Pflegebegutachtung & Pflegegutachten

Pflegebegutachtung Pflegegutachten

Bei einer Pflegebegutachtung stellt ein Gutachter fest, ob und wie sehr eine Person auf Pflege und Betreuung angewiesen ist. Meistens werden Pflegegutachten von der Pflegekasse beauftragt, um herauszufinden, ob eine Person einen Pflegegrad bekommen sollte – und wenn ja, welchen.

pflege.de beschreibt Ihnen den Ablauf einer Pflegebegutachtung, erläutert die wichtigsten Fragen für das Pflegegutachten und gibt Tipps zur Vorbereitung auf den Termin.

Inhaltsverzeichnis

Pflegegutachten: Definition

Ein Pflegegutachten stellt fest, ob eine Person nach der Definition in Paragraf 14 Sozialgesetzbuch (SGB) XI pflegebedürftig ist. (1) Darüber hinaus untersucht das Gutachten, welchen Pflegegrad die Person nach Paragraf 15 SGB XI erhalten sollte. (2)

Das Gutachten ist oft ausschlaggebend für die Entscheidung der Pflegekasse über einen Pflegegrad. Allerdings liegt die Verantwortung dafür allein bei der Pflegekasse. Die Pflegekasse darf dabei selbst zusätzliche Informationen in ihre Entscheidung einbeziehen, zum Beispiel weitere Arztberichte.

Um ein Pflegegutachten zu erstellen, beauftragt die Pflegeversicherung einen Pflegegutachter, der die Person in ihrem häuslichen Umfeld besucht. Bei dieser Pflegebegutachtung muss der Gutachter sich einen Eindruck davon verschaffen, wie selbständig die Person im alltäglichen Leben ist.

Info
Wer sind die Pflegegutachter?

Pflegegutachter sind überwiegend Pflegefachkräfte mit Berufserfahrung, die eine aufwändige Weiterbildung für Pflegesachverständige abgeschlossen haben. Manchmal sind es auch Mediziner, die diese Weiterbildung absolvieren und dann als Gutachter in der Pflege arbeiten.

Wann wird ein Pflegegutachten erstellt?

Die Pflegekasse beauftragt ein Pflegegutachten, um darüber den gesetzlichen Leistungsanspruch einer Person festzustellen. Das ist immer dann relevant, wenn eine versicherte Person erstmals Pflegeleistungen beantragt oder höhere Leistungen durch einen höheren Pflegegrad beansprucht.

Pflegegutachten werden von der Pflegekasse beauftragt …

  • … wenn Versicherte einen Erstantrag auf Pflegeleistungen stellen.
  • … wenn Versicherte eine Erhöhung ihres Pflegegrads beantragen.
  • … wenn Versicherte Widerspruch gegen einen Pflegegrad-Bescheid einlegen (Wiederholungsgutachten).
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Pflegebegutachtung: Ablauf im Überblick

Ihre Pflegeversicherung beauftragt die Erstellung eines Pflegegutachtens. Wenn Sie gesetzlich pflegeversichert sind, geht der Auftrag an den Medizinischen Dienst (MD). Sind Sie privat pflegeversichert, übernimmt Medicproof oder ein ähnlicher Anbieter die Begutachtung.

Zum vereinbarten Termin kommt der Gutachter zu Ihnen nach Hause. Leben Sie bereits in einer stationären Pflegeeinrichtung, findet die Pflegebegutachtung dort statt. Der Pflegegutachter macht sich vor Ort ein Bild, stellt Fragen und gibt Empfehlungen.

Am Ende der Begutachtung steht noch kein endgültiges Ergebnis fest. Der Gutachter erstellt das Pflegegutachten erst danach auf Grundlage der gesammelten Dokumente, Eindrücke und Notizen. Das Gutachten wird dann zunächst nur an die Pflegeversicherung geschickt.

Die Pflegeversicherung verwendet das Gutachten und manchmal auch noch weitere Unterlagen, um einen Pflegegrad festzusetzen. Sobald dies geschehen ist, erhalten Sie einen Pflegegrad-Bescheid von Ihrer Pflegeversicherung. Dieser enthält in der Regel auch das Gutachten.

Info
Maximal 25 Tage vom Antrag bis zum Pflegegrad-Bescheid

Von Ihrem Antrag bis zu dem Tag, an dem Sie den Pflegegrad-Bescheid erhalten, dürfen maximal 25 Werktage (Mo-Fr) vergehen. Braucht die Pflegekasse länger, steht Ihnen eine pauschale Entschädigung von 70 Euro pro Woche zu. Ausnahmen: Wenn Sie bereits Pflegegrad 2 oder höher haben und sich in stationärer Pflege befinden oder wenn die Pflegekasse die Verzögerung nicht verschuldet. (3)

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Pflegebegutachtung im Krankenhaus

In besonderen Fällen muss die Pflegebegutachtung sehr schnell erfolgen, weil die weitere Versorgung einer Person maßgeblich vom Pflegegrad abhängt. Zum Beispiel, wenn eine Pflegeperson dafür eine Auszeit beim Arbeitgeber beantragen muss.

In diesen Fällen gelten verkürzte Fristen:

  • Wenn Sie sich in einem Krankenhaus oder einer Reha-Einrichtung befinden und Ihre Weiterversorgung unklar ist, muss die Begutachtung innerhalb von einer Woche erfolgen.
  • Wenn Sie sich in einem Hospiz oder in ambulanter Palliativpflege befinden, muss die Begutachtung innerhalb von einer Woche erfolgen.
  • Wenn Sie zuhause gepflegt werden und eine Pflegeperson gegenüber ihrem Arbeitgeber eine Pflegezeit nach dem Pflegezeitgesetz oder dem Familienpflegezeitgesetz angekündigt hat, muss die Begutachtung innerhalb von zwei Wochen erfolgen.

Auch hier gilt: Wenn die Begutachtung nicht innerhalb der Frist erfolgt, steht Ihnen eine pauschale Entschädigung von 70 Euro pro angefangene Woche zu. Ihre Ansprüche auf Pflegeleistungen gelten trotzdem ab dem Tag der Antragstellung und werden später rückwirkend geleistet.

Pflegebegutachtung per Telefon

Eine Pflegebegutachtung per Telefon ist aktuell nicht möglich. Die Möglichkeit bestand nur vorübergehend während der Corona-Pandemie, um pflegebedürftige Menschen vor einer möglichen Ansteckung zu schützen. Diese Regelung ist am 30.06.2022 ausgelaufen.

Fragenkatalog für die Pflegebegutachtung

Die Pflegebegutachtung folgt keinem konkreten Fragebogen, der streng durchgearbeitet werden muss. Allerdings muss der Pflegegutachter sich zu festgelegten Kriterien einen Eindruck verschaffen. Die Themen für das Pflegegutachten sind im „Neuen Begutachtungsassessment (NBA)“ festgelegt. (6)

Diese Themenfelder kommen zur Sprache:

  1. Mobilität
  2. Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
  3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
  4. Selbstversorgung
  5. Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen
  6. Gestaltung des Alltagslebens und soziale Kontakte

Es gibt noch zwei weitere Themenfelder: „Außerhäusliche Aktivitäten“ und „Haushaltsführung“. Diese haben allerdings keinen Einfluss auf Ihren Pflegegrad, sondern sollen dem Gutachter und der Pflegeversicherung helfen, individuelle Empfehlungen für Ihre Pflegesituation zu formulieren.

Jedes der Themenfelder gliedert sich in Unterpunkte, bei denen der Gutachter feststellen muss, ob die betroffene Person dazu selbständig in der Lage oder auf Hilfe angewiesen ist. Teilweise geht es auch darum, ob eine Fähigkeit generell noch vorhanden ist.

Tipp
Fragenkatalog im Pflegegradrechner durchgehen

Wenn Sie diese Unterpunkte oder Fragen einzeln durchgehen möchten, können Sie dafür den kostenfreien Pflegegradrechner von pflege.de nutzen. Dieser orientiert sich am Begutachtungsverfahren und gibt Ihnen eine Einschätzung davon, welcher Pflegegrad Ihnen zusteht.

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Pflegebegutachtung bei Kindern

Die Pflegebegutachtung bei Kindern ist ein Sonderfall, denn auch gesunde Kinder sind gerade in den ersten Jahren ebenso auf Pflege und Betreuung angewiesen. Es macht deshalb in vielen Bereichen keinen Sinn, die Fähigkeit und Selbständigkeit als normal anzusehen.

Deshalb werden Kinder unter 11 Jahren bei einer Pflegebegutachtung mit gleichaltrigen Kindern verglichen, um besondere Pflegebedürftigkeit erkennbar zu machen. Dafür gibt es besonders geschulte Pflegegutachter für Kinder. Bei Kindern ab 11 Jahren gelten die gleichen Maßstäbe wie bei Erwachsenen.

Für Kinder unter 18 Monaten gilt darüber hinaus, dass sie automatisch einen Pflegegrad höher erhalten als im Gutachten vorgesehen. Eine neue Begutachtung findet erst nach dem 18. Lebensmonat statt. (4)

Pflegebegutachtung bei Menschen mit Demenz

Auch die Pflegebegutachtung von an Demenz erkrankten Personen ist ein Sonderfall. Denn in vielen Fällen liegen kaum körperliche Einschränkungen vor und die ausschlaggebenden kognitiven Einschränkungen sind oft stark von der Tagesform abhängig.

Um für das Gutachten einen authentischen Eindruck zu bekommen, sind die Schilderungen von Personen aus dem nahen Umfeld besonders wichtig. Deshalb sollten wichtige Personen aus dem nahen Umfeld bei der Pflegebegutachtung anwesend sein, um ihre Erfahrungen schildern zu können.

Aber: Solange es sinnvoll möglich ist, wird ein Pflegegutachter sich mit seinen Fragen zunächst an die erkrankte Person richten. Es sollte aber auch Raum geben für eventuelle Richtigstellungen durch Angehörige oder Pflegende, falls die Antworten nicht den Alltag widerspiegeln.

Vorbereitung auf die Pflegebegutachtung

Zunächst bekommen Sie einen Terminvorschlag zugeschickt. Wenn Sie zu dem vorgeschlagenen Zeitpunkt aus wichtigen Gründen verhindert sind, sollten Sie so bald wie möglich einen Ersatztermin mit dem Gutachterdienst vereinbaren.

Steht der Termin fest, beginnt die Vorbereitung. Die Vorbereitung ist enorm wichtig, damit in dem kurzen Termin nichts vergessen wird und das Gutachten zum richtigen Ergebnis kommt.

Tipp 1: Mindestens eine Pflegeperson sollte anwesend sein

Neben der Person, für die das Gutachten erstellt wird, sollte mindestens eine Person anwesend sein, die bei der Pflege und Betreuung eine wichtige Rolle spielt. Denn Pflegepersonen wissen am besten, bei welchen Themen sie wie viel Unterstützung leisten müssen.

Außerdem verharmlosen Personen oft aus Eitelkeit oder Scham die eigenen Leiden und körperlichen Fähigkeiten. Eine Inkontinenz wird zum Beispiel schnell verschwiegen, obwohl sie Auswirkungen auf das Pflegegutachten haben kann. Pflegepersonen fällt es leichter, so etwas anzusprechen.

Je nachdem, wie die Pflege und Betreuung organisiert werden, sollten vielleicht auch weitere Personen anwesend sein. Stellen Sie auf jeden Fall sicher, dass alle wichtigen Personen an der Pflegebegutachtung teilnehmen können und möglichst nicht unter Zeitdruck stehen.

Tipp 2: Führen Sie ein Pflegetagebuch

Ein Pflegetagebuch hilft Ihnen, den tatsächlichen Pflegeaufwand zu dokumentieren. Denn frei aus dem Gedächtnis ist es oft schwer, sich an Details von Abläufen zu erinnern und diese genau wiederzugeben. Es können aber gerade solche Details sein, die bei einer Frage des Gutachters den Unterschied machen.

