Die Angst jedes älteren Menschen vor einem Sturz ist verständlich – und leider sogar begründet. Es wird geschätzt, dass rund 30 Prozent der über-65-Jährigen mindestens einmal in zwei Jahren stürzen. Bei Pflegebedürftigen, die zu Hause leben, soll der Anteil sogar noch höher sein: 65 Prozent von ihnen stürzen mindestens einmal jährlich. Hier hilft vor allem eines: eine gute Prävention, sprich: Sturzprophylaxe.
Stürze im Alter: Risikofaktoren
Das Thema „Sturz“ bzw. „Sturzprophylaxe“ ist so wichtig, dass es für professionell Pflegende sogar einen Expertenstandard gibt, der aktuelles Wissen und Handlungsanweisungen für die Sturzprävention vorgibt. Was für die professionelle Pflege gilt, ist auch für Sie als pflegenden Angehörigen wichtig. Schauen Sie sich einmal die häufigsten Risikofaktoren für einen Sturz an:
- Muskelschwäche (z. B. auch bei Mangelernährung)
- Bereits geschehener Sturz
- Gangstörungen
- Gleichgewichtsstörungen
- Einsatz von Hilfsmitteln (Gehstock, Rollator etc.)
- Sehbehinderungen
- Arthritis
- Dranginkontinenz
- Einschränkungen bei der Alltagsbewältigung
- Depression
Wenn Sie das Sturzrisiko für Ihren Angehörigen einmal einschätzen wollen, kommen Sie mit nur drei Fragen schon zu einer Erkenntnis:
- Ist der Betroffene bereits einmal gestürzt?
- Ist der Betroffene sehbehindert?
- Geht der Betroffene unsicher, weil ihm leicht schwindelig wird oder die Kraft in den Beinen nachgelassen hat?
Wenn Sie nur eine dieser drei Fragen oder gleich alle drei mit „ja“ beantworten, ist es höchste Zeit, dass Sie sich mit der Sturzprävention bzw. einer individuellen Sturzprophylaxe befassen.
Sturzprophylaxe: Definition & Ziele
Eine Sturzprophylaxe ist ein Bündel von Maßnahmen, die einem Sturzrisiko vorbeugen bzw. es vermeiden. Dazu zählen die Beratung des Betroffenen und seiner Angehörigen, das Training zum Umgang mit Hilfsmitteln sowie Bewegungsübungen zur Verbesserung der Kraft und des Gleichgewichts. Außerdem gehören zur Sturzprophylaxe die Beseitigung von Gefahren wie rutschige Teppiche oder gefährliche Teppichkanten, freiliegende Kabel oder Hindernisse wie Möbel oder Pflanzen, die wichtige Wege in der Wohnung versperren.
Die Ziele der Sturzprophylaxe sind es, Risiken zu erkennen und zu vermeiden. Außerdem ist ein individuelles Training nötig, das dem Pflegebedürftigen dabei hilft, sich so gut wie möglich bewegen zu können. Viele Experten weisen ausdrücklich darauf hin, dass Kraft, Balance und Reaktionsvermögen auch im Alter trainiert werden müssen – insbesondere bei Pflegebedürftigkeit. Denn: Bewegung verhindert Stürze.
Sturzprophylaxe: Maßnahmen
Die Maßnahmen zur Sturzprophylaxe lassen sich in drei große Gruppen einteilen:
- Personenbezogene Maßnahmen
wie Förderung des Gleichgewichts, Bewegungstrainings bei Gehstörungen, Kraft- und Ausdauertraining zur Förderung der Muskulatur, Berücksichtigung von Krankheiten, die die Bewegungsfähigkeit beeinträchtigen können (z. B. Multiple Sklerose, Parkinson, Nervenkrankheiten, Depression, Demenz, Blutdruckstörungen, Inkontinenz,
Sehbeeinträchtigungen etc.) - Medikamentenbezogene Maßnahmen
wie das Absetzen oder Anpassen von Medikamenten, die das Sturzrisiko erhöhen (z. B. blutdrucksenkende Mittel, Beruhigungs- oder Schlafmittel etc.) - Umweltbezogene Maßnahmen
wie die Anpassung von richtigen Schuhen, das Training mit Gehhilfsmitteln und vor allem die Beseitigung von Stolperfallen (z. B. Entfernen loser Teppiche und Kabel, ausreichende Beleuchtung der Räume, Haltegriffe etc.)
