Pflegefall - Was tun?
Inhaltsverzeichnis
Pflegeplanung: In der Ruhe liegt die Kraft
Ein Pflegefall innerhalb der Familie ist so gut wie immer mit einer Reihe an Fragen und wichtigen Entscheidungen verbunden. Je nachdem wie plötzlich und in welchem Ausmaß ein Mensch pflegebedürftig wird, müssen meist Angehörige mitentscheiden, wie es nun weitergehen soll. Dieser Prozess kann für beide Seiten sehr belastend und überfordernd sein: Pflegebedürftige Menschen möchten ihren Liebsten nicht „zur Last“ fallen. Sorgende Angehörige möchten für ihr pflegebedürftiges Familienmitglied nur das Beste und müssen sich dabei die Frage stellen, wie eine gute Versorgung funktionieren kann.
Atmen Sie erstmal tief durch und versuchen Sie lösungsorientiert vorzugehen. Hierbei ist eine Prioritätenliste hilfreich, um auch nichts Wichtiges zu vergessen. Und scheuen Sie sich nicht, von vorneherein Hilfe anzunehmen. Lösungsorientiert meint, dass Sie Ihren Blickwinkel darauf lenken, wie Sie das vorhandene Problem oder auch Schwierigkeiten zielgerichtet angehen können. Setzen Sie sich vorab als Familie an einen Tisch und klären Sie: Wer kann was übernehmen, wer möchte etwas übernehmen. Gibt es Freunde oder Nachbarn, die gerne mal zum Besuch vorbeikommen und dadurch als Betreuende in Frage kommen?
Es ist wichtig ein funktionierendes Hilfsnetzwerk aufzubauen, das die Pflegesituation trägt und auf alle Beteiligten individuell abgestimmt ist. Denn oftmals gehen Chancen verloren, da einfach nicht darüber gesprochen wurde.

So regeln Sie Ihren Pflegefall Schritt für Schritt
In diesem Ratgeber zeigen wir Ihnen die ersten wesentlichen Schritte, die Sie im Pflegefall gehen sollten. Darunter fallen folgende sechs Schritte:
- Schritt 1: Erfassen Sie den Pflegebedarf.
- Schritt 2: Klären Sie, welche Form der Versorgung für Ihre Situation am besten geeignet ist. Nutzen Sie dazu unbedingt eine Pflegeberatung. Sie haben einen rechtlichen Anspruch auf diese.
- Schritt 3: Beantragen Sie einen Pflegegrad.
- Schritt 4: Legen Sie fest, wer welche Aufgaben übernimmt.
- Schritt 5: Schaffen Sie die rechtlichen Voraussetzungen für die vollwertige Vertretung Ihres Familienangehörigen.
- Schritt 6: Stellen Sie die Finanzierung der Pflege sicher.
Sprechen Sie mit Ihrem Angehörigen über mögliche Wünsche und Eventualitäten: Wie möchten Sie versorgt werden? Was ist, wenn die Situation nicht mehr tragbar ist und ein Pflegeheim notwendig wäre? Ich höre immer wieder: „Hätte ich doch darüber geredet, als es noch ging.“

1. Schritt: Erfassen Sie den Pflegebedarf
Pflegefall – was nun? Zunächst sollten Sie feststellen, wie umfangreich der Pflegebedarf Ihres Angehörigen ist. Immerhin spielt es eine große Rolle für Ihre Organisation, ob ein Angehöriger mit Demenz eine 24-Stunden-Betreuung benötigt oder ob Ihre Eltern lediglich aus Altersgründen stundenweise Betreuung im Alltag brauchen. Auch für die psychische und physische Belastungssituation macht es einen Unterschied, ob Sie für den Pflegebedürftigen alles erledigen müssen oder ob er lediglich Hilfe beim morgendlichen Anziehen und bei der Haushaltsführung braucht.
Dokumentieren Sie die Pflegesituation
Oftmals halten pflegende Angehörige ihren täglichen Pflege- und Betreuungsaufwand in einem Pflegetagebuch fest. Das Pflegetagebuch ist eine hilfreiche Vorlage, mit der Sie die Pflegesituation Ihres Angehörigen dokumentieren. So lässt sich der Unterstützungsbedarf vor dem Gutachter leichter begründen. Auch im Falle eines Widerspruchs kann ein Pflegetagebuch eine große Argumentationshilfe sein.
Ermitteln Sie den voraussichtlichen Pflegegrad
Sobald Sie einen groben Überblick darüber haben, an welchen Stellen im Alltag Unterstützung durch Dritte erforderlich ist, können Sie voraussichtlichen Pflegebedarf mithilfe des kostenlosen Pflegegradrechners von pflege.de berechnen. Darin können Sie den Unterstützungsbedarf oder die noch vorhandene Selbstständigkeit Ihres Angehörigen angeben und erhalten so ein Ergebnis, ob Ihr Angehöriger bereits als pflegebedürftig gilt und wenn ja, welcher Pflegegrad ihm voraussichtlich zusteht.