Tipp
Nutzen Sie den strukturierten Vordruck von pflege.de

Der kostenlose Pflegetagebuch-Vordruck von pflege.de orientiert sich thematisch an genau den Themen, die auch in der Pflegebegutachtung entscheidend sind. Das Dokument erinnert Sie so automatisch an alle relevanten Fragen.

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Tipp 3: Stellen Sie Dokumente in Kopie bereit

Die Pflegebegutachtung ist auch der ideale Zeitpunkt, um dem Gutachter Dokumente zu übergeben, die für das Pflegegutachten wichtig sind. Achten Sie darauf, alle Dokumente als Kopie bereitzustellen. So können Sie diese dem Gutachter einfach mitgeben und er kann sie später in Ruhe auswerten.

Wichtige Dokumente für die Pflegebegutachtung:

  • Relevante Arzt- und Krankenhausberichte
  • Namen und Adressen aller behandelnden Ärzte
  • Medikamentenplan
  • Namen und Adressen der Pflegepersonen
  • Auflistung der benötigten oder genutzten Hilfsmittel
  • Falls vorhanden: Dokumentation des Pflegedienstes
  • Falls vorhanden: Schwerbehindertenausweis
  • Falls vorhanden: Den ausgefüllten Fragebogen des Gutachterdienstes
Info
Fragebogen des Gutachterdienstes?

Oft verschicken der MD oder Medicproof im Vorhinein einen Fragebogen, mit dem Sie sich zusätzlich auf die Begutachtung vorbereiten können. Wenn Sie vorab keinen Fragebogen erhalten, stellt das aber kein Hindernis für die Begutachtung dar.

Tipp 4: Bereiten Sie selbst Fragen an den Gutachter vor

Der Gutachter stellt nicht nur Fragen, sondern untersucht auch die pflegerelevanten Räumlichkeiten, um mögliche Barrieren zu identifizieren. Er kann Ihnen Tipps für mehr Barrierefreiheit geben und empfiehlt bei Bedarf bestimmte Hilfsmittel.

Sie können dem Pflegegutachter aber auch eigene Fragen stellen. Immerhin handelt es sich um einen erfahrenen Pflegeexperten, der von möglichen Pflegeleistungen bis hin zu praktischem Pflegewissen viele Themen erläutern kann. Am besten notieren Sie sich vorab Ihre Fragen.

Checkliste zur Vorbereitung

Nutzen Sie diese Checkliste, damit am Tag der Pflegebegutachtung alles reibungslos verläuft, die Pflege realistisch begutachtet wird und das Ergebnis am Ende hoffentlich Ihren Erwartungen entspricht.

Checkliste zur Vorbereitung auf die Pflegebegutachtung:

  • Die für die Pflege wichtigsten Personen sind informiert und beim Termin anwesend.
  • Alle Anwesenden haben genug Zeit eingeplant.
  • Falls es einen gesetzlichen Betreuer gibt, ist dieser informiert.
  • Sie haben sich mit dem Pflegegradrechner auf die Themen vorbereitet.
  • Wichtige Dokumente liegen in Kopie bereit:
    • Ihr ausgefülltes Pflegetagebuch
    • Arzt- und Krankenhausberichte
    • Namen und Adressen behandelnder Ärzte und Pflegepersonen
    • Medikamentenplan
    • Auflistung gewünschter oder genutzter Hilfsmittel
    • Falls vorhanden: Den ausgefüllten Fragebogen des Gutachterdienstes
    • Falls vorhanden: Schwerbehindertenausweis
    • Falls vorhanden: Dokumentation des Pflegedienstes
    • Sie haben sich eigene Fragen für den Pflegegutachter notiert.
  • Direkt vor dem Termin führen Sie die Pflege ganz alltäglich durch und vermitteln einen realistischen Eindruck (kein „Herausputzen“)

Pflegegutachten: Punkte & Gewichtung

Nach der Pflegebegutachtung erstellt der Pflegegutachter in Ruhe das Gutachten und schickt es über den Gutachterdienst zu Ihrer Pflegeversicherung. Die Versicherung erteilt dann den Pflegegrad oder lehnt ihn ab. In jedem Fall erhalten Sie direkt einen Pflegegrad-Bescheid mit dem Ergebnis.

Oft liegt dem Pflegegrad-Bescheid bereits das Pflegegutachten bei. Ist das nicht der Fall, können Sie es bei Ihrer Pflegeversicherung anfordern. Sie haben ein Recht darauf, das Gutachten jetzt einzusehen. (5)

Pflegegutachten: Punkte-Tabelle

Insgesamt werden in einem Pflegegutachten 0 bis 100 Punkte vergeben. Welche Punktzahl auf welchen Pflegegrad hindeutet, erfahren Sie hier.

Die maximal 100 Punkte setzen sich aus den sechs relevanten Themenfeldern zusammen. Die einzelnen Bereiche werden unterschiedlich gewichtet. (6)

Pflegegutachten: Themen mit Gewichtung:

1. Mobilität (10 von 100): Wie selbstständig können Sie sich fortbewegen und Ihre Körperhaltung ändern?

2. Kognitive und kommunikative Fähigkeiten (7,5 von 100): Können Sie sich im Alltag örtlich und zeitlich orientieren? Können Sie selbst Entscheidungen treffen, Gespräche führen und Bedürfnisse äußern?

3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen (7,5 von 100): Wie oft benötigen Sie Hilfe wegen psychischer Probleme wie Aggressionen oder Angstzuständen?

4. Selbstversorgung (40 von 100): Wie selbstständig sind Sie bei der Körperpflege?

5. Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen (20 von 100): Welche Hilfestellungen benötigen Sie beim Umgang mit Krankheiten und Behandlungen, zum Beispiel beim Verbandswechsel oder der Einnahme von Medikamenten?

6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte (15 von 100): Wie selbstständig können Sie Ihren Tagesablauf planen und Kontakte pflegen?