Alle drei Maßnahmen kommen für Sie bzw. Ihren pflegebedürftigen Angehörigen in Frage. Sie sollten sich zum einen mit Kraft- und Balancetraining beschäftigen, auf die Nebenwirkungen von Medikamenten achten und vor allem auch Stolperfallen in der Wohnung beseitigen.
Sturzprophylaxe: Übungen
Die wichtigste Übung, sozusagen die Basis jeder Sturzprophylaxe, lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Verursachen Sie keine Ängste! Sagen Sie Ihrem Angehörigen also eher nicht, was er alles lassen soll, um nicht zu stürzen, sondern im Gegenteil, was er noch tun kann, um beweglich zu bleiben.
Zwei wichtige Sturzvermeider sind eine stabile Balance und eine gute Arm- und Beinmuskulatur. Im Internet gibt es gute Seiten, auf denen Sie Übungen dazu ansehen können, die Sie mit Ihrem Angehörigen zusammen ausführen können, z. B. auf dem Blog die sanften Künste.
Sie wissen nicht so recht, wie Sie mit Ihrem pflegebedürftigen Angehörigen trainieren können? Zwei kleine Übungen bringen Sie vielleicht auf den Geschmack. Es ist einfacher, als Sie denken! Bauen Sie diese Übungen in den Tagesablauf ein und trainieren Sie regelmäßig mit Ihrem Angehörigen. Das kann und darf sogar Spaß machen!
Übung 1: Sturzprophylaxe-Übung im Sitzen
Bei dieser Übung wird die Muskulatur der Arme gestärkt. Das ist wichtig, wenn z. B. später beim Gehen Gehhilfen wie Rollator oder Gehstock eingesetzt werden. Eine kräftige Armmuskulatur hilft natürlich auch sehr, wenn es um das Festhalten geht.
- Die Person sitzt mit geradem Rücken auf einem Stuhl mit mindestens zehn Zentimeter Abstand zur Rückenlehne.
- In jede Hand wird nun eine Hantel genommen. Mit gebeugtem Ellbogen werden die Hanteln direkt vor der Brust gehalten. Die Hanteln dürfen sich berühren.
- Nun werden die Hanteln langsam nach außen geführt. Die Schulterblätter sollten sich dabei zusammenziehen.
- Die Hanteln werden langsam wieder in die Ausgangsposition zurückgeführt.
- Die Bewegungen werden in zwei Serien je fünf Mal wiederholt.
Übung 2: Balance-Übung zur Sturzprophylaxe
Das Ziel dieser Übung ist es, die Balance zu halten. Und das Gleichgewicht lässt sich trainieren.
- Die Person steht seitlich neben einem Stuhl und hält sich an der Lehne fest.
- Die Beine stehen hüftbreit, beide Füße ruhen fest auf dem Boden.
- Nun werden abwechselnd die Knie bis zur Brust angehoben. Träger einer Hüftprothese heben die Knie maximal waagerecht. Der Oberkörper bleibt aufrecht.
- Die Bewegungen werden in zwei Serien jeweils zehn Mal wiederholt.
Damit Sie das Sturzrisiko Ihres Angehörigen senken, ist körperliches Training wichtig. Beachten Sie bei jedem Training die folgenden Aspekte:
Sturzprophylaxe: Hilfsmittel
Ob Gehstock oder Rollator – jedes Hilfsmittel ist nur so gut wie sein adäquater Gebrauch. Wenn Ihr Angehöriger ein Hilfsmittel braucht, so müssen Sie sich eingehend beraten lassen – etwa im Sanitätsfachhandel. Beachten Sie bei jedem Hilfsmittel drei wichtige Kriterien:
- Ist das verordnete Hilfsmittel überhaupt für den Pflegebedürftigen geeignet?
- Gibt es eine Alternative, die evtl. viel sicherer und einfacher in der Handhabung ist?
- Wird Ihr Angehöriger umfassend in die Handhabung des Hilfsmittels eingewiesen?
Barrierefreies Wohnen als Sturzprophylaxe
Überprüfen Sie die Möglichkeit, die Wohnung Ihres Angehörigen barrierefrei bzw. barrierearm zu gestalten.
Barrierefreiheit in der Wohnung bedeutet für viele Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung einen großen Zugewinn an Sicherheit.
