden meine Eltern beide sehr schwer pflegebedürftig. Neben meinem berufsbegleitenden Studium zur Journalistin entwickelte ich mich auch noch zur Expertin für Pflegethemen. Aber nicht nur privat begleitete mich das Thema – ich war auch viele Jahre Pressesprecherin und Leiterin der Unternehmenskommunikation für einen Träger von Pflegeheimen und Pflegediensten.
Du warst also auch eine pflegende Angehörige?
Ja, plötzlich und unverhofft – wie so viele andere vor und nach mir – war ich pflegende Angehörige. Wir sind völlig unvorbereitet in die Situation geschlittert. Meine Mutter litt an vaskulärer Demenz und mein Vater hatte parallel dazu einen Schlaganfall. Ihr Leben wurde immer beschwerlicher und sie brauchten kontinuierlich mehr Betreuung und Zuspruch. Das war für uns eigentlich nicht mehr zu bewältigen: Mein Mann und ich waren beide berufstätig und unsere 6-jährige Tochter benötigte zu dem Zeitpunkt sehr viel Unterstützung in der Schule.
Und das hat dich dann motiviert, Bücher zu schreiben wie den SPIEGEL-Bestseller „Mutter, wann stirbst du endlich?“ Was genau war dein Ziel?
Für mich war es unerträglich, all die Jahre zu beobachten, wie von der Politik und auch von der Gesellschaft die Pflege zuhause schöngeredet wurde. Bei uns zuhause war es alles andere als schön. Gleichzeitig wurde für Pflegende und ihre Familien keine Unterstützung angeboten. Wir haben uns mit unseren Problemen völlig alleingelassen gefühlt. Meine Mutter hatte Zeiten, da schrie sie nachts um Hilfe. Mein Vater, der an einer schweren Augenerkrankung litt, fiel immer mehr in das dunkle Loch einer Depression.
Nachdem beide Eltern verstorben waren, wollte ich andere mit meinem Buch zu diesem Thema wachrütteln. Ich wollte darstellen, wie es ist, wenn man vorher keine Absprachen getroffen hat, wenn man sich nie zu dem Thema Pflege ausgetauscht hat und wie es den pflegenden Angehörigen dabei geht. Dass dieses Buch so eine unglaubliche Aufmerksamkeit bekommen hat, zeigte mir, wie viele Menschen sich in derselben Situation befanden und wie sehr es von der Politik und der Gesellschaft versäumt wurde, dieser Personengruppe mehr Beachtung zu schenken.
Was sind Deine wichtigsten Erfahrungen, die Du damals als pflegende Angehörige gemacht hast? Was würdest du anderen Menschen mit auf den Weg geben, die gerade in eine Pflegesituation kommen?
In all den Jahren der Pflege meiner Eltern, in denen ich bestrebt war, alles richtig zu machen, habe ich mich immer gefragt, wie das nur so schieflaufen konnte. Wo war der Fehler? Heute kann ich rückblickend sagen, es war falsch, dass wir uns als Familie nicht vorbereitet haben.
Ich halte es für unglaublich wichtig, dass sich Familien darüber austauschen, wie sie die Pflege im Ernstfall organisieren – und zwar am besten schon bevor jemand pflegebedürftig wird.
Martina Rosenberg – Pflegeexpertin
Wurde das versäumt, sollte man das spätestens dann nachholen, wenn die Pflegesituation eingetroffen ist. Dann müssen alle an einen Tisch, um darüber zu sprechen, wer welche Aufgaben erledigen wird.
Es ist immer noch in vielen ländlichen Regionen üblich, dass stillschweigend davon ausgegangen wird, die Töchter würden die Pflege übernehmen. Dabei wird hartnäckig ignoriert, dass ihnen längst nicht mehr die Zeit zur Verfügung steht, wie das vielleicht noch vor 30 Jahren der Fall war.
Ein anderer wichtiger Punkt ist, dass meine Eltern schon viele Jahre, bevor sie pflegebedürftig wurden, uns stets gesagt haben, sie wollen nie ein Heim. Sie haben sich das gegenseitig sogar fest versprochen. Aber leider ohne uns nach unserer Meinung zu fragen. Das hat uns enorm unter Druck gesetzt. Meine Mutter war so stark dement in den letzten Jahren, dass es kaum mehr möglich war, sie zuhause zu betreuen. In einem Pflegeheim hätte sie, meiner Meinung nach, besser betreut werden können.