Info
Weitere Themenfelder beeinflussen nicht den Pflegegrad

Themen aus den Bereichen „Außerhäusliche Aktivitäten“ und „Haushaltsführung“ beeinflussen nur die individuellen Empfehlungen für Hilfsmittel und ähnliches, aber nicht Ihren Pflegegrad. (6)

Möglichkeit zum Widerspruch

Nehmen Sie sich etwas Zeit und prüfen Sie das Pflegegutachten selbst. Sind die Bewertungen angemessen? Werden die Fähigkeiten der pflegebedürftigen Person realistisch eingeschätzt? Wurden alle relevanten Vorerkrankungen berücksichtigt?

Entspricht das Gutachten Ihrer Meinung nach nicht der tatsächlichen Pflegebedürftigkeit, können Sie dem Bescheid widersprechen. Das geht innerhalb eines Monats nach der Zustellung des Pflegegrad-Bescheids. Mit einem Pflegegrad-Widerspruch können Sie ein Wiederholungsgutachten erreichen.

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Häufig gestellte Fragen

Was ist ein Pflegegutachten?

Ein Pflegegutachten stellt fest, ob eine versicherte Person pflegebedürftig ist und Ansprüche auf Leistungen der Pflegeversicherung hat.

Was ist eine Pflegebegutachtung?

Bei einer Pflegebegutachtung besucht ein Gutachter im Auftrag einer Pflegeversicherung eine Person und untersucht, ob Ansprüche auf Leistungen der Pflegeversicherung bestehen. Außerdem gibt der Pflegegutachter praktische Tipps für die Pflege und empfiehlt nach Bedarf passende Hilfsmittel.

Wer erstellt Pflegegutachten?

Pflegegutachten erstellen zugelassene Pflegegutachter, die in der Regel in Gutachterdiensten organisiert sind. Die meisten Pflegegutachten werden vom Medizinischen Dienst für die gesetzliche Pflegeversicherung erstellt. Für private Pflegeversicherungen arbeiten andere Dienste wie Medicproof.

Wie lange dauert eine Pflegebegutachtung?

Die Pflegebegutachtung dauert eine Stunde, manchmal etwas länger. Manchmal werden auch von Anfang an zwei Stunden angesetzt.

Welche Fragen stellt ein Pflegegutachter?

Die genauen Fragen sind nicht vorgeschrieben, der Gutachter muss aber festgelegte Themen begutachten. Das sind: Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, Selbstversorgung, Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen, Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte, außerhäusliche Aktivitäten und Haushaltsführung.

Darf ich mein Pflegegutachten einsehen?

Ja, sobald Sie den Pflegegrad-Bescheid erhalten haben, haben Sie auch das Recht, das Pflegegutachten einzusehen. Sie können sich auf Paragraf 25 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches berufen.

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Erstelldatum: 3202.90.4|Zuletzt geändert: 3202.90.4
(1)
Bundesministerium der Justiz (1994): Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) - § 14 Begriff der Pflegebedürftigkeit
https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_11/__14.html (letzter Abruf am 28.08.2023)
(2)
Bundesministerium der Justiz (1994): Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) - § 15 Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit, Begutachtungsinstrument
https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_11/__15.html (letzter Abruf am 28.08.2023)
(3)
Bundesministerium der Gesundheit (2023): Begutachtungsfristen
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/b/begutachtungsfristen.html (letzter Abruf am 28.08.2023)
(4)
Medizinischer Dienst Bayern (o. J.): Wie wird Pflegebedürftigkeit bei Kindern beurteilt?
https://www.md-bayern.de/unserethemen/pflegebegutachtung/pflegebegutachtung-bei-kindern/ (letzter Abruf am 28.08.2023)
(5)
Bundesministerium der Justiz (1994): Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) - § 25 Akteneinsicht durch Beteiligte
https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_10/__25.html (letzter Abruf am 28.08.2023)
(6)
Bundesministerium für Gesundheit (2023): Pflegebedürftig – was nun?
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/pflege/online-ratgeber-pflege/pflegebeduerftig-was-nun.html (letzter Abruf am 28.08.2023)
(7)
Bildquellen
© istock.com / Ridofranz
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Interview

Ablauf einer Pflegebegutachtung aus der Sicht einer Gutachterin

Dr. Regina Grundler
Im Interview
Dr. Regina Grundler
Ärztin

Dr. Regina Grundler ist Ärztin für Allgemeinmedizin mit Zusatzbezeichnung Sozialmedizin. Nach einigen Jahren in Klinik und Praxis arbeitet sie seit 1998 als Pflegegutachterin und seit 2013 als ärztliche Mitarbeiterin im Supervisionsteam von Medicproof. Sie beschäftigt sich unter anderem mit der bundesweiten Schulung der Pflegegutachter und der Sicherung der Gutachtenqualität.

Wie läuft eine Pflegebegutachtung ab? Wie lange dauert der Termin? Werden wirklich alle 64 Fragen aus dem Neuen Begutachtungsverfahren (NBA) abgefragt? Und wie können sich Familien auf den Besuch des Gutachters vorbereiten? pflege.de sprach im Interview mit Dr. Regina Grundler, die seit 1998 Pflegebegutachtungen für den Medizinischen Dienst MD (ehemals MDK) und Medicproof durchführt. Sie verrät ihre spannendsten Erlebnisse als Pflegebegutachterin und schildert im Detail, was Sie bei einer Pflegegrad-Begutachtung erwartet.

Liebe Frau Grundler, Sie arbeiten seit 1998 als Pflegegutachterin, haben also sehr viel Erfahrung. Was würden Sie als Expertin sagen: Wie lange dauert eine durchschnittliche Pflegebegutachtung?

Frau Dr. Grundler: Wenn Sie von mir begutachtet werden, kommen Sie niemals unter einer Stunde davon. (lacht) Eher etwas länger und dort liegt auch der Durchschnitt unserer Gutachter. Es gibt Gutachten, die könnten Sie auch in der Hälfte der Zeit erledigen, wenn Sie nur strikt die Fakten abfragen. Aber für uns ist es wichtig, dass die Begutachtung in einer empathischen Atmosphäre abläuft. So werden wir als Gutachter auch geschult.