- Barrierefreies Badezimmer
So lässt sich bspw. die Wanne zur Dusche umbauen oder eine Sitzbadewanne mit Tür einbauen. Auch mit kleinen baulichen Maßnahmen lässt sich das Risiko zu stürzen reduzieren: Haltegriffe im Bad, z. B. in der Dusche oder an der Badewanne sowie neben der Toilette, sind schnell montiert und perfekte Greif- und Stützhilfen. Gerade im Badezimmer kann es schnell rutschig und damit gefährlich werden. Schenken Sie der Sicherung des Badezimmers also Ihre ganze Aufmerksamkeit. - Barrierefreie Küche
Oft sind Dinge wie Staubsauger, Töpfe oder Gewürze in der Wohnung so verstaut, dass man sie erst durch das Bücken oder Strecken des Körpers erreicht. Das sind gerade für bewegungseingeschränkte Menschen äußerst herausfordernde Situationen, die sie sehr verunsichern. In einer barrierefreien Küche sind die Arbeitsfelder so angeordnet, dass ein ergonomisches und kraftsparendes Arbeiten möglich wird. Die Pflegekasse übernimmt im Rahmen der Wohnraumanpassung bis zu 4.000 Euro für den Umbau, sofern die Selbstständigkeit von Menschen mit anerkanntem Pflegegrad gefördert wird und die Pflege damit erleichtert wird. Dies gilt auch für Treppenlifte, barrierefreie Türen sowie für Umbauten im barrierefreien Badezimmer. - Hilfsmittel für mehr Sicherheit
Auch die beste Prophylaxe kann keine Garantie geben, dass Ihr Angehöriger nicht doch einmal stürzt. Bei Knochenbrüchen wie dem Oberschenkelhalsbruch ist in den meisten Fällen eine schnelle OP vonnöten. Es ist niemandem zu wünschen, stunden- oder sogar tagelang am Boden liegend auf Hilfe warten zu müssen. Besonders alleinstehenden Senioren sowie ihren Familienmitgliedern kann ein Hausnotrufsystem Sicherheit geben. Ein Hausnotruf garantiert sofortige Hilfe im Notfall und gibt Betroffenen Gewissheit, dass Unfälle nicht unbemerkt bleiben.
Fort- und Weiterbildung: Sturzprävention
Für professionelle Pflegekräfte gibt es eine Reihe von Fort- und Weiterbildungen zur Sturzprophylaxe. Gelehrt wird praktisches Wissen zur Sturzprophylaxe z. B. nach dem Hamburger bzw. dem Ulmer Modell zur Sturzprävention.
- Sturzprophylaxe nach dem Hamburger Modell
Beim Hamburger Modell liegt der Schwerpunkt auf der Sturzprophylaxe bei Bewohnern von Pflegeheimen. In Pflegeheimen stürzen im Durchschnitt 50 Prozent der Bewohner einmal im Jahr. Deshalb werden strukturierte Informationen zu Hüftprotektoren vermittelt mit dem Ziel, die Akzeptanz bei Bewohnern und Angehörigen zu erhöhen. - Sturzprophylaxe nach dem Ulmer Modell
Beim Ulmer Modell der Sturzprävention geht es zum einen um ein Trainingsprogramm für Kleingruppen mit sechs bis zehn Personen. Trainiert werden dabei vor allem die Muskelkraft und das Gleichgewicht der Teilnehmer. Außerdem wird Wissen über pflegebegleitende Maßnahmen vermittelt: Neben dem richtigen Einsatz von Hüftprotektoren geht es um die Schaffung einer sicheren Umgebung als Teil der pflegerischen Verantwortung und um eine standardisierte Sturzdokumentation.
Auch für pflegende Angehörige gibt es viele Möglichkeiten, sich mit dem Thema Sturzprävention näher zu befassen. Zunächst sollten Sie sich in einer Pflegeberatung über individuelle Unterstützungsmöglichkeiten zur Pflege informieren. Gute Informationen erhalten Sie auch bei der Bundesinitiative Sturzprävention. Unter der Leitung von Wissenschaftlern haben sich hier Krankenkassen, Sport- und Wohlfahrtsverbände zusammengeschlossen und ein Empfehlungspapier für das körperliche Training zur Sturzprävention bei älteren, zu Hause lebenden Menschen zusammengestellt. Zum Empfehlungspapier der Bundesinitiative Sturzprävention geht es hier.
Auf der Seite der Bundesinitiative Sturzprävention finden Sie weitere Informationen und Kursprogramme. Auch auf pflege.de werden Sie als pflegender Angehöriger mit Informationen, Präventionsmaßnahmen und praktischem Pflegewissen versorgt – von A wie Anziehen bis Z wie Zahnpflege.