Gewalt in der Pflege: Definition
Das Verständnis von Gewalt unterscheidet sich über Kulturen und Generation hinweg mitunter stark. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert, dass Gewalt der „absichtliche Gebrauch von angedrohtem oder tatsächlichem körperlichen Zwang oder physischer Macht gegen die eigene oder eine andere Person, gegen eine Gruppe oder Gemeinschaft“ ist. (1)
Gewalt in der Pflege hat unterschiedliche Gesichter. Anschreien und ruppig sein zählt genauso dazu, wie jemanden aus Bequemlichkeit falsch anzuziehen oder ihn zu ignorieren. Dabei ist Gewalt nicht immer böswillig: Manche Menschen üben sie ganz unbewusst und versehentlich aus.
Gewalt in der Pflege schließt nicht nur unangemessene Tätigkeiten durch das Pflegepersonal oder durch pflegende Angehörige gegenüber Pflegebedürftigen ein. Gewalt in der Pflege wird ebenso ausgeübt durch:
- Pflegebedürftige gegenüber Pflegepersonal oder pflegenden Angehörigen.
- Pflegebedürftige gegenüber anderen Pflegebedürftigen, zum Beispiel Mitbewohner eines Pflegeheims.
Formen von Gewalt in der Pflege und Beispiele
Die Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) unterscheidet sechs Formen von Gewalt in der Pflege: (2)
- Körperliche Gewalt
- Psychische Gewalt
- Freiheitsentziehende Maßnahmen
- Vernachlässigung
- Finanzielle Ausbeutung
- Sexualisierte Gewalt

Formen von Gewalt in der Pflege, © pflege.de
Um ihr vorzubeugen, muss bei allen Beteiligten die Wahrnehmung für die verschiedenen Formen von Gewalt geschärft werden. Folgende Beispiele verdeutlichen, wie unterschiedlich Gewalt in der Pflege aussehen kann.
Körperliche Gewalt
Körperliche Gewalt zählt zu den schwerwiegendsten Formen der Gewaltausübung in der Pflege. Beispiele für körperliche Gewalt in der Pflege können sein: (3)
- Absichtlich zu grob oder zu fest anfassen, schlagen, kratzen, schütteln.
- Unbequem hinsetzen oder hinlegen.
- Mit zu heißem oder zu kaltem Wasser waschen.
- Beim Verbandswechsel oder der Versorgung eines Dekubitus unachtsam sein.
- Zu schnelle Verabreichung von Nahrung: „stopfen“, keine Schluckpausen lassen oder zum Essen zwingen.
- Bei einer Inkontinenz zur Verwendung von Windeln oder Dauerkatheter zwingen, um die betroffene Person nicht zur Toilette begleiten zu müssen.
- Ungewünschte und nicht verordnete Medikamente geben, um die pflegebedürftige Person ruhig zu stellen.
Psychische Gewalt und falsche Kommunikation
Psychische Gewalt äußert sich teilweise viel subtiler als körperliche Gewalt. Beispiele für dafür sind: (3)
- Unangemessenes Ansprechen durch Anschreien, Schimpfen oder Rügen, aber auch über den Kopf hinweg sprechen oder nicht ausreden lassen.
- Über Tagesablauf, Beschäftigungen oder Kontakte entscheiden.
- Die pflegebedürftige Person missachten oder ignorieren.
- Bedürfnisse bagatellisieren, zum Beispiel durch Aussagen wie „Stell dich sich nicht so an“.
- Die pflegebedürftige Person wie ein Kind ansprechen oder behandeln sowie unangemessene Sprache benutzen.
- Blickkontakt vermeiden.
- Religiöse Vorschriften missachten.
- Kontakte zu anderen Menschen erzwingen oder verweigern.
Freiheitsentziehende Maßnahmen
Sogenannte Freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM) sind solche, bei denen die betroffene Person in ihrer Fortbewegungsfreiheit eingeschränkt wird. Das kann unterschiedlich geschehen: Wenn die betroffene Person durch Gegenstände wie zum Beispiel Gurte oder Bettgitter fixiert oder eingesperrt wird – aber auch, wenn sie durch Medikamente, wie zum Beispiel Schlafmittel, ruhiggestellt wird.
Zu den FEM gehört auch, wenn der pflegebedürftigen Person Hilfsmittel wie beispielsweise Schuhe oder Rollator vorenthalten werden.