2. Schritt: Wählen Sie die richtige Form der Pflege
Jetzt gilt es, sich mit einer essenziellen Frage zu beschäftigen: Wie soll Ihr Angehöriger versorgt werden? Können Sie Beruf, Familie & Pflege miteinander vereinbaren? Gehen Sie in sich und finden Sie heraus, ob die häusliche Pflege für Ihren Pflegebedürftigen eine gute Option ist und ob Sie sich die Pflege selbst zutrauen. Immerhin geht damit eine enorme körperliche und psychische Belastung einher. Zudem muss das Zuhause dafür geeignet sein, um diese Form der Pflege umzusetzen.
Wahrscheinlich sind Sie hin- und hergerissen, denn einerseits möchten Sie Ihren Angehörigen nicht im Stich lassen und ihn in ein Pflegeheim „abgeben“, andererseits sind Sie vielleicht auch noch nicht bereit zu akzeptieren, dass sich Ihr eigenes Leben mit der neuen Herausforderung verändern wird.
Ziehen Sie daher auch Optionen der stationären Pflege oder zumindest der professionellen Pflege in Betracht.
Informieren Sie sich über vielen Möglichkeiten der Altenpflege & Wohnformen im Alter und sprechen Sie offen miteinander über Ihre Gedanken und Wünsche sowie mögliche Sorgen und Ängste.
3. Schritt: Beantragen Sie einen Pflegegrad
Benötigt Ihr Angehöriger Unterstützung und lässt das Ergebnis des Pflegegradrechners von pflege.de auf eine Pflegebedürftigkeit schließen, so sollten Sie einen Pflegegrad beantragen. Stellen Sie den Antrag möglichst früh, damit Sie finanzielle Mittel für die Finanzierung der Pflege erhalten. Um einen Pflegegrad zu beantragen, müssen Sie sich an die Pflegekasse Ihres Angehörigen wenden. Diese ist der Krankenkasse angegliedert. Wenden Sie sich also einfach an Ihre üblichen Ansprechpartner.
Sie können den Antrag schriftlich und formlos, telefonisch oder per E-Mail stellen. pflege.de empfiehlt Ihnen aus Gründen der Nachweisbarkeit die schriftliche Antragstellung. Viele Pflegekassen halten hierfür gesonderte Formulare bereit, die Ihnen die Arbeit erleichtern. Diese Formulare können Sie sich meistens auch online auf der Internetseite der Krankenkasse herunterladen. Alternativ können Sie auch das kostenlose Pflegegrad-Antragsformular von pflege.de nutzen.
So geht es nach der Pflegegrad-Antragstellung weiter
- Eine Pflegebegutachtung findet statt: Die Pflegekasse wird einen Gutachter des Medizinischen Dienstes (geläufig unter dem Kürzel MDK, bei gesetzlich Versicherten) oder von Medicproof (bei privat Versicherten) vorbeischicken, der die Situation bei Ihrem Pflegebedürftigen vor Ort begutachtet. Er ist dafür zuständig, den Grad der Pflegebedürftigkeit festzustellen. Bei dem Begutachtungstermin sollte die tatsächliche Situation möglichst realitätsnah wiedergegeben werden. Eine gute Vorbereitung lohnt sich.
- Das Pflegegutachten wird geprüft: Der Gutachter leitet sein Pflegegutachten an die Pflegekasse weiter, die daraufhin eine Entscheidung trifft.
- Sie bekommen einen schriftlichen Bescheid: Den Bescheid über die Genehmigung oder Ablehnung eines Pflegegrads schickt die Pflegekasse schriftlich zu. Im Falle der Ablehnung können Sie binnen vier Wochen gegen die Entscheidung Widerspruch einlegen: Widerspruch bei Ablehnung eines Pflegegrads.
Prüfen Sie neben dem Pflegebedarf auch den möglichen Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis. Ein Schwerbehindertenausweis soll die gesundheitsbedingten Nachteile im Alltag ausgleichen. Einen Schwerbehindertenausweis erhält man zwar erst bei einem Grad der Behinderung (GdB) ab 50, aber schon ein GdB ab 20 führt zu einem Steuerfreibetrag und hier reicht bereits der Bescheid des Versorgungsamtes aus.

4. Schritt: Verteilen Sie die Aufgaben
Sobald Sie den Pflegebedarf kennen und auch wissen, wie Sie die Pflege grundsätzlich organisieren möchten, gilt es, die anstehenden Aufgaben zu verteilen. Auch, wenn es manchmal schwierig erscheint, um Hilfe zu bitten, sollten Sie die Aufgaben delegieren. Überlegen Sie sich, was Sie realistisch selbst schaffen, welches Pflegewissen Sie selbst bereits haben und beziehen Sie weitere Familienangehörige und Dienstleister in den Pflegealltag ein. Ein mögliches Szenario könnte sein:
- Morgens helfen Sie dem Pflegebedürftigen, sich anzuziehen und sich zu waschen.
- Dann wird er abgeholt und zur Tagespflege gebracht, während Sie zur Arbeit gehen.
