Chronische Mangelernährung betrifft mittlerweile fast jeden Zwölften der über 60-Jährigen in Deutschland und ist sowohl für stationäre als auch ambulante Pflegesituationen eine komplexe Herausforderung. Die Ursachen für Mangelernährung im Alter sind vielfältig und reichen von den normalen altersphysiologischen Veränderungen über das individuelle Ernährungsverhalten bis hin zu psychischen und krankheitsbedingten Auslösern wie etwa der Schluckstörung (Dysphagie).
Definition: Was ist Mangelernährung im Alter?
Eine Mangelernährung, auch Malnutrition genannt, liegt dann vor, wenn eine Person ihren Bedarf an Energie, Proteinen und anderen Nährstoffen über die Nahrung nicht ausreichend decken kann. Damit ist das Gleichgewicht zwischen Nährstoffzufuhr und Nährstoffbedarf gestört, was zum unkontrollierten Abbau von Körpersubstanz führt.
Eine Mangelernährung kann bei jeder Ernährungsform vorkommen
Eine Mangelernährung kann bei jeder Ernährungsform vorkommen: Unabhängig davon, ob Sie regelmäßig Fleisch essen, vollständig auf tierisches Fleisch verzichten (vegetarisch) oder allgemein keine tierischen Produkte wie Eier, Milch oder Käse verzehren (vegan).

Quantitative/ Qualitative Mangelernährung
Man unterscheidet dabei zwischen der quantitativen und qualitativen Mangelernährung:
- Quantitative Mangelernährung:
Viele ältere und hochbetagte Menschen leiden unter einer quantitativen Mangelernährung: Sie führen ihrem Körper über die Nahrung nicht mehr genügend Kalorien zu, wodurch es zu einer Unterversorgung mit wichtigen Nährstoffen, Gewichtsverlust, Schwäche und Infektionsanfälligkeit kommen kann. - Qualitative Mangelernährung:
Weitaus weniger sichtbar ist die qualitative Mangelernährung bei älteren Menschen: Werden wichtige Vitalstoffe wie Eiweiße, Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente in unzureichender Menge aufgenommen, lassen die Körperfunktionen auf kognitiv-geistiger, psychischer wie auch motorischer Ebene nach. Dabei stehen oftmals zu viele zuckerhaltige Lebensmittel, Weizenprodukte und Fleisch statt wertvoller Tier- und Pflanzeneiweiße, Vollkornbrot, Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse auf dem täglichen Speiseplan. Oder Senioren essen schlichtweg zu wenig. Die Folge: Ohne diese notwendigen „Lebensmittel“ baut der Körper ab, wird anfälliger für Infektionen und Krankheiten im Alter und das Immunsystem wird zunehmend geschwächt. Diese Form der Mangelernährung vollzieht sich oft schleichend – und wird von den Betroffenen, pflegenden Angehörigen und Pflegenden häufig nicht sofort wahrgenommen.
Teufelskreis der Mangelernährung – die Gefahr im Alter
Ist man erst einmal in den Teufelskreis der Mangelernährung geraten, ist es schwierig, wieder auszubrechen. Mangelernährung kann schwerwiegende Folgen haben, daher sollte man sich frühzeitig an einen Arzt wenden und gezielt Maßnahmen für eine Mangelernährungs-Therapie besprechen.
Grafik: Kreislauf der Mangelernährung
Aufklärungsbedarf bei Senioren: Energie- und Nährstoffbedarf im Alter
Gerade bei der Pflege alter und mehrfach erkrankter Menschen ist Mangelernährung eine zentrale Problematik, die Pflegende nur durch die konsequente Vermittlung von Ernährungswissen und unterstützende Maßnahmen bei der Ernährungsumstellung angehen können.
Hervorzuheben ist hier vor allem die Tatsache, dass der Energie- und Nährstoffbedarf im hohen Lebensalter entgegen der landläufigen Überzeugung nicht abnimmt, sondern gleichbleibt. Mit Blick auf die Vitalstoffe steigt der Bedarf sogar an: Wenig Fette und Kohlenhydrate, dafür eine mit Nährstoffen, Vitaminen und Eiweißen angereicherte Ernährung sind optimal für eine gesunde Versorgung im fortgeschrittenen Leben im Alter.