Das heißt ich frage beim Hausbesuch zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nicht nur meine Punkte ab, sondern ich informiere und ich berate und vor allem höre ich auch zu. Und wenn Sie das alles beherzigen, kommen Sie mit einer halben Stunde nicht aus, sondern sind ganz schnell bei einer Stunde.

Wenn wir Gutachter zu erkrankten oder behinderten Kindern schicken, können Sie allerdings fast mit dem Doppelten rechnen. 1,5 bis 2 Stunden sind dann keine Seltenheit. Auch eine Zweitbegutachtung nach einem Widerspruch dauert oft länger.

Was unsere Leser natürlich besonders interessiert, ist der Ablauf der Pflegebegutachtung. Können Sie einmal aus Ihrer Sicht beschreiben, wie die Begutachtung abläuft?

Frau Dr. Grundler: Ich selbst halte mich an kein einheitliches Schema, mir ist wichtiger, dass ich ins Gespräch komme. Ich stelle eigentlich immer erst folgende eingehende Frage, sofern ich keine Vorunterlagen habe: „Warum haben Sie denn gerade jetzt einen Antrag auf Pflegebegutachtung gestellt? Ist irgendetwas passiert? Hat Ihnen jemand den Tipp gegeben, einen Antrag auf Pflegegrad zu stellen? Erzählen Sie mal!“

Und dann lasse ich, wenn es irgendwie geht, den Versicherten selber erzählen. Für mich ist der Versicherte die Hauptperson und alle anderen, die noch dabei sind, mögen ergänzen, aber das Hauptwort hat der Versicherte.

Allein aus dem Bericht kann ich schon relativ viel ableiten und ich kann auch sehr schön überleiten auf die Frage nach dem Hausarzt und nach Medikamenten. Das heißt, ich verflechte die Aufnahme der Fakten und Daten in ein Gespräch. Das ist mein Ansatz und deswegen dauert es bei mir vielleicht auch bisschen länger als bei anderen.

Ich versuche immer, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen, weil die Situation vielen Menschen unangenehm ist.
Dr. Regina Grundler

Des Weiteren versuche ich, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen, weil die Situation vielen Menschen unangenehm ist. Da kommt ein Gutachter und der Versicherte muss über Dinge sprechen, die ihm vielleicht unangenehm sind. Er muss einem deutlich jüngeren Menschen erzählen, was er alles nicht mehr kann und auch auf Fragen wie „Kommen Sie noch auf der Toilette zurecht?“ oder „Gibt es manchmal ein Malheur?“ antworten.

Dabei muss man als Gutachter ganz genau auf die Worte achten. Man kann nicht fragen „Nässen Sie ein?“ oder sowas. Das geht überhaupt gar nicht, das muss alles wertschätzend passieren.

Die Versicherten wissen aber, dass solche Themen kommen, und daher ist ihnen der Termin von Vornherein unangenehm. Ich versuche daher, am Anfang schon immer klarzustellen, dass das nichts Schlimmes ist und es keine peinlichen Situationen gibt und sie hinterher sehen werden, dass es gar nicht weh getan hat.

Versicherte sollen bitte immer alles erzählen, sonst muss ich nachfragen. Denn all das, was vom Versicherten nicht erzählt oder von mir erfragt wird, kann im Gutachten nicht berücksichtigt werden – und das hat vielleicht Einfluss auf das Ergebnis.

All das, was vom Versicherten nicht erzählt oder von mir erfragt wird, kann im Gutachten nicht berücksichtigt werden – und das hat vielleicht Einfluss auf das Ergebnis.
Dr. Regina Grundler

Im Laufe dieses Gesprächs frage ich dann auch die Dinge ab, die ich für das Gutachten brauche. Ich muss ja wissen, was der Versicherte noch kann. „Wenn Sie morgens wach werden, müssen Sie ans Aufstehen erinnert werden? Muss man Sie motivieren? Kommen Sie alleine aus dem Bett? Und dann geht’s ins Bad oder geht’s dann zum Frühstück? Hat das schon jemand gemacht oder machen Sie sich das selbst?“ Nach diesem Schema führe ich den Versicherten so durch den ganzen Tag und stelle die Fragen so, wie ich sie fürs Gutachten brauche.

Und wenn mir zwischendrin etwas nicht klar ist, bitte ich den Versicherten auch, mir mal etwas zu zeigen. Zum Beispiel wenn ich das Gefühl habe, dass der Antragsteller mit seinen Armen nicht mehr bis zu seinen Haaren kommt, mache ich ihm das vor und lasse es ihn nachmachen. Oder ich lasse Antragsteller zum Beispiel auch trinken, damit ich es mir besser vorstellen kann.

Zum Ende bitte ich immer noch darum, die Wohnung sehen zu dürfen – das gehört zu einer Begutachtung dazu – und bitte den Versicherten, dass er mir die Wohnung selbst zeigt, sofern das eben geht. Das heißt, ich lasse ihn vorher gar nicht aufstehen und marschieren, sondern stelle Fragen wie „Können Sie mir Ihr Schlafzimmer noch zeigen?“.

Und dann sehe ich ja, wie er vom Küchenstuhl aufsteht und seinen Rollator greift und vor mir mühsam den Flur entlanggeht. Ich kann dann auch schon sehen, ob er in der Wohnung orientiert ist oder ob er das Badezimmer suchen muss, oder sich an den Wänden festhält und solche Sachen.

Dabei informieren wir Gutachter auch immer, was es noch so an Hilfsmitteln und Umbaumaßnahmen zur Wohnraumanpassung gibt.
Dr. Regina Grundler

Dabei informieren wir Gutachter auch immer, was es noch so an Hilfsmitteln und Umbaumaßnahmen zur Wohnraumanpassung gibt. Wenn jemand von der Toilette nicht hochkommt, ist eine Toilettensitzerhöhung zu empfehlen. Oder wenn jemand nachts sturzgefährdet ist, wenn er alleine aufs WC geht, kann man einen Toilettenstuhl neben das Bett stellen. So etwas muss man einfach vor Ort besprechen und auch den Angehörigen die Sorge und die Angst nehmen.