In den letzten Jahren habe ich Töchter kennengelernt, die ihren Eltern gegenüber dasselbe Versprechen abgegeben haben – Pflege zuhause um jeden Preis. Dabei haben sie sich und ihre Gesundheit ruiniert. Ich würde jedem dringend davon abraten, so ein pauschales Versprechen abzugeben. Man weiß nie, wie sich die Situation entwickelt und ob ein Platz im Pflegeheim dann die bessere Lösung für alle Beteiligten ist.
Wie siehst du die Situation von pflegenden Angehörigen heute?
Es hat sich in den letzten Jahren viel getan, das muss ich wirklich zugeben. Betroffene Familien können sich überall beraten lassen und auch im Internet finden sie viele Hilfen. Allerdings müssen sie davon wissen und diese Hilfen tatsächlich beanspruchen. Es gibt immer mehr Tagespflegeeinrichtungen und Demenzkranke werden bei der Pflegegrad-Begutachtung viel mehr berücksichtigt. Die Politik hat also mittlerweile erkannt, dass das System ohne pflegende Angehörige zusammenbrechen würde. Aber dennoch: Es geht alles viel zu langsam.
Ich habe in den letzten Jahren so viele ergreifende Geschichten von pflegenden Angehörigen gehört, die sehr verzweifelt waren. Auch wenn es scheinbar gute Lösungen in der Theorie gibt, können sie nicht in die Tat umgesetzt werden. Da gibt es z. B. keinen Platz in der Tagespflege. Plätze für Kurzzeitpflege sind nicht verfügbar. Viele Pflegebedürftige müssen, je nach Pflegekasse, immer noch um jeden Cent kämpfen und bekommen nicht oder nur schwer das, was ihnen zusteht. Pflegeheime haben keine Kapazitäten, weil sie kein Fachpersonal finden. Die Liste lässt sich noch weiter fortsetzen.
Am Ende bleibt Pflege dann meist doch Familiensache – mit wenig finanzieller Unterstützung und wenig Anerkennung. Ich finde, hier müsste viel mehr getan werden.
Martina Rosenberg – Pflegeexpertin
Was oder wer liegt dir besonders am Herzen?
Ganz klar, die Töchter. Die Töchter, von denen stillschweigend erwartet wird, dass sie sich um ihre Eltern kümmern. Sie sind viel zu oft diejenigen, die sich verantwortlich fühlen, die den Druck der Gesellschaft am meisten spüren und sich ihm beugen. Findet der Sohn einen Platz im Pflegeheim für Mutter oder Vater, ist die Nachbarschaft einverstanden. Tut das die Tochter für ihre Eltern, erkundigen sich die Nachbarn, ob denn die Pflege zuhause tatsächlich nicht mehr möglich gewesen sei. So ist es noch in vielen Regionen in Deutschland. Und deswegen werde ich nicht müde zu sagen:
Die Pflege ist nicht nur die Aufgabe der Töchter! Alle müssen hier ran.
Martina Rosenberg – Pflegeexpertin
Nun unterstützt Du pflege.de – Deutschlands führende Plattform für das Leben im Alter. Warum hast Du Dich dafür entschieden und was sind Deine Ziele?
Über diese Möglichkeit freue ich mich wirklich sehr. Ich erhoffe mir, mit pflege.de viele pflegende Angehörige und auch Pflegebedürftige zu erreichen und sie mit meiner Erfahrung und die der vielen Menschen, die ich in den letzten Jahren getroffen habe, bei der Pflege zu unterstützen. Ich bin mittlerweile überzeugt davon, dass Pflege zuhause auch gelingen kann. Einfach ist diese Aufgabe sicher nicht, aber es sollte unser Ziel sein, die Familien dabei zu begleiten und die richtigen, hilfreichen Informationen an die Hand zu geben.
Vielen Dank für das nette Gespräch, Martina. Wir freuen uns, dich bei pflege.de willkommen zu heißen!