Hintergrund und Ausgangslage
Vor den Pflegestärkungsgesetzen war die finanzielle Lage für Menschen mit einer Demenzerkrankung oft schlecht. Sie erhielten nur minimale Pflegeleistungen und die Angehörigen wurden meistens mit der Betreuung allein gelassen. Ähnlich erging es Pflegebedürftigen mit psychischen Problemen.
Der Zugang zu den damals noch geltenden höheren Pflegestufen war nur möglich, wenn die regelmäßige körperliche Pflege des Pflegebedürftigen einen erheblichen Zeitaufwand erforderte. Dadurch wurden im Pflegesystem Menschen mit körperlichen Erkrankungen deutlich bevorzugt.
In der Diskussion wurde klar: Wenn man hier für Gerechtigkeit sorgen möchte, muss man radikale Reformen wagen. Und das hat man getan, indem man den Begriff der Pflegebedürftigkeit neu definiert hat und dabei auch die unfairen Pflegestufen durch das System der Pflegegrade ersetzt hat.
Allerdings brauchte es dafür drei große Gesetzespakete, die 2014, 2015 und 2016 verabschiedet wurden und dann 2016 sowie 2017 in Kraft getreten sind.
Das sind die drei Pflegestärkungsgesetze:
- Erstes Pflegestärkungsgesetz (PSG 1)
- Zweites Pflegestärkungsgesetz (PSG 2)
- Drittes Pflegestärkungsgesetz (PSG 3)
Außerdem wurde dafür mehr Geld benötigt, weshalb die Beiträge zur Pflegeversicherung zweimal erhöht wurden. Und zwar deutlich: Lagen die Beiträge 2014 noch bei 2,05 Prozent, stiegen sie 2017 auf letztlich 2,55 Prozent für Menschen mit Kindern. Für Kinderlose stiegen sie von 2,3 auf 2,8 Prozent.
Erstes Pflegestärkungsgesetz (PSG 1)
Das erste Pflegestärkungsgesetz (PSG I) wurde am 17.10.2014 vom Bundestag verabschiedet und trat am 01.01.2015 in Kraft. Darin wurden unter anderem zahlreiche Pflegeleistungen um durchschnittlich vier Prozent erhöht. Stärker erhöht wurden die Leistungen für Menschen mit einer Demenzerkrankung. (1)
Die wichtigsten Änderungen des PSG 1:
- Bessere Förderung von Tages- und Nachtpflege
- Mehr Leistungen für Menschen mit Demenz
- Kombinationsmöglichkeit von Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege
- Deutlich mehr Geld für Wohnraumanpassung
- Auflage eines Pflegevorsorgefonds
- Mehr Betreuung in der stationären Pflege
Höhere Leistungen für Pflegehilfsmittel zum Verbrauch
Für zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel wurde der monatliche Zuschuss der Pflegekassen zum 01.01.2015 auf 40 Euro erhöht. Zuvor lag der Zuschuss bei 31 Euro. Pflegehilfsmittel zum Verbrauch umfassen unter anderem Desinfektionsmittel, Einweghandschuhe und Mundschutz.
Bessere Förderung von Tages- und Nachtpflege
Vor dem ersten Pflegestärkungsgesetz gab es die Tages- und Nachtpflege auch schon, allerdings wurden die Leistungen dafür mit dem Pflegegeld und den Pflegesachleistungen verrechnet. Genau das wurde geändert: Seit dem PSG 1 gibt es ein eigenständiges Budget für die teilstationäre Pflege. (1)
Mehr Leistungen für Menschen mit Demenz
Bislang standen Menschen mit einer Demenzerkrankung bestimmte Pflegeleistungen erst zur Verfügung, wenn die Demenz bereits schwere körperliche Auswirkungen hatte. Dasselbe galt für Menschen mit einer geistigen Behinderung oder einer psychischen Erkrankung.
Mit dem Inkrafttreten des PSG 1 hatten diese Personen erstmals Zugang zu Kurzzeitpflege nach Krankenhausaufenthalten, Tages- und Nachtpflege, Pflegesachleistungen, dem Zuschuss zur Wohnraumanpassung sowie zum Wohngruppenzuschlag. (1)
Umgekehrt wurden die „Betreuungs- und Entlastungsleistungen“ (heute: Entlastungsbetrag) auch für alle anderen Pflegebedürftigen zugänglich gemacht. Diese Pflegeleistung stand zuvor nur Menschen mit einer Demenzerkrankung oder anderweitig eingeschränkten Alltagskompetenz zur Verfügung.
Kombinationsmöglichkeit von Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege
Durch die Neuerungen im Zuge des PSG 1 können Verhinderungs- und Kurzzeitpflege miteinander kombiniert werden. Ungenutzte Leistungsbeträge in einer der Leistungen können seitdem zum Teil für die jeweils andere Leistung verwendet werden.
Verhinderungspflege überbrückt die Abwesenheit einer Pflegeperson zuhause. Kurzzeitpflege bietet die Möglichkeit einer vorübergehenden stationären Pflege, wenn die Pflege zuhause zeitweise nicht oder nicht ausreichend gewährleistet werden kann. (1)
Deutlich mehr Geld für Wohnraumanpassung
Der Zuschuss zur barrierefreien Wohnraumanpassung lag bis zum PSG 1 bei 2.557 Euro und wurde auf 4.000 Euro erhöht. Außerdem dürften nun auch pflegebedürftige Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz diesen jetzt nutzen, zum Beispiel Menschen mit einer Demenzerkrankung. (1)
Auflage eines Pflegevorsorgefonds
Mit dem PSG 1 wurden auch die Beiträge zur Pflegeversicherung um 0,3 Prozentpunkte erhöht. Ein Teil der Mehreinnahmen floss dann in einen neuen Pflegevorsorgefonds. Damit sollten künftig notwendige Beitragssteigerungen abgemildert werden. (1)
Mehr Betreuung in der stationären Pflege
Zusätzliches Personal und Angebote zur Betreuung und Aktivierung in Pflegeheimen wurden mit dem ersten Pflegestärkungsgesetz verpflichtend eingeführt. Damit sollte die Lebensqualität in den Heimen verbessert und die Erhaltung von Fähigkeiten der Bewohner gestärkt werden. (1)
Zweites Pflegestärkungsgesetz (PSG 2)
Als bedeutendste Reform der Pflegeversicherung seit ihrer Gründung 1995 gilt das seit Januar 2016 geltende Zweite Pflegestärkungsgesetz (PSG II), das der Bundestag am 13.11.2015 beschlossen und der Bundesrat abgesegnet hatte.
Dabei wurde Grundlegendes verändert, damit Menschen mit einer Demenzerkrankung und allgemein „eingeschränkter Alltagskompetenz“ seit dem 01.01.2017 die gleichen Leistungen wie dauerhaft körperlich pflegebedürftige Personen erhalten können. (2)
Die wichtigsten Änderungen des PSG 1:
- Neue Definition von Pflegebedürftigkeit
- Pflegegrade statt Pflegestufen
- Neues Begutachtungssystem
Neue Definition von Pflegebedürftigkeit
Seit dem 01. Januar 2017 ist die vorhandene Selbständigkeit das wichtigste Kriterium für die Beurteilung einer Pflegebedürftigkeit. Zuvor war vor allem der körperliche Unterstützungsbedarf wichtig. Darin steckte eine tiefgreifende Revolution der Pflegeversicherung. (2)
Denn die Selbständigkeit als entscheidendes Kriterium war etwas völlig Neues. Und sie war die Grundlage für die Gleichstellung verschiedenster Arten von Pflegebedürftigkeit – so, wie wir sie heute kennen. Zur Finanzierung wurde der Beitrag zur Pflegeversicherung um 0,2 Prozentpunkte angehoben.
Pflegegrade statt Pflegestufen
Die drei Pflegestufen wurden zum Januar 2017 von den fünf neuen Pflegegraden abgelöst. Dabei gilt: Je höher ein Pflegegrad ist, desto unselbstständiger wird der Betroffene von den Gutachtern eingeschätzt und umso mehr Leistungen erhält er von seiner Pflegekasse. (2)
Neues Begutachtungssystem
Neue Kriterien für die Pflegebedürftigkeit und die Einführung der Pflegegrade machten auch eine Erneuerung des Begutachtungssystems notwendig. Dafür wurde das „Neue Begutachtungsassessment“ (NBA) eingeführt.
Damit prüfen Gutachter des Medizinischen Dienstes MD (bei gesetzlich Versicherten) und von Medicproof (bei Privatversicherten) seit Januar 2017 die Selbständigkeit einer Person und schlagen in ihren Gutachten einen Pflegegrad vor. Mehr dazu im Ratgeber zu den Pflegegraden. (2)
Drittes Pflegestärkungsgesetz (PSG 3)
Das dritte Pflegestärkungsgesetz (PSG III) wurde am 02.12.2016 vom Bundestag verabschiedet und trat genau wie das zweite PSG auch am 01.01.2017 in Kraft. Darin ging es vor allem um eine Neuordnung der Befugnisse und Aufgaben von Kommunen im Pflegesystem. (3)
Die wichtigsten Änderungen des PSG 1:
- Mehr Befugnisse für Kommunen
- Mehr Kontrolle gegen Betrugsmaschen
- Zuständigkeit für Pflege von Menschen mit Behinderung
Mehr Befugnisse für Kommunen
Insgesamt wollte man mit dem PSG 3 das Beratungsangebote vor Ort für Pflegende und Pflegebedürftige stärken. Damit diese Angebote bedarfsgerecht entstehen können, hat man die Kommunen in die Verantwortung genommen und deren Befugnisse gestärkt.