So läuft das bei mir ab. Wenn ich in dem Gespräch mit dem Versicherten nicht alle Informationen bekomme oder merke, dass er mit der Sprache nicht so richtig rauskommt, versuche ich auf dem Weg zur Haustür oder an der Haustür mit seinen Angehörigen unter vier Augen zu sprechen. Wenn das nicht geht, dann rufe ich die hinterher auch nochmal an. „Ich habe das Gefühl, Sie wollten den geistigen Abbau von Ihrem Vater nicht direkt im Gespräch thematisieren, erzählen Sie aber doch mal. Haben Sie Sorge, dass es in Richtung Demenz geht?“

Das ist manchmal schwierig, da muss man auch Rücksicht nehmen und kann eben hinterher nochmal mit den Angehörigen sprechen. Wenn zum Beispiel der Versicherte sagt, dass er noch alles kann und die Tochter im Hintergrund verzweifelt den Kopf schüttelt. Das stellt man dann besser unter vier Augen mit der Tochter nochmal klar.

Wow, das war jetzt ausführlich, aber spannend! Und ich könnte mir vorstellen, dass das unseren Lesern wirklich die Unruhe vor einem solchen Termin nimmt, wenn sie jetzt wissen, wie die Begutachtung abläuft. Wissen Sie schon beim Verlassen der Wohnung, welcher Pflegegrad es wird?

Frau Dr. Grundler: Nein. Das ist auch eine Frage, die beim Hausbesuch immer vom Versicherten oder Angehörigen gestellt wird. Wir Gutachter arbeiten das Gutachten in Ruhe zu Hause aus. Wir müssen erst einmal alles sortieren und alle 64 Kriterien des Begutachtungssystems bearbeiten. Deshalb sagen wir vor Ort nichts zum Ergebnis. Das Gutachten wird in der Regel am nächsten Tag verschickt, so dass der Versicherte spätestens eine Woche nach der Begutachtung den Bescheid vom Versicherungsunternehmen hat.

Nehmen Sie dazu auch Dokumente wie einen Medikamentenplan, eine Pflegedokumentation oder Arztbriefe vom Versicherten mit nach Hause? Helfen Ihnen solche Dokumente bei der Einschätzung?

Frau Dr. Grundler: Grundsätzlich nehmen wir so etwas gerne an, aber bitte nicht im Original. Wir sind verpflichtet, Originale zurückzuschicken, daher ist das also ein relativ großer Aufwand. Was auf jeden Fall sinnvoll ist und was wir gerne annehmen, ist eine Kopie der Medikamentenverordnung. Dann kann der Gutachter die Zeit bei der Begutachtung sinnvoller nutzen als die Namen der Medikamente und deren Dosierung abzufragen. Zudem ist ein Pflegetagebuch sinnvoll.

Medicproof hat die alte Pflegedokumentation auf das neue Verfahren umgearbeitet, die man auf unserer Website herunterladen kann. Ich persönlich finde das sehr sinnvoll, weil sich dann Angehörige und Beteiligte schon mal mit den Inhalten beschäftigen, die relevant sind.

Auch auf pflege.de können solche wichtigen Inhalte nachgelesen werden. Eine solche Vorbereitung und Pflegedokumentation ist zur Orientierung für den Pflegebegutachter sehr hilfreich und kann beim Begutachtungstermin vor Ort Zeit für wichtigere Dinge sparen. Wir können die Angaben zwar meistens nicht 1:1 übernehmen, da oft eine große Lücke zwischen der Selbsteinschätzung und Fremdwahrnehmung klafft, doch es ist eine gute Orientierung!

Wie können sich Familien auf die Begutachtung vorbereiten?

Frau Dr. Grundler: Da gibt es schon ein paar Dinge, die helfen:

  1. Nehmen Sie sich die Zeit und planen Sie zusätzliche Minuten ein, falls es etwas länger dauert. Es kommt in der Regel dem Begutachtungsergebnis zugute.
  2. Bereiten Sie, wie eben beschrieben, Dokumente wie die Pflegedokumentation, Arztbriefe und den Medikamentenplan vor. Das erspart dem Gutachter Zeit, die er besser für andere Fragen nutzen kann.
  3. Alle Beteiligten sollten offen an diesen Hausbesuch rangehen. Familien sollten wissen, dass Gutachter neutral sind, nicht das Geld für die Versicherungsunternehmen einsparen müssen und nur ihrem Gewissen verpflichtet sind. Manche Versicherte haben das Gefühl, dass ein Gutachter ihnen Leistungen verwehren will. Das stimmt so nicht. Wenn man das weiß, herrscht von Vornherein eine ganz andere Atmosphäre bei Begutachtungen.
  4. Beschäftigen Sie sich mit den Inhalten. Antragsteller sollten sich unsere Pflegedokumentation ansehen oder sich auf pflege.de informieren. So wissen der Antragsteller und seine Familie, was auf sie zukommt.
  5. Familien sollten realistisch sein und realistisch berichten, wenn der Gutachter da ist. Man sollte nicht übertreiben und nicht untertreiben. Beschäftigen Sie sich inhaltlich und gedanklich mit den Begutachtungskriterien – das hilft sehr. Viele Antragsteller berichten mir oft bei einer Widerspruchsbegutachtung, dass sie bei der ersten Begutachtung eigentlich gar nicht genau wussten, worum es geht. Das kann man vermeiden, indem man sich gut vorbereitet.

„Realistisch berichten“ – Ihr fünfter Tipp. Wie schaffen Sie es als Gutachter, dass Versicherte Ihnen z. B. auch von einer Inkontinenz erzählen, statt verschämt zu schweigen? Ähnlich wird es ja bei einer Demenz sein.

Frau Dr. Grundler: Ich vermeide dieses Frage-Antwort-Spiel und versuche, ein empathisches Gespräch aufzubauen. Ich spreche eine Inkontinenz konkret an und frage danach. Wenn man sie nicht anspricht, dann kriegt man es nicht raus. Man muss das Kind schon beim Namen nennen. Aber man kann das freundlich und mitfühlend machen und z. B. darauf hinweisen, dass man eben im Badezimmer die Packung Tena Lady gesehen hat oder auf dem Krankenhausbrief von einer Harninkontinenz gelesen hat.

Und wie schaffen Sie es, dass sich Antragsteller realistisch darstellen? Viele ältere Menschen präsentieren sich am Tag der Begutachtung aus Stolz deutlich selbstständiger als sie eigentlich sind. Aber es bringt ja nichts, wenn derjenige frisch geduscht, mobil und zurechtgemacht am Tisch sitzt, oder? Haben Sie Tipps für Angehörige, damit sich der Antragsteller zum Zeitpunkt der Begutachtung realistisch zeigt?

Frau Dr. Grundler: Der wichtigste Tipp ist, dass man so ist, wie man sonst im Alltag auch ist. Wenn der Versicherte sonst immer im Schlafanzug auf dem Sofa liegt und das Anziehen schwerfällt und in der Regel erst mittags erledigt ist, dann soll er das bitte zum Hausbesuch genauso machen. Es ist ganz wichtig, dass der Gutachter erlebt, wie der Alltag abläuft. Angefangen beim Waschen und Anziehen über das Essen bis hin zur Mobilität.

Machen Sie bitte keinen Aufstand für mich. Putzen Sie nicht für mich. Waschen Sie Ihren Angehörigen nicht extra. Wenn er sonst den ganzen Tag im Schlafanzug im Sessel sitzt, dann lassen sie ihn auch an diesem Tag im Schlafanzug im Sessel sitzen.
Dr. Regina Grundler

Der Gutachter merkt, was Sache ist. Ich sage den Familien oft bereits am Telefon, wenn ich den Termin ankündige: „Machen Sie bitte keinen Aufstand für mich. Putzen Sie nicht für mich. Waschen Sie Ihren Angehörigen nicht extra. Wenn er sonst den ganzen Tag im Schlafanzug im Sessel sitzt, dann lassen sie ihn auch an diesem Tag im Schlafanzug im Sessel sitzen.“

Merkt ein Gutachter, wenn sich ein Antragsteller selbstständiger als sonst präsentiert? Kann ein Gutachter aufgrund von Arztbriefen, Diagnose und Beobachtungen den Pflegebedarf realistisch einschätzen?

Frau Dr. Grundler: In der Regel schafft man das, ja, weil man ja auch eine Stunde oder länger vor Ort ist. Als Gutachter bekommt man ja auch nicht nur die Befunde, Arztbriefe und Dokumente, sondern hat auch Angehörige, die einem manchmal das Gegenteil des Betroffenen erzählen.

Und als Gutachter hat man auch seine eigenen Beobachtungen. Wenn ich jemanden frage „Wie geht’s denn morgens im Bad beim Zähneputzen, Prothese einsetzen, An- und Ausziehen?“ höre ich sehr oft „Das kann ich alles alleine“. Dann bitte ich denjenigen, er möge mir doch den letzten Arztbrief einmal zeigen, und er muss ihn dafür aus dem Briefkuvert holen.

Wenn ich dabei sehe, wie das nicht gelingt, dann weiß ich auch, dass morgens die Bluse jemand anders zuknöpft. Da zählt man als Gutachter dann eins zu eins zusammen. Ich will nicht sagen, dass man als Gutachter immer alles rausbekommt, aber wenn man so lange vor Ort ist, dann bekommt man ein ganz gutes Gesamtbild und das ist ja das Wesentliche.

Und was ist, wenn sich ein Versicherter unselbstständiger darstellt als er eigentlich ist? Merken Sie das als Gutachter, wenn falscher Hilfebedarf vorgespielt wird?

Frau Dr. Grundler: Ja, das kommt vor, aber sehr selten. Ich habe es in meiner ganzen Laufbahn einmal erlebt, es war einer meiner ersten Hausbesuche. Ich hatte eine Person begutachtet, die mir sehr pflegebedürftig erschien. Dann war ich auf dem Nachhauseweg im Supermarkt und da kam mir der Versicherte, der mich nicht erkannt hat, agil und selbstständig mit dem Einkaufswagen entgegen.

Oh, das ist peinlich.

Frau Dr. Grundler: Er hat mich nicht erkannt, ich habe ihn wohl erkannt und habe abends das Gutachten entsprechend anders geschrieben. In der Regel kriegt man so etwas aber beim Hausbesuch mit. Wenn Ihnen z. B. jemand gegenüber sitzt und Gelenkprobleme hat und erzählt Ihnen, dass er gar nichts mehr kann.

Dann klingelt das Handy und plötzlich kann er ganz flugs das Telefon hinter dem Sofakissen hervorholen. Und sagt: „Entschuldigung bitte, da ist mein Enkelkind dran“ und bedient das Handy problemlos.

Das Verstellen über 60 Minuten durchzuhalten ist sehr schwierig. Insofern merkt man das als Gutachter in der Regel. Oft passt es auch nicht zu den Befunden des Hausarztes. Um all diese Verwirbelungen zu vermeiden, sollte man am besten bei der Realität bleiben.

Welche Punkte können die Chancen auf einen Pflegegrad erhöhen? Gibt es bestimmte Module oder Bewertungskriterien, die man als Antragsteller beim Begutachtungstermin intensiver thematisieren und beschreiben sollte als andere?

Frau Dr. Grundler: Nein, es gibt keine besonders ausschlaggebenden Themen. Es zählt jeder Punkt und das ist einer der wichtigen Unterschiede zum alten System (bis Dezember 2016): Der Versicherte wird im Pflegegrade-System ganzheitlich erfasst.

Werden alle 64 Kriterien des Begutachtungssystems beim Hausbesuch tatsächlich abgefragt?

