Polyneuropathie – was ist das?
Polyneuropathie ist ein Sammelbegriff für Erkrankungen, die das periphere Nervensystem betreffen – also die Gesamtheit der Nerven, die außerhalb von Gehirn und Rückenmark verlaufen.
Periphere Nerven sind für die Wahrnehmung von Berührungen, Temperatur und Schmerzen, die Beweglichkeit der Muskulatur sowie die automatische Steuerung von Organen verantwortlich.(1)
Bei Polyneuropathien wird das Innere oder die Hülle der peripheren Nerven geschädigt. Dadurch werden die Signale vom und zum Rückenmark und Gehirn nicht mehr oder allenfalls fehlerhaft übertragen.
Das kann zu vielfältigen Beschwerden wie zum Beispiel Missempfindungen, Muskelschwäche, Koordinationsstörungen und Verdauungsstörungen führen und die Lebensqualität betroffener Personen wesentlich beeinträchtigen.(2)
In den meisten Fällen tritt die Polyneuropathie als Folge oder Begleiterscheinung von Erkrankungen auf.
Unterschied: Neuropathie, Polyneuropathie und Mononeuropathie
Der Begriff Neuropathie bezeichnet allgemein eine Schädigung oder Erkrankung der Nerven. Während die Mononeuropathie nur einen einzelnen Nerv betrifft, sind bei einer Polyneuropathie gleichzeitig mehrere Nerven des peripheren Nervensystems betroffen.
Formen von Polyneuropathie im Überblick
Es gibt nicht „die eine“ Polyneuropathie. Vielmehr umfasst der Begriff eine große und vielfältige Gruppe von Erkrankungen des peripheren Nervensystems, die sich nach mehreren Kriterien einteilen lassen. Die Infografik gibt Ihnen einen ersten Überblick über die verschiedenen Formen der Polyneuropathien.
Polyneuropathie-Formen je nach Einteilungskriterium, © pflege.de
Ursachen für eine Polyneuropathie
Die Wissenschaft kennt mittlerweile rund 600 Ursachen, die einer Polyneuropathie zugrunde liegen können. Dabei unterscheidet man zwischen angeborenen und im Laufe des Lebens erworbenen Ursachen.(4)
Genetisch bedingte Polyneuropathien, auch sogenannte hereditäre Polyneuropathien, sind jedoch deutlich seltener.(5)
Zu den häufigsten Auslösern von erworbenen Polyneuropathien zählen Diabetes mellitus und langjähriger, erhöhter Alkoholkonsum.(1)
Trotz ausführlicher Diagnostik lässt sich bei rund einem Viertel der Betroffenen keine Ursache für die Polyneuropathie feststellen. Man spricht in diesen Fällen auch von einer idiopathischen Polyneuropathie.(5)
Erkrankungen als Ursachen für Polyneuropathien
In den meisten Fällen stellt die Polyneuropathie keine eigenständige Krankheit dar, sondern tritt als Folge oder Begleiterscheinung einer Grunderkrankung auf. pflege.de fasst für Sie die häufigsten krankheitsbedingten Ursachen zusammen:(5)(6)(7)
- Metabolische Polyneuropathien werden durch Stoffwechselstörungen hervorgerufen. Neben Diabetes mellitus können auch Schilddrüsenerkrankungen oder chronische Leber- und Nierenerkrankungen eine Schädigung peripherer Nerven verursachen.
- Ein Vitamin-B12-Mangel kann eine Polyneuropathie begünstigen. Auch eine Unterversorgung mit Folsäure, Vitamin B1, B2 und B6 kann an der Entstehung einer Polyneuropathie beteiligt sein.
- Entzündliche Polyneuropathien werden überwiegend durch Autoimmun-Erkrankungen verursacht. Dazu zählen unter anderem das Guillain-Barré-Syndrom oder die chronisch-inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie, kurz CIDP. Seltener führen virale und bakterielle Infektionen wie HIV oder Borreliose zu entzündlichen Reaktionen, die die peripheren Nerven dauerhaft schädigen.
- Nach einer Corona-Erkrankung kann eine Small Fiber Neuropathie auftreten. Personen, bei denen eine Behandlung auf der Intensivstation notwendig war, sind im Anschluss häufig von dem sogenannten Post-Intensive-Care-Syndrom (PICS) betroffen, das sich unter anderem durch motorische Polyneuropathien auszeichnet.