Kommunen erhielten zum Beispiel ein Initiativrecht zur Einrichtung neuer Pflegestützpunkte zur Beratung Hilfesuchender erhalten, deren Arbeit und Finanzierung dann in jedem Bundesland über eine Rahmenvereinbarung geregelt werden muss. (3)
Mehr Kontrolle gegen Betrugsmaschen
Man hatte erkannt, dass immer öfter bestimmte Betrugsmaschen genutzt wurden, um das System der Pflegeleistungen zum eigenen Vorteil auszunutzen. Deshalb wurden mit dem PSG 3 auch neue Kontrollmöglichkeiten für die Kassen geschaffen.
Vor allem der Medizinische Dienst MD, aber auch die Kranken- und Pflegekassen, können seitdem Qualitäts- und Abrechnungsprüfungen bei ambulanten Pflegediensten durchführen. (3)
Zuständigkeit für Pflege von Menschen mit Behinderung
Das PSG 3 klärte auch die Frage, welche Kostenträger bei der Pflege von Menschen mit Behinderungen für die Leistungen aufkommen. Diese Regelungen wurden mit dem dritten Pflegestärkungsgesetz eingeführt: (3)
- Benötigen Menschen mit Behinderung ambulante Pflege, so erhalten sie seit 2017 vorrangig Pflegeleistungen nach dem Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI) und nicht mehr Eingliederungshilfe nach dem Teilhabegesetz (SGB IX).
- Sind Betroffene hauptsächlich auf Eingliederungshilfe nach Teilhabegesetz (SGB IX) angewiesen, übernehmen deren Kostenträger auch die Kosten für notwendige häusliche Pflege – und nicht die Pflegekassen.
- Menschen mit Behinderung, die sich in stationärer Pflege befinden, haben Anspruch auf Leistungen von beiden Kostenträgern: Der Pflegeversicherung und der Eingliederungshilfe.
2025: Was bleibt von den Pflegestärkungsgesetzen?
Seit den drei Pflegestärkungsgesetzen ist viel Zeit vergangen und immer wieder wurde das deutsche Pflegesystem mit verschiedenen Reformen angepasst. Allerdings nie wieder so mutig und tiefgreifend wie mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz (PSG 2).
Die damals im Pflegesystem revolutionäre Gleichstellung von Menschen mit körperlichen Beschwerden und Menschen mit geistigen oder psychischen Erkrankungen wirkt bis heute nach und wurde auch nie wieder in Frage gestellt.
Was leider noch nicht ganz gelungen ist, das ist die Ablösung des Begriffs „Pflegestufen“ durch „Pflegegrade“ im allgemeinen Sprachgebrauch. Allerdings verkennt man die Wichtigkeit dieser Neuerung, wenn man dahinter nur einen Namenswechsel vermutet.
Häufig gestellte Fragen
Was bedeutet PSG?
PSG steht für „Pflegestärkungsgesetz“. Davon gab es drei Stück: PSG 1, PSG 2 und PSG 3, die im Zeitraum von 2015 bis 2017 in Kraft getreten sind, um die Pflege umfassend zu reformieren.
Was sind die Kernpunkte des PSG 1?
Das PSG 1 erhöhte die Pflegeleistungen, verbesserte die Unterstützung für Angehörige, führte Betreuungsangebote ein und stärkte die finanzielle Unterstützung für Pflegebedürftige.
Was sind die Kernpunkte des PSG 2?
Das PSG 2 führte einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff ein, erweiterte die Leistungen der Pflegeversicherung, um mehr Menschen Zugang zu ermöglichen, und ersetzte die Pflegestufen durch Pflegegrade.
Was sind die Kernpunkte des PSG 3?
Das PSG 3 konzentrierte sich auf die Verbesserung der Pflegequalität, stärkte die Rechte von Pflegebedürftigen in Pflegeheimen und förderte die ambulante vor der stationären Pflege. Es zielte auch darauf ab, die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte zu verbessern.