Frau Dr. Grundler: Nein, die Kriterien werden nicht 1:1 tatsächlich gefragt, aber der Gutachter muss sie alle beantworten. Wenn ein Antragsteller z. B. nicht gehen kann, dann muss ich gar nicht fragen, ob er die Treppen im Haus noch alleine bewältigen kann oder einen Treppenlift benötigt. Insofern ist es sehr viel Inhalt, aber wir fragen nicht alle explizit Kriterien ab.

Was sind die häufigsten Fragen, die Ihnen bei einem Hausbesuch gestellt werden?

Frau Dr. Grundler: Eine Frage kommt fast immer: „Können wir die Pflege zu Hause organisieren oder muss Mutter/Vater ins Pflegeheim?“ Und meine Antwort darauf lautet: „Man kann zuhause alles organisieren.“

Es müssen die Bedingungen stimmen, d. h. man muss motiviert sein dazu und es ist ein soziales Netz aus Angehörigen und Nachbarn erforderlich. Man darf sich nicht scheuen, auch professionelle ambulante Pflege dazuzuholen, weil es oftmals ohne gar nicht geht.

Diesen Schritt müssen viele pflegende Angehörige aber erst mal machen. In der Regel ist es so: Die Ehefrau versorgt ihren Ehemann so lange, bis sie selber nicht mehr kann. Hier muss noch viel Umdenken erfolgen und die professionelle Pflege muss früher mit in die häusliche Versorgung! Zugleich könnten viele Versicherte früher unterstützende Hilfsmittel annehmen.

Was empfehlen Sie Versicherten, die das Gefühl haben, dass das Ergebnis des Gutachtens nicht der Realität entspricht?

Frau Dr. Grundler: Wenn Antragsteller und deren Familien finden, dass die Entscheidung gar nicht passt, können sie Widerspruch einlegen und den Weg der Zweitbegutachtung gehen. Wir weisen im Hausbesuch darauf hin, wenn dieses Thema angesprochen wird.

Was sind die häufigsten Gründe dafür, dass ein Antrag im zweiten Anlauf doch noch bewilligt wird?

Frau Dr. Grundler: Im ersten Hausbesuch wissen die meisten Versicherten und Angehörigen noch gar nicht, worum es geht. Und man merkt diesen Unterschied eklatant in der Zweitbegutachtung. Entweder sind die Familien dann beraten worden oder haben sich im Internet schlau gemacht – auch auf Portalen wie pflege.de.

Wenn sie sich besser auskennen und wissen, was überhaupt alles bewertet wird, dann ist auch das Verständnis für den vielleicht niedrigeren Pflegegrad da. Und es werden beim zweiten Hausbesuch auch die richtigen Dinge erzählt – und nicht verschwiegen, wie eben eine Inkontinenz, so dass man tatsächlich zu einem höheren Pflegegrad kommt.

Was ich auch öfter erlebe, ist, dass beim ersten Termin die wesentlichen Personen nicht alle dabei waren. Ich bringe jetzt meine eigene Erfahrung: Wenn ich meine Mutter jetzt alleine zu einer Pflegebegutachtung schicken würde und sage „Mama, Du machst das schon“, würde sie in dem Moment auch nicht alles erzählen.

Was ich auch öfter erlebe, ist, dass beim ersten Termin die wesentlichen Personen nicht alle dabei waren.
Dr. Regina Grundler

Das heißt, die Angehörigen, die Bezugspersonen müssen unbedingt dabei sein. Bei Widerspruchsbegutachtungen ist es so, dass viel mehr Personen dabei sind als beim ersten Mal. Die Angehörigen haben gelernt. Und auch dadurch wird sehr viel mehr zur Begutachtung und zu einem richtigen Ergebnis beigetragen.

Und was wir auch relativ häufig haben bei Widersprüchen, das ist eine Verschlechterung, die zwischenzeitlich aufgetreten ist. Der Gutachter war im Februar da, der Versicherte bekommt Anfang März den Bescheid und legt dann Ende März einen Widerspruch ein. Der zweite Gutachter stellt dann im April fest, dass es z. B. tatsächlich einen fortschreitenden Parkinson-Verlauf gibt, der im Februar so noch nicht abzusehen war.

Dann war das Vorgutachten korrekt, aber seitdem hat sich der Zustand des Versicherten stetig verschlechtert, so dass ihm wirklich ein höherer Pflegegrad zusteht.

Nichtsdestotrotz gibt es auch Widersprüche, die auch beim zweiten Mal kein anderes Ergebnis ergeben.

Inwiefern unterscheidet sich ein zweites Gutachten nach dem Widerspruch des Versicherten vom ersten Gutachten?

Frau Dr. Grundler: Der Hausbesuch läuft genauso ab. Der Zweitgutachter macht ein komplett neues Gutachten und tut tatsächlich so, als gäbe es das erste Gutachten nicht. Er macht sich sein komplett eigenes Bild. So weit ist alles identisch.

Und dann kommt ein Unterschied: Er bespricht das Widerspruchsschreiben zusammen mit dem Versicherten. Versicherte oder Angehörige müssen einen Widerspruch ja begründen, wie z. B. „In Modul 1 ist das dritte Kriterium falsch, weil ich nicht so gut gehen kann und auch in Modul 4 muss es einen Fehler geben, da ich nicht selbstständig essen kann.“

Der Gutachter diskutiert im Widerspruchsgutachten diese Einsprüche vor Ort mit dem Versicherten und kann Unklarheiten bereinigen. „Sie haben hier geschrieben, dass Sie nicht so gut gehen können, aber gerade eben haben Sie es mir gezeigt. Vielleicht gibt es Tage, wo es nicht so gut ist, aber eigentlich können Sie es ja doch.“

Es ist wichtig, dass man das vor Ort schon mal ein bisschen diskutiert, damit das Verständnis da ist, falls ein Widerspruch abgelehnt werden sollte. Oder auch, dass man offen sagt: „Sie haben Recht. Ich habe das eben gesehen, Sie können tatsächlich nicht mehr so gut gehen, wie es im Vorgutachten steht.“

Erstelldatum: 8102.40.6|Zuletzt geändert: 3202.90.4
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