Freiheitsentziehende Maßnahmen sind eine besondere Form der Gewalt, die schwerwiegende Folgen haben können. Wenn sie eingesetzt werden müssen, muss das korrekt geschehen – also nur, wenn: (4)
- Die betroffene Person schriftlich zustimmt oder der gesetzliche Betreuer zustimmt sowie eine richterliche Genehmigung eingeholt hat.
- Der behandelnde Arzt ein Attest ausstellt, das Informationen darüber enthält, wie und wie lange die freiheitsentziehende Maßnahme angewendet werden soll.
- Die FEM ständig überwacht und dokumentiert wird, sowie sofort beendet wird, wenn sie nicht mehr erforderlich ist.
Vernachlässigung
Von Vernachlässigung spricht man, wenn Pflegende nicht angemessen auf die Bedürfnisse von Pflegebedürftigen eingehen und ihnen damit Schaden zufügen. Beispiele für Vernachlässigung in der Pflege können sein: (5)
- Lange auf Hilfe warten lassen oder unzureichend im Alltag helfen.
- Nicht richtig beaufsichtigen, beispielsweise beim Duschen sowie Gefahrenquellen ignorieren.
- Schlecht pflegen oder medizinisch versorgen, zum Beispiel durch mangelhafte Wundversorgung.
- Emotionale Bedürfnisse übergehen oder nicht ausreichend geistige Anregungen geben.
- Bewegung verweigern.
- Nicht bei der Körperpflege unterstützen oder schmutzige Kleidung nicht wechseln oder falsch kleiden, zum Beispiel nicht wettergerecht oder einen fremden, ungewohnten Stil.
- Zahnprothesen vorenthalten.
Finanzielle Ausbeutung
Finanzielle Ausbeutung fängt schon in kleinen Maßstäben an, kann jedoch größere Ausmaße annehmen. Beispiele sind: (3)
- Informationen vorenthalten.
- Unbefugt über persönliches Vermögen des Pflegebedürftigen verfügen.
- Den Pflegebedürftigen zu Geldgeschenken überreden oder nötigen.
- Geld oder Wertgegenstände entwenden.
- Über Finanzen der pflegebedürftigen Person bestimmen, zum Beispiel Geld vorenthalten.
Sexualisierte Gewalt
Sexualisierte Gewalt ist die wohl am stärksten versteckte Form von Gewalt: Die meisten Vorfälle ereignen sich im Verborgenen. Von sexualisierter Gewalt in der Pflege spricht man bei unerwünschten Handlungen mit sexuellem Bezug – dazu zählen jene mit, aber auch ohne Körperkontakt und auch Fälle, in denen die betroffene Person nicht eindeutig zustimmt oder die Situation nicht einschätzen kann. Beispiele sind: (6)
- Schamgefühle oder Intimsphäre verletzen, indem die pflegebedürftige Person beispielsweise nach dem Waschen unnötig lange entblößt bleibt.
- Sexuelle Andeutungen sowie respektlose oder anzügliche Aussagen sowie Fragen.
- Unangemessene sowie ungewollte Berührungen, Zuwendungen wie Umarmungen oder Küsse.
- Intimkontakte verlangen oder erzwingen.
Da Gewalt in der Pflege vielfältig auftreten kann, sind ihre Anzeichen nicht immer eindeutig. Körperliche Erscheinungen zum Beispiel können auch als Folge von Stürzen oder Ähnlichem auftreten. Nichtsdestotrotz sollten Sie die Ursachen klären, wenn sie folgende Dinge an einem Pflegebedürftigen bemerken: (7)
- Wenn sich Ihr Angehöriger anders verhält, zum Beispiel scheu, ängstlich, schreckhaft oder sprachlos ist.
- Kratzer und Hautabschürfungen bis hin zu blauen Flecken und Platzwunden.
- Verletzungen im Intimbereich.
- Abdrücke an der Haut, wie von Seilen oder Gurten.
- Trockene Schleimhäute können auf Flüssigkeitsmangel, Untergewicht auf Mangelernährung hinweisen.
- Mangelnde Hygiene.
- Unzureichende medizinische Versorgung.
Wenn Sie Anzeichen für Gewalt gegenüber pflegebedürftigen Menschen wahrnehmen, sollten Sie zunächst Ihre Beobachtungen ansprechen und Hilfe anbieten. Weitere Tipps zum Schutz pflegebedürftiger Menschen hat das ZQP in einem Ratgeber zusammengetragen.
Folgen von Gewalt in der Pflege
Genauso unterschiedlich wie die verschiedenen Formen von Gewalt in der Pflege, sind auch deren Folgen auf Betroffene. Gewalteinwirkungen können die Gesundheit schädigen und in wenigen schlimmen Fällen sogar bis zum Tod führen. Mögliche Folgen sind: (8)
- Psychische Folgen wie Stress, Angst und Unruhe, aber auch Schlafstörungen, Antriebslosigkeit oder Aggressionen.
- Körperliche Folgen wie Verletzungen, Prellungen oder Blutergüsse.
- Verschiedene Auswirkungen durch Vernachlässigung, wie Mangelernährung, Infektionen oder Druckgeschwüre.
Wenn Pflegende gewalttätig werden: Ursachen und Maßnahmen
Gewalt in der Pflege kann die unterschiedlichsten Ursachen haben. Einige Menschen wissen gar nicht, dass ihr Verhalten als unangemessen oder übergriffig verstanden werden kann, weil sie nicht richtig für das Thema sensibilisiert worden sind. Der Grund ist dann schlicht und ergreifend Unwissenheit und keinesfalls eine boshafte Absicht.
Meistens kommen mehrere Faktoren zusammen, die dann erst zusammen zu Gewaltausübungen führen. Die Pflege zuhause ist für pflegende Angehörige eine große Aufgabe, die viele unterschiedliche Belastungen mit sich bringt und verschiedene Emotionen auslöst – zum Beispiel Scham, Ekel, aber auch Niedergeschlagenheit, Schlafmangel und Erschöpfung.
Diese Belastungen können zu negativen Gefühlen bis hin zu Aggressionen und Gewalt führen. Oft ist auch Überforderung die Ursache für diese Reaktionen – umso wichtiger ist es deshalb, dass Betroffene sich rechtzeitig professionelle Hilfe holen und nach Entlastungsmöglichkeiten suchen.
Persönliche Gründe für gewalttätiges Verhalten von Pflegenden
Eigene Gewalterfahrungen erhöhen das Risiko für gewalttätige Eskalationen in der Pflege. Suchterkrankung und gesundheitliche Probleme lassen Hemmschwellen sinken und begünstigen übergriffiges Verhalten. Darüber hinaus bedingen auch gesundheitliche oder finanzielle Probleme das Gewalt-Potenzial Pflegender. (3)
Gewalt im Pflegeheim: Die Herausforderungen des Pflegeberufs
Das deutsche Pflegesystem steht vor großen Herausforderungen: Es herrscht akuter Fachkräftemangel und der Pflegeberuf wird schlecht bezahlt – er gilt als sehr unattraktiv. Das führt dazu, dass nur wenige Menschen eine Ausbildung beginnen. Dazu kommt, dass der Beruf körperlich und mental anstrengend ist. Die daraus entstehende Überlastung kann eine Ursache für aggressives Verhalten und auch Gewalt gegenüber Pflegebedürftigen sein. (9)
Auch ein Mangel an Pflegekompetenz wegen einer schlechten oder gar keiner Ausbildung gilt als ursächlich für Gewalt in der Pflege.
Prävention und Maßnahmen für Pflegende
Viele pflegende Angehörige übernehmen die häusliche Pflege eines Familienmitglieds im plötzlichen Pflegefall spontan und ohne darauf vorbereitet zu sein. Für wie lange, ist in den meisten Fällen nicht absehbar. In dieser Zeit ändert sich das Verhältnis zwischen Gepflegtem und Pflegendem stark, es entwickeln sich Abhängigkeiten.
Ein Rollenwechsel, wenn zum Beispiel die Mutter gepflegt wird und die Tochter sie versorgt, kann für beide Seiten belastend sein. In einigen Fällen drohen Konflikte aus früheren Zeiten wieder auszubrechen. Das Risiko, den Gepflegten für Vergehen aus der Vergangenheit büßen zu lassen, steigt, wenn das Verhältnis der Beteiligten in der Vergangenheit belastet war.
Aggressionen können destruktiv sein und sich in Gewalt gegen andere äußern – Aggressionen können aber auch konstruktiv geäußert werden: als Gefühl positiver Lebenskraft und Energie, zum zielgerichteten Handeln oder als Selbstschutz. Um Gewalt in der Pflege zu vermeiden, sollten Betroffene lernen, wie sie mit aufkeimenden aggressiven Gefühlen umgehen können.
Auf Anzeichen der Überforderung achten
Wenn Sie einen Angehörigen pflegen, sollten Sie auf Anzeichen der Überforderung achten. Diese können sich psychisch und körperlich äußern, zum Beispiel durch: (7)
- Körperliche Anzeichen wie Schlafstörungen, häufige Infekte, Kopf- oder Rückenschmerzen, Herzrasen.
- Psychische Anzeichen wie Müdigkeit, innere Unruhe, Schuldgefühle sowie -zuweisungen, Angst, Niedergeschlagenheit, Gereiztheit.
Wenn Menschen ihre Angehörigen zuhause selbst pflegen, geraten sie oft in Situationen der Überforderung. Um gezielt Entlastung zu schaffen und drohende Eskalationen zu vermeiden, sollten Pflegende sich zu ihrer Pflegesituation beraten lassen. Über die persönlichen Ansprüche auf Pflegeleistungen und Möglichkeiten der Organisation und Unterstützung werden Betroffene in einer individuellen Pflegeberatung nach Paragraf 7a SGB XI oder nach Paragraf 37.3 SGB XI kostenlos informiert. (10)
Beobachten Sie an sich selbst, welche Aufgaben bei Ihnen zu Anspannung führen und wie Sie solche Situationen gegebenenfalls meiden können. Das geht, indem Sie für bestimmte pflegerische Aufgaben einen ambulanten Pflegedienst bestellen.
Durch Wissen vorbeugen
Unzureichendes Wissen über die bestehenden Pflegetechniken spielt eine Rolle bei der Entstehung von Gewalt in der Pflege im häuslichen Umfeld. Wer beispielsweise nicht weiß, wie man eine Person rückenschonend aus dem Bett bewegt oder wie er sie beim Duschen unterstützt, der setzt seinen Körper unnötigerweise einer hohen Belastung aus, was letztlich zu Stress und Gereiztheit führt.
Entgegenwirken können Pflegende, indem sie sich für den pflegerischen Alltag schulen lassen. Darüber hinaus sollten sie sich Informationen über Entlastungs- und Unterstützungsangebote einholen – vor allem, um sich in schwierigen Situationen austauschen zu können oder auch eine kurzfristige Auszeit nehmen zu können. (9)
Gehen Sie achtsam mit sich und Ihren Kräften um. Gönnen Sie sich auch mal eine Auszeit. Dazu können Sie vielerlei Angebote wahrnehmen, auf die Sie gesetzlichen Anspruch haben. Verhinderungspflege oder stundenweise Betreuung sind mögliche Beispiele, die Sie bei Inanspruchnahme entlasten könnten. Diese Angebote ermöglichen es Ihnen, regelmäßige Besuche bei Freunden oder ein Training im Sportclub einzuplanen. So schaffen Sie sich persönliche Auszeiten von der Pflege und etwas Zeit für sich allein.
Vier Tipps für Pflegende Angehörige in kritischen Situationen
Nicht immer lassen sich kritische Situationen abwenden. Wenn Sie merken, dass die Lage angespannt ist und Sie Aggressionen entwickeln, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, die Situation zu „entladen“:
- Verlassen Sie rechtzeitig den Raum, wenn Sie merken, dass Sie die Wut überkommt.
- Wenden Sie sich von der auslösenden Situation ab und schließen Sie die Augen. Atmen Sie langsam zehn Mal tief durch und konzentrieren Sie sich auf das Zählen.
- Eine Abkühlung wirkt Wunder: Spritzen Sie sich Wasser ins Gesicht oder auf Ihre Unterarme.
- Zerknüllen Sie ein Papier und werfen es mit voller Wucht an eine Wand – allerdings nicht in Anwesenheit des Pflegebedürftigen.
Wenn Pflegebedürftige aggressiv werden
Auch Pflegebedürftige können Gewalt ausüben, sei es gegenüber anderen Pflegebedürftigen, aber auch gegenüber Pflegekräften oder pflegenden Angehörigen. Die Gründe hierfür sind vielfältig: So können zum Beispiel bestimmte Krankheiten wie Demenz, Veränderungen im Gehirn beeinflussen und so Wesensveränderungen hervorrufen. Aber auch der Verlust der Selbständigkeit spielt eine Rolle dabei, dass Pflegebedürftige aggressives Verhalten entwickeln.
Ursachen der Gewalt durch Pflegebedürftige
Pflegebedürftige müssen durch die Pflege einen großen Teil ihrer Selbständigkeit aufgeben: Viele Aktivitäten werden genau strukturiert, Betroffene können wesentliche Teile des Tages nicht mehr selbst bestimmen.
Im familiären Umfeld ist Hilfebedürftigkeit für manche Menschen schwerer zu akzeptieren, als eine professionelle Dienstleistung eines Pflegedienstes in Anspruch zu nehmen. Aus dem Gefühl der Hilflosigkeit, Fremdbestimmtheit und Angst entwickeln sie schließlich aggressives Verhalten. (2)
Aggressives Verhalten von Pflegebedürftigen tritt häufig bei der Körperpflege oder bei Körperkontakt auf. Der bei Pflegetätigkeiten unvermeidliche Eingriff in die Intimsphäre bspw. bei der Hilfe zur Körperhygiene wird von manchen Betroffenen als entwürdigend empfunden. Nicht jeder Pflegebedürftige möchte sich bei der Intimhygiene von seinen Kindern helfen lassen – und reagiert mit Gewalt.
Nach einem solchem Übergriff ist das Verhältnis zwischen den Beteiligten dann häufig beeinträchtigt. Überlegen Sie deshalb zusammen mit Ihrem Angehörigen, was für Sie beide in Ordnung ist und welche Aufgaben lieber von einem Pflegedienst übernommen werden sollten.
Persönlichkeitsveränderung durch Krankheiten
Aggressive Verhaltensmuster können auch durch das Vorliegen bestimmter Krankheiten bedingt werden: Eine frontotemporale Demenz geht beispielsweise mit einer erheblichen Persönlichkeitsveränderung einher und kann im späteren Verlauf zu Aggressionen führen.
Da ihre Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zum Teil stark eingeschränkt ist, können auch Menschen mit geistigen Behinderungen, Suchterkrankungen oder psychiatrischen Störungen zu „Tätern“ werden: Pflegende sind dann mit verbalen, aber auch körperlichen oder sexuellen Übergriffen konfrontiert.
Auch unverarbeitete Erlebnisse in der Biografie können das Gewaltpotenzial von pflegebedürftigen Menschen steigern. (11)
Maßnahmen bei aggressiven Pflegebedürftigen
Die Ursachen dafür, warum Pflegebedürftige aggressiv reagieren oder Gewalt anwenden, sind divers. Deshalb gibt es auch nicht die eine Lösung, mit der Sie Aggressionen von Pflegebedürftigen reduzieren können. Bestimmte Herangehensweisen werden jedoch in der Fachliteratur empfohlen: (7)
- Nehmen Sie die pflegebedürftige Person, seine Gefühle und Bedürfnisse ernst. Machen Sie sich mit den Gewohnheiten, dem Lebensweg, den Bedürfnissen und Wünschen des Pflegebedürftigen vertraut. Wenn Sie erst einmal wissen, was die Aggressionen auslöst, können Sie kritische Situationen gegebenenfalls im Vorhinein umgehen.
- Versuchen Sie herauszufinden, was die Ursache für das Verhalten des Pflegebedürftigen ist. Hat derjenige vielleicht Schmerzen oder Angst oder empfindet er Scham?
- Unterstützen Sie den Pflegebedürftigen so stark wie möglich dabei, sich weiterhin im Alltag zu beteiligen und seine Interessen weiterzuverfolgen: Das trägt zu einem besseren Selbstwertgefühl bei.
- Bieten Sie eine Lösung für akute Probleme an: Das können Medikamenten gegen Schmerzen sein oder einfach die Ermunterung, zur Toilette zu gehen.
- Bleiben Sie freundlich, aber bestimmt. Reden sie bedächtig und bewegen Sie sich ruhig. Versuchen Sie, die ruhige Stimmung durch Blickkontakt auf die pflegebedürftige Person zu übertragen. So entschärfen Sie bedrohliche Situationen.
- Bringen Sie Gegenstände aus der Reichweite des Pflegebedürftigen, mit denen er schlagen oder werfen könnte.
- Nicht jede Situation, in der Pflegebedürftige Aggressionen zeigen, lässt sich entschärfen. Wenn es Ihnen nicht gelingt, ruhig zu bleiben, verlassen Sie kurz den Raum.
Krisentelefone für kurzfristigen Austausch
Sie brauchen in schwierigen Pflegesituationen kurzfristigen Austausch? Es gibt unterschiedliche Krisentelefone, die Sie rund um die Uhr erreichen können.
Beim Pflegetelefon des Bundesfamilienministeriums erhalten pflegende Angehörige Montag bis Donnerstag zwischen 9 und 16 Uhr telefonische Hilfe – die Nummer ist die 030/20179131. Die Beratenden sind aber auch per Mail erreichbar: info@wege-zur-pflege.de.
Rund um die Uhr erreichen Sie das PflegeNotTelefon Schleswig-Holstein unter der 01802/494847.
Neben diesen zwei telefonischen Angeboten gibt es weitere regionale Krisentelefone. Die Stiftung für Qualität in der Pflege listet sie auf ihrer Website auf.
Häufig gestellte Fragen
Was ist Gewalt in der Pflege?
Gewalt in der Pflege äußert sich sehr unterschiedlich: Dazu gehört zum Beispiel, jemanden zu ignorieren, das Gegenüber anzuschreien, ruppig zu sein oder Pflegebedürftige aus Bequemlichkeit falsch anzuziehen. Gewalt in der Pflege ist nicht immer böswillig, sie wird auch unbewusst und versehentlich ausgeübt. Nicht nur Pflegende können Gewalt ausüben, auch Pflegebedürftige werden gegenüber dem Pflegepersonal oder pflegenden Angehörigen, aber auch anderen Pflegebedürftigen aggressiv bis gewalttätig.
Wo fängt Gewalt in der Pflege an?
Es gibt verschiedene Formen von Gewalt in der Pflege, mit unterschiedlichen Stärken. Sie beginnt schon mit vermeintlich kleineren „Taten“: Zu körperlicher Gewalt zählt beispielsweise, jemanden absichtlich grob oder zu fest anzufassen oder zu schnell Nahrung zu verabreichen. Zu psychischer Gewalt zählt bereits, wenn das Gegenüber unangemessen angesprochen wird, zum Beispiel durch Anschreien oder Schimpfen – aber auch, wenn Bedürfnisse ignoriert oder heruntergespielt werden. Über Finanzen des Pflegebedürftigen unbefugt zu entscheiden ist finanzielle Ausbeutung. Den Pflegebedürftigen zu lange auf Hilfe warten zu lassen oder unzureichend im Alltag helfen spricht für eine beginnende Vernachlässigung.
Welche Gewalt gibt es in der Pflege?
Es gibt verschiedene Formen von Gewalt in der Pflege. Dazu zählen: körperliche Gewalt, psychische Gewalt, freiheitsentziehende Maßnahmen, Vernachlässigung, finanzielle Ausbeutung sowie sexualisierte Gewalt.
Wie definiert die WHO Gewalt in der Pflege?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gewalt als den „absichtlichen Gebrauch von angedrohtem oder tatsächlichem körperlichen Zwang oder physischer Macht gegen die eigene oder eine andere Person, gegen eine Gruppe oder Gemeinschaft“. Unter dem Begriff „elder abuse“ (englisch für „Missbrauch an Älteren“) bezieht sich die WHO für den Begriff der Gewalt in der Pflege auf jegliche Form von physischer, psychischer, sexueller oder finanzieller Misshandlung oder Vernachlässigung von Personen, die auf Pflege oder Unterstützung angewiesen sind. Dazu zählt unter anderem körperliche Gewalt, verbale oder emotionale Belästigung, Vernachlässigung sowie finanzielle Ausbeutung.
Wie geht man mit Gewalt in der Pflege um?
Gewalt in der Pflege ist nicht immer leicht erkennbar. Ein erster Schritt ist deshalb, die Wahrnehmung zu schärfen. Beobachten Sie eine bestimmte Art der Gewalt (körperliche, psychische, freiheitsentziehende, vernachlässigende, sexualisierte Gewalt oder finanzielle Ausbeutung), sollten Sie handeln: Sprechen Sie, soweit möglich, mit der betroffenen Person und bieten Sie Hilfe an. Zur Unterstützung können Sie sich auch an eine Beratungsstelle wenden. Wenn Sie körperliche Verletzungen entdecken, sollten Sie einen Arzt hinzuziehen. Auch die Polizei ist eine Anlaufstelle: Wenn Sie körperliche Verletzungen wahrnehmen, aber auch, wenn die betroffene Person bedroht, erpresst oder massiv vernachlässigt wird.(7)