- Am Nachmittag wird der Pflegebedürftige zurückgebracht. Sie unternehmen gemeinsam etwas, wickeln Arztbesuche oder Behördengänge ab.
- Während der Woche engagieren Sie einen Menü-Bringdienst, der sich um das Abendessen kümmert. Am Wochenende übernehmen Sie selbst den Kochdienst.
- Für die Hygienemaßnahmen in der Häuslichkeit sorgen Sie abends abwechselnd mit anderen Familienangehörigen.
- Sie engagieren eine Haushaltshilfe, die sich zweimal pro Woche um den Haushalt kümmert.
- Eine Betreuungskraft vertritt Sie, wenn Sie wichtige Termine haben.
5. Schritt: Regeln Sie die rechtliche Vertretung
Vielleicht sehen Sie sich mit der Situation konfrontiert, dass der Pflegebedürftige wichtige Entscheidungen nicht mehr selbst treffen kann. Dies stellt eine große Verantwortung für Sie dar, immerhin wollen Sie nur das Beste für ihn. Damit Sie dieser Herausforderung gerecht werden können, müssen die rechtlichen Voraussetzungen in Form von Vollmachten & Verfügungen stimmen. pflege.de zeigt Ihnen, worauf es im Ernstfall ankommt.
6. Schritt: Die Finanzierung für den plötzlichen Pflegefall sicherstellen
Ein Thema, das Ihnen momentan sicherlich mit am schwersten im Magen liegt, sind die Finanzen. Immerhin verursacht nicht nur die Pflege an sich hohe Kosten, sondern auch für den Lebensunterhalt des Pflegebedürftigen muss gesorgt werden. In vielen Familien kommt nun die Frage auf, welche finanzielle Pflegevorsorge für das Alter besteht und wer für den Pflegefall zahlt. Die wenigsten haben ein derart üppiges Einkommen, dass sie problemlos eine weitere Person mitfinanzieren können. Beschäftigen Sie sich deshalb möglichst zeitnah mit der Frage, wer was bezahlt.
Finanzielle Unterstützung von der Pflegekasse
Um die Pflegesituation zu erleichtern, stehen Ihnen beziehungsweise dem pflegebedürftigen Versicherten mit anerkanntem Pflegegrad verschiedene Leistungen der Pflegeversicherung zu. Den gesetzlichen Rahmen zum Leistungskatalog der Pflegeversicherung bildet das Elfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI).(1) Welche Leistungen im Einzelnen dazu gehören, lesen Sie in unserem großen Überblick-Ratgeber zu den Pflegeleistungen.
Finanzielle Unterstützung von der Krankenkasse
Nicht in allen Fällen wird ein Pflegegrad anerkannt. Dennoch stehen Menschen mit gesundheitsbedingten Einschränkungen verschiedene Leistungen ihrer Krankenkasse zu. Bei medizinischer Notwendigkeit übernimmt die Krankenkasse beispielsweise anteilig oder vollständig die Kosten für bestimmte Hilfsmittel sowie für den sogenannten Krankentransport. Grundlage für den Leistungsanspruch bei der zuständigen Krankenkasse bietet das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).(2)
Finanzielle Unterstützung von der Sozialhilfe
Reichen die Leistungen der Pflegekasse und das eigene Vermögen nicht aus, um die Kosten für den Pflegefall vollständig zu decken, kann die sogenannte Hilfe zur Pflege gemäß dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) beantragt werden.(3) Der Staat übernimmt dann unabhängig vom Pflegegrad alle Pflegekosten, die der Pflegebedürftige oder seine nahen Angehörigen nicht zahlen können.
Finanzielle Unterstützung von den Kindern
Werden die Eltern zum Pflegefall, sind Sie als Angehöriger für die Kosten mitverantwortlich. Dies gilt besonders dann, wenn das Vermögen der Eltern nicht ausreicht, um die Kosten für die Pflege zu decken. In diesem Fall besteht unter Umständen eine Unterhaltspflicht für den elterlichen Pflegefall, der sogenannte Elternunterhalt. Den gesetzlichen Rahmen für diese Regelung bildet § 1601 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB).(4)
Mein Kind ist pflegebedürftig – was nun?
Besonders belastend ist es, wenn das eigene Kind pflegebedürftig wird. Viele Eltern fühlen sich damit zunächst überfordert und es drängen sich unzählige Fragen auf. Auch hier hilft es, erst einmal durchzuatmen und in Ruhe den konkreten Pflegebedarf zu erfassen. Notieren Sie sich, an welchen Stellen im Alltag Ihr Kind besondere Unterstützung benötigt. Die Notizen können Sie beispielsweise in einem Pflegetagebuch festhalten und im Anschluss einen Antrag auf einen Pflegegrad an die Pflegekasse stellen.
Welche Besonderheiten es bei Pflegegraden im Kindesalter gibt, lesen Sie in unserem Ratgeber zu pflegebedürftigen Kindern. Wir raten Ihnen: Informieren Sie sich über die Pflegeleistungen, die Ihrem Kind zustehen und lassen Sie sich von einer Pflegeberatung mit spezieller Kinderexpertise unterstützen.