Mangelernährung: Ursachen von Mangelernährung im Alter
Warum sich alte Menschen häufig fehlernähren, hängt mit einer Vielzahl von Faktoren zusammen. So spielen neben den Begleiterscheinungen des hohen Alters der persönliche Lebenszusammenhang, bestehende Krankheiten und akute Operationen tragende Rollen. Die häufigsten Ursachen von Mangelernährung im Alter sind:
- Altersassoziierte Ernährungsbesonderheiten
Als häufige Ursache für Mangelernährung im Alter gelten altersassoziierte Ernährungsbesonderheiten. Dazu zählen:
- Verändertes Kau-, Geschmacks- und Geruchsempfinden
- Eingeschränkte Beweglichkeit und geringer Energieumsatz
- Nachlassen von Appetit und Durstgefühl
- Langes Sättigungsempfinden
- Persönlicher Lebenszusammenhang
Hinzu kommt der persönliche Lebenszusammenhang des älteren bzw. hochbetagten Menschen. Das Risiko für Mangelernährung ist besonders erhöht, wenn
- der Lebenspartner verstirbt und die Motivation bei der Auswahl und Zubereitung des Essens nachlässt. Einseitige oder unregelmäßige Nahrungsaufnahme sind die Folge,
- die infrastrukturelle Versorgung mit geeigneten Lebensmitteln durch Einkaufshilfen oder den Wohnort nicht gegeben ist,
- Depressionen und Einsamkeit zu Appetitlosigkeit führen,
- auf Grund von Armut oder niedriger Rente das Geld für hochwertige, frische Lebensmittel fehlt,
- neue Lebensumstände z. B. durch Pflegebedürftigkeit oder die Versorgung in einem Pflegeheim zu Ablehnung oder Scham bei der Nahrungsaufnahme führen oder
- kompetentes Ernährungswissen fehlt.
- Krankheitsbilder und Medikation
Auch bestimmte Krankheitsbilder und Medikation können das Ernährungsverhalten älterer Menschen nachhaltig stören. Ein besonderes Augenmerk gilt Senioren
- mit akuten Krankheiten wie z. B. Infektionen, Diabetes mellitus und Stoffwechselproblemen, Herz-Kreislauf- und anderen Organ-Erkrankungen, Tumorleiden und chronischen Schmerzen,
- nach Stürzen, Unfällen sowie bei eingeschränkter Mobilität,
- mit Demenz,
- mit funktionellen Störungen wie Sehbehinderung oder Schluckstörung (Dysphagie) oder
- mit umfangreicher Medikation und medikamentösen Nebenwirkungen wie Appetitverlust und Magen-Darm-Beschwerden.
- Nach Operationen
Größere Operationen gehen im hohen Alter mit verstärktem Stress und einem erhöhten Nährstoffbedarf einher. Nicht selten kommt es daher bei akut operierten Senioren im Krankenhaus zu einer Unterernährung oder Mangelernährung. Besonders gefährdet sind
- Senioren nach einer Magen- oder Darmresektion und
- Senioren, die auf der Intensivstation behandelt werden.
Mangelernährung: Symptome und Folgen von Mangelernährung
Alarmiert sein sollten Sie als Angehöriger vor allem dann, wenn Ihr Familienmitglied innerhalb kurzer Zeit ungewollt Gewicht verliert, die Nahrungsaufnahme offenkundig Schwierigkeiten bereitet oder der Appetit deutlich nachlässt. Besondere Achtsamkeit ist auch dann geboten, wenn es durch Darmleiden oder Erbrechen und Durchfall zu großen Nährstoffverlusten kommt.
Müdigkeit und Schwäche können weitere Anzeichen sein, aber auch akute Infektionsanfälligkeit und ernst zu nehmende Störungen der Organfunktionen sollten Sie mit Blick auf den Ernährungszustand medizinisch abklären lassen.
Mangelernährte Senioren haben nicht nur ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko, sie weisen auch einen allgemein schlechteren Gesundheitszustand auf: Ihre Muskelmasse baut ab und sie sind im Alltagsleben mit wachsenden Einschränkungen konfrontiert. Der Mangel an Proteinen und Mikronährstoffen schwächt außerdem das Immunsystem, verzögert die Wundheilung, die Reaktionsfähigkeit und erhöht das Risiko für Schwindel, Stürze und Brüche.
Mangelernährung-Prophylaxe und Früherkennung
Ein Fragenkatalog zur Überprüfung auf Mangelernährung (das sog. Screening oder MUST-Screening) ist ein hilfreiches Werkzeug für Angehörige und Pflegekräfte. Dabei werden die Ursachen für die Malnutrition und die speziell benötigten Nährstoffe festgestellt. Das Ergebnis lässt sich als Basis für ein maßgeschneidertes Ernährungsprogramm in der ambulanten oder stationären Versorgung verwenden.
Neben dem Body-Maß-Index (BMI) können Sie auch Fragebögen aus dem Internet sowie Online-Services zur Ernährungsberatung heranziehen.
Situationsansatz: Pflegesituation und Potenziale analysieren
Als pflegender Angehöriger möchten Sie Ihre älteren Angehörigen gerne bei einer gesundheitsfördernden, vitalstoffreichen Kost und einem gesunden Trinkverhalten unterstützen – doch gestaltet sich dies abhängig von der jeweiligen Pflegesituation manchmal gar nicht so leicht.
Es ist sinnvoll, im Kreis der Familie oder im Gespräch mit den Pflegekräften Ziele für die gesunde Ernährung festzulegen und therapeutische Ernährungsmaßnahmen einzuleiten. Natürlich müssen diese mit den Wünschen und akzeptierten Nahrungsmitteln des Patienten in Einklang gebracht werden. Liegen z. B. Schluckstörungen vor, kann allein durch die Umstellung der Zubereitungsart, durch Pürieren oder mundgerechte Stückchen schon ein Fortschritt erzielt werden.
Tipps für die Ernährung im Pflegealltag
- Lassen Sie die Ursache/n und Schwere der Mangelernährung medizinisch feststellen und sprechen Sie mit Ihrem Angehörigen über die Ernährungsproblematik. Ggf. ist eine Versorgung mit spezieller Trinknahrung notwendig.
- Beurteilen und optimieren Sie gemeinsam mit dem Betroffenen und möglichen Hilfspersonen die infrastrukturelle Versorgung mit Lebensmitteln, die Auswahl und Zubereitung des Essens und die Anforderungen an das Essen durch Unverträglichkeiten oder spezielle Ernährungsformen bei z. B. Diabetes, organischen Problemen, vegetarischer Ernährung, usw.
- Planen Sie die Speisen im Voraus und sorgen Sie für eine angenehme Essensatmosphäre – idealerweise in Gesellschaft.
- Beugen Sie Flüssigkeitsmangel durch ein vielfältiges Getränkeangebot und einen Tagestrinkplan vor. Empfehlenswert ist vor allem leicht basisches Wasser mit einem pH-Wert von 7,0 bis 7,1, das zudem frei von Aluminium und Schwermetalle ist.
- Legen Sie Gesundheitsziele fest wie z. B. Gewichtszunahme oder mehr Bewegung im Alltag, und ebenso, mit welchen konkreten Schritten diese am effektivsten erreicht werden.
- Bestellen Sie ggf. Essen auf Rädern (Menübringdienste), um die regelmäßige Versorgung mit Essen zu gewährleisten und damit ein festes Ritual im Alltag zu schaffen.
Mein Praxistipp für pflegende Angehörige:
Machen Sie sich die Mühe und behalten Sie das Gewicht Ihres Angehörigen intensiv und regelmäßig im Blick. Nur so können Sie gemeinsam mit dem Arzt eine Mangelernährung frühzeitig erkennen und effektiv behandeln. Ein ganz einfacher und praktischer Tipp dafür ist zum Beispiel, den Oberarmumfang Ihres Angehörigen regelmäßig zu messen. Wenn ein älterer Mensch an Nährstoffen verliert und Muskeln abbaut, ist das am Oberarm sehr schnell erkennbar. Diese Messung können Sie mit einem einfachen Maßband selbst bei bettlägerigen Personen vornehmen und Sie haben so stets den Gewichtszustand Ihres Angehörigen unter Kontrolle.

Ernährungstherapeutische Lösungen für spezielle Situationen
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Mangelernährung im Krankenhaus
Gerade dann, wenn alternde Menschen temporär oder dauerhaft nicht länger im eigenen Zuhause wohnen, kann es zu riskanten Ernährungszuständen kommen. Längere Klinikaufenthalte auf Grund von Operationen und Krankheitsverläufen führen häufig zu einer Mangelernährung im Krankenhaus. Weisen Sie im Gespräch mit dem klinischen Personal auf den besonderen Bedarf an speziellen Nährstoffen hin und bringen Sie im Notfall selbst Lebensmittel mit.
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Mangelernährung bei veganer oder vegetarischer Ernährung
Damit es bei veganer oder vegetarischer Ernährung nicht zu einer Mangelernährung im Alter kommt, ist es wichtig, auf die Zufuhr von Eisen, Eiweiß und Vitamin B12 zu achten. Bauen Sie entsprechend der Präferenz tierische Milchprodukte bzw. Hülsenfrüchte wie Hirse, Linsen, Bohnen oder Sojaprodukte in den Speiseplan ein – und setzen Sie im Zweifel auf ein Vitamin B12-Supplement. Dieses wirkt sich auch positiv bei Haarausfall oder brüchigen Fingernägeln aus.
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Mangelernährung bei Demenz
Bei Alzheimer oder vaskulärer Demenz erschweren kognitive Einschränkungen die Ernährung: Um einer Mangelernährung bei Demenz vorzubeugen, können vermehrt Omega-3-Fettsäuren in Form von Fisch, Nüssen und hochwertigen Pflanzenölen in der Ernährung berücksichtigt werden. Zusätzlich hat sich eine an Vitamin C und E reiche Kost bewährt.
Je nach Fortschritt der Demenzerkrankung können neben einem Nährstoffmangel auch Vergesslichkeit und Verwirrtheit dazu beitragen, dass die Patienten das Essen vergessen oder verweigern. In diesen Fällen ist es sinnvoll, die Nahrungsaufnahme als Angehöriger situationsabhängig zu begleiten, anzuleiten oder sogar zu überwachen.
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Bei Vitamin-D-Mangel
Bei fehlender Bewegung im Freien kommt es häufig zu einem ausgeprägten Vitamin-D-Mangel. Die körpereigene Fähigkeit, im Sonnenlicht Vitamin D zu bilden, nimmt mit höherem Lebensalter ab, so dass selbst die empfohlene Tageszufuhr von einer Viertelstunde bei vielen Senioren nicht genügt, um ausreichend Vitamin D zu bilden. Ein Vitamin-D-Präparat schafft neben ausgedehnten Spaziergängen hier Abhilfe – und beseitigt auch eine Ursache für häufige Gelenkschmerzen.
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Zusatznahrung bei Mangelernährung und Kachexie
Ist bereits eine starke Abmagerung (Kachexie) eingetreten oder die orale Nahrungsaufnahme problematisch, kann auch auf kalorienreiche Zusatznahrung zurückgegriffen werden. Proteinreiche und/oder hochkalorische Trinknahrung verbessert in Akutfällen von Krankheit und Schwäche die Erstversorgung mit Proteinen und Nährstoffen und verhindert so den Teufelskreis der Unterernährung.
Eine ärztlich verschriebene Ernährungstherapie mit Trinknahrung wird von den Krankenkassen bezahlt. Angehörige sollten beim Arztbesuch unbedingt abklären, ob eine vorübergehende oder kritisch krankhafte Mangelernährung vorliegt und im Zweifel die Zweitmeinung eines Spezialisten einholen.
Meine Empfehlung für einen gesunden Tages-Speiseplan im Alter:
2-3 Stücke frisches Obst
1-2 Portionen frischer Salat oder Gemüse
1 Scheibe Brot/Vollkornbrot
1 Milchprodukt wie z.B. Joghurt, Käse, Sahne oder Quark
1 Stück Fleisch, Fisch oder 1 Ei
1 warme Mahlzeit (z. B. in Form einer Suppe)
1,5 l Flüssigkeit