Toxische Polyneuropathien
Giftstoffe können ebenfalls eine Schädigung peripherer Nerven hervorrufen. Die häufigste toxische Ursache ist Alkoholmissbrauch.(8)
Nach einer Chemotherapie treten bei etwa 25 bis 30 Prozent der Krebs-Patienten periphere Neuropathien auf.(1)
Darüber hinaus kann auch die längerfristige Einnahme bestimmter Medikamente wie zum Beispiel einiger Virostatika, Antibiotika und Cholesterinsenker zur Entstehung von Polyneuropathien beitragen.(9)
Zahlreiche Umweltgifte wie Arsen, Blei und Quecksilber, Schädlingsvernichtungsmittel wie Lindan und DDT sowie organische Lösungsmittel wie Hexacarbone sind ebenfalls als Auslöser von toxischen Polyneuropathien bekannt.(8)
Diabetische Polyneuropathie
Bei etwa jedem zweiten Patient mit Diabetes mellitus treten im Laufe des Lebens Nervenschäden auf. Diese entstehen durch langfristig erhöhte Blutzuckerwerte, die die feinen Blutgefäße schädigen, welche die peripheren Nerven mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgen.(1)
Anzeichen und Symptome bei diabetischen Nervenschäden
Die diabetische Polyneuropathie kann mit unterschiedlichen Symptomen einhergehen. Meistens machen sich „sockenförmige“ Sensibilitätsstörungen vom Vorderfuß bis in Knöchelhöhe wie Missempfindungen, Kribbeln, Taubheitsgefühle und teilweise brennende oder stechende Schmerzen bemerkbar.
Charakteristisch ist, dass die Beschwerden nachts stärker wahrgenommen werden und sich bei Bewegung bessern.
Da die Symptome Körperbereiche betreffen, die am weitesten vom Rumpf entfernt (distal) sind und an beiden Füßen auftreten, sprechen Ärzte von einer distal-symmetrischen Polyneuropathie. Sie ist oftmals mit einem unsicheren Gang verbunden.
Manche Menschen haben Empfindungsstörungen. Sie spüren kaum noch Temperaturunterschiede, Berührungen und Schmerzreize. Werden deshalb Druckstellen oder Verletzungen an den Füßen nicht mehr wahrgenommen, können sich schwere Wunden entwickeln. Im weiteren Verlauf kann sich die Polyneuropathie proximal, also näher zur Körpermitte hin, ausbreiten.
Bei Diabetes mellitus kann es auch zu einer Schädigung der autonomen Nerven kommen. Je nachdem, welches Organ betroffen ist, äußert sich die sogenannte vegetative diabetische Neuropathie mit Verdauungsproblemen, Herzrhythmusstörungen, Potenz- und Blasenentleerungsstörungen und/oder übermäßigem Schwitzen.(10)(11)
Vorbeugung der diabetischen Polyneuropathie
Die diabetische Polyneuropathie ist leider nicht heilbar. Durch eine sehr gute Einstellung des Blutzuckerspiegels und eine gesunde Lebensweise kann das Risiko für Nervenschäden jedoch gesenkt beziehungsweise deren Fortschreiten verzögert werden.(11)
Ausführliche Informationen zu Medikamenten und weiteren Therapieoptionen finden Sie im Abschnitt Behandlung von Polyneuropathie.
Alkoholische Polyneuropathie
Wenn Menschen über einen längeren Zeitraum regelmäßig und in übermäßigen Mengen Alkohol konsumieren, sodass körperliche, psychische und soziale Schäden entstehen, ist die Rede von chronischem Alkoholismus. Mindestens 20 Prozent der Betroffenen entwickeln eine alkoholische Polyneuropathie.(8)
Sie tritt symmetrisch auf und zeigt sich anfangs meist mit Beschwerden an Fußsohlen, Zehen und Vorderfuß. Häufig kommt es zu einem Schwund der Fuß- und Wadenmuskulatur und infolgedessen zu einer Gangstörung. Bei einigen Betroffenen beginnt die Erkrankung an den kleinen Handmuskeln, was die Feinmotorik beeinträchtigen kann.(1)
Übermäßiger Alkoholkonsum ist oft auch mit einem Mangel an Vitamin B12, Folsäure sowie Vitamin B2 und Vitamin B6 verbunden. Eine Unterversorgung mit diesen Nährstoffen kann das Risiko für die Entstehung einer Polyneuropathie zusätzlich erhöhen.(5)
Small Fiber Polyneuropathie
Polyneuropathien betreffen im Allgemeinen die großen peripheren Nervenbahnen. Die Medizin spricht deshalb auch von „Large Fiber Neuropathien“. Bei der speziellen Form der Small Fiber Neuropathie, kurz SFN, sind hingegen die kleinen sensiblen und autonomen Nervenfasern geschädigt.(2)
Symptome bei Small Fiber Neuropathie
Typisch für die Small Fiber Neuropathie sind anhaltende oder in Schüben auftretende Symptome wie Kribbeln, brennende Schmerzen und eine gestörte Temperaturwahrnehmung an beiden Füßen und Händen.
Teilweise treten diese Beschwerden einseitig an anderen Körperstellen, auch an Brustkorb und Gesicht, auf. Zusätzlich können sich autonome Symptome wie zum Beispiel Herzklopfen, Blutdruckschwankungen, Verdauungsprobleme, Inkontinenz, Hautveränderungen, trockene Augen und Sehstörungen zeigen.
Ursachen für eine Small Fiber Neuropathie
Die häufigsten Auslöser für eine Small Fiber Neuropathie sind Diabetes mellitus und eine gestörte Glukosetoleranz. Zu der langen Liste möglicher Ursachen zählen auch Alkoholmissbrauch, