Was ist das SGB IX?
„Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen“ – lautet der Titel des Sozialgesetzbuches, das am 1. Juli 2001 in Kraft trat. Der Gesetzgeber überführte damit das Rehabilitations- und das Schwerbehindertenrecht in einen neuen, zeitgemäßen Gesetzeskatalog mit einer klaren Zielvorstellung: „Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Menschen erhalten Leistungen […], um ihre Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken“ (§ 1 SGB IX). (1) Zu den Leistungen gehören auch Hilfsmittel (§ 84 SGB IX), die die Einschränkungen ausgleichen, zum Beispiel barrierefreie Computer. (2)
Behinderung und Schwerbehinderung: Definition
Gleich zu Beginn definiert das neunte Sozialgesetzbuch, für welchen Personenkreis es gilt: Die Definition „Menschen mit Behinderung“, betrifft nach Paragraf 2 „Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinneseinschränkungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft“ hindern. Mit „einstellungsbedingten Barrieren“ sind Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen gemeint, während „umweltbedingte Barrieren“ beispielsweise bauliche Hürden wie Treppen sind. Damit eine Sinneseinschränkung als Behinderung gilt, muss die Einschränkung mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate anhalten.
Eine Schwerbehinderung wiederum wird erteilt, wenn ein Grad der Behinderung, kurz GdB, von wenigstens 50 vorliegt. Der Grad der Behinderung wird nachgewiesen durch einen gültigen Schwerbehindertenausweis vom jeweils zuständigen Versorgungsamt. Weitere Voraussetzungen sind ein Wohnsitz, ein Aufenthaltsort oder eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland. (3)
Gleichstellung nach SGB IX
Menschen mit einer Behinderung von Grad 30 und 40 erfahren einen besonderen Schutz durch das neunte Sozialgesetzbuch (SGB IX). Es hilft ihnen bei der sogenannten Gleichstellung (§ 2 Satz 3 SGB IX). So werden sie schwerbehinderten Menschen gleichgestellt, wenn sie wegen ihrer Behinderung keinen geeigneten Arbeitsplatz erlangen oder behalten können. Voraussetzung ist allerdings, dass der Arbeitsplatz sich behindertengerecht gestalten lässt. Eine Gehbehinderung und ein Job als Postbote schließen sich eher aus. Außerdem muss die Beschäftigung mindestens 18 Wochenstunden betragen.
Leistungen des SGB IX
Die SGB 9-Leistungen gliedern sich in drei große Teile:
- Teil 1 nennt die „Regelungen für Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohte Menschen“
- Teil 2 führt „Besondere Leistungen zur selbstbestimmten Lebensführung für Menschen mit Behinderungen (Eingliederungshilferecht)“ auf
- Teil 3 umfasst „Besondere Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen (Schwerbehindertenrecht)“
Eingliederungshilfe SGB IX
Eine Behinderung bedeutet nicht, dass der Betroffene seinen erlernten Beruf oder einen neuen nicht mehr ausüben kann oder erst gar keinen Beruf erlernen kann. Wer durch eine Behinderung eingeschränkt ist, hat ein Recht auf weitere Leistungen:
Die Leistungen der Eingliederungshilfe SGB IX & Hilfsmittel für Menschen mit Behinderung
Die medizinische Rehabilitation
In Teil 1, Paragraf 42 des SGB IX sind Leistungen definiert, die Menschen mit Behinderungen beziehungsweise von Behinderung bedrohten Menschen nutzen können, um zum Beispiel auch eine Pflegebedürftigkeit „zu vermeiden, zu überwinden, eine Verschlimmerung zu verhindern“. Dazu gehören unter anderem die Behandlung durch Ärzte, aber auch Arznei- und Verbandsmaterial, Psychotherapie oder Arbeitstherapie.
Die Teilhabe am Arbeitsleben
Paragraf 49 und nachfolgende gehören ebenfalls zu Teil 1. Darin wird genau beschrieben, welche Leistungen den Betroffenen zustehen, damit sie ihre Erwerbsfähigkeit weiterhin erhalten können oder gegebenenfalls wieder zu erlangen. Dabei geht es unter anderem darum, einen Arbeitsplatz oder eine Berufsausbildung so zu gestalten, dass auch ein Mensch mit Behinderung uneingeschränkt am Arbeitsleben teilnehmen kann.
Unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen
Gerade für Menschen, die einen anerkannten Pflegegrad haben, ist Paragraf 64 von Bedeutung. Rehasport, als Leistung der Krankenkasse und vom Hausarzt verordnet, ist ein gesetzlich garantierter Leistungsanspruch, den auch Menschen mit einem Pflegegrad in Anspruch nehmen können. Schließlich sollen auch sie die Chance haben, ihr Arbeits- oder Privatleben möglichst selbstständig zu meistern. Allerdings müssen die besuchten Einrichtungen zertifiziert sein, damit sie den Krankenkassen gegenüber abrechnungsfähig sind.
Zu den weiteren Leistungen gehören zum Beispiel Kranken-, Verletzten- oder Übergangsgeld, das von den zuständigen Stellen im Rahmen der medizinischen Rehabilitation geleistet wird.
Die Teilhabe an Bildung
In Teil 1 beschreibt Paragraf 75 Leistungen wie Hilfen zur Schulbildung, zur schulischen Berufsausbildung, zur Hochschulbildung und zur schulischen und hochschulischen beruflichen Weiterbildung. Es geht darum, dass Menschen mit Behinderung die Chancen auf Bildung gleichberechtigt wahrnehmen können, wie dies auch Menschen ohne Behinderung können.
Teil 2 ist mit dem Paragrafen 112 noch detaillierter und enthält Hinweise auf unter anderem Fernunterricht oder Praktika. Menschen, die mit einem Pflegegrad 1 oder 2 eingestuft sind, aber noch arbeiten wollen, können sich zum Beispiel beruflich umorientieren. So können sie beispielsweise von einem körperlich sehr fordernden Beruf in einen Schreibtischjob wechseln.
Die soziale Teilhabe
Wie auch die Rehabilitation ist die Teilhabe bereits im Namen des SGB IX enthalten. So definiert Paragraf 76 in Teil 1 die Leistungen zur sozialen Teilhabe als jene Leistungen, die den Menschen mit Behinderung eine Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen sollen. Damit sind Leistungen gemeint, die helfen sollen, Wohnraum zu beschaffen oder diesen auszubauen beziehungsweise nach Bedarf umzubauen. Ebenso werden Assistenzleistungen nach SGB IX, wie etwa Hilfen zur Haushaltsführung genannt, aber auch Leistungen zur Mobilität wie etwa ein Beförderungsdienst oder selbstständiges Führen eines Kraftfahrzeuges. Bezuschusst werden im Rahmen der Eingliederungshilfe SGB IX der Führerschein, die Anschaffung eines Autos oder dessen behindertengerechter Umbau, die Wartung und die Betriebskosten.
Ähnliches findet sich im Bundesteilhabegesetz (BTHG, §§ 113 ff.), wenn es um die selbstständige Lebensführung von Menschen mit Behinderungen geht. Das nennt sich Eingliederungshilferecht. Hier ist mit Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetz nun auch das sogenannte Poolen von Leistungen möglich. So können Leistungsberechtigte die dieselbe Leistung, etwa einen Fahrdienst, zur gleichen Zeit am gleichen Ort brauchen, diese Leistung poolen (§ 116 SGB IX). Sie bündeln also ihre Ansprüche. „Poolen“ stammt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie „bündeln“ oder „zusammenschließen“.
Pflegebedürftige kennen diese kostensparende Variante bereits, denn auch sie können – etwa in einer Pflege-WG – Leistungen poolen und dadurch Kosten sparen.
Das persönliche Budget
Menschen mit Pflegegrad kennen es bereits aus der Pflegeleistung: Mit dem Pflegegeld können sie sich Hilfeleistungen nach eigenem Ermessen besorgen. Ähnlich konstruiert ist auch das persönliche Budget, wie es in Paragraf 29 SGB IX benannt wird. So können Menschen mit Behinderung oder von Behinderung bedrohte Menschen ein persönliches Budget beantragen, das ihnen „in eigener Verantwortung ein möglichst selbstständiges Leben ermöglicht“. Statt von Rehabilitationsträgern Sachleistungen zu erhalten, werden die Aufwendungen mittels des Budgets vom Empfänger selbst bezahlt. So kann jeder selbst entscheiden, welche Hilfen nützlich sind. Ein Beispiel ist die Bezahlung eines Assistenten für im Wohnheim lebende Menschen mit Behinderung. Im Regelfall zahlt das Wohnheim den Assistenten. Wer ein persönliches Budget in Anspruch genommen hat, erhält das Budget selbst und bezahlt daraus die Assistenz.
Zu diesem persönlichen Budget gehört auch ein trägerübergreifendes Budget als sogenannte Komplexleistung. In der Komplexleistung werden Leistungsträger wie etwa Krankenkassen, Pflegeversicherung oder Unfallversicherung einbezogen. Damit entfällt zum Beispiel für einen Pflegebedürftigen die mehrfache Antragstellung, wenn er beispielsweise folgende Leistungen beanspruchen möchte:
- Ambulante Hilfe, betrifft SGB XI – Pflegeversicherung
- Teilnahme an Rehasportmaßnahmen, betrifft SGB V – Krankenversicherung
- Behindertengerechter Arbeitsplatz, betrifft SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen
Er muss sich lediglich an einen Träger wenden, erhält ein individuell zusammengestelltes persönliches Budget und bezahlt mit diesem die beanspruchten Leistungen. (4)
Wo kann das persönliche Budget beantragt werden?
Paragraf 6 SGB IX listet die Rehabilitationsträger auf, bei denen Hilfen beziehungsweise ein persönliches Budget beantragt werden können. Zu diesen Reha-Trägern gehören:
- Krankenkassen
- Bundesagentur für Arbeit
- Gesetzliche Unfallversicherer
- Rentenversicherungsträger
- Träger der Kriegsopferfürsorge
- Träger der öffentlichen Jugendhilfe
- Träger der Eingliederungshilfe
Bezahlt werden mit dem persönlichen Budget beispielsweise Hilfen bei der Pflege, eine Arbeits-Assistenz oder Hilfen für den Wohnraum.
Das persönliche Budget stärkt den Anspruch auf Teilhabe, schließlich sind Menschen mit Behinderungen „Expertinnen und Experten in eigener Sache“, wie die Bundesregierung betonte, als es 2008 den Rechtsanspruch auf das persönliche Budget ins neunte Sozialgesetzbuch einfügte. Am Anfang steht ein Reha-Antrag, der bei einem der obengenannten Leistungsträgern gestellt wird. Daraufhin wird der Hilfebedarf ermittelt. Wenn schon Leistungen bezogen wurden, werden die Preise für bestimmte Leistungen festgelegt.
Antrag stellen nach SGB IX
Ein Antrag nach dem neunten Buch Sozialgesetz kann beim zuständigen Sozialamt der Stadt oder der Kommune gestellt werden. Dazu muss allerdings niemand mehr aus dem Haus, denn das nötige Formular lässt sich einfach vom heimischen Computer aus online versenden. Der Suchbegriff „Antrag auf Schwerbehinderung“ plus Stadt oder Bundesland bringt Sie schnell zur entsprechenden Internetseite.
Verschlimmert sich eine bestehende Behinderung, haben Betroffene die Möglichkeit, mit einem Änderungsantrag nach dem neunten Buch Sozialgesetz einen höheren Grad der Behinderung zu beantragen.
Häufig gestellte Fragen
Was ist das SGB IX?
Das SGB IX ist das neunte Sozialgesetzbuch, in dem sich alle gesetzlichen Regelungen finden, die Menschen mit Behinderung die nötige Rehabilitation und die möglichst uneingeschränkte Teilhabe am (Arbeits-)Leben ermöglichen sollen.
Was bedeutet das SGB IX?
Alle Regelungen des neunten Sozialgesetzbuch bedeuten, dass Menschen mit Behinderungen genauso am Leben teilnehmen sollen und können, wie das Menschen ohne Behinderung möglich ist. Das SGB IX will Benachteiligungen aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen möglichst verhindern oder aber überwinden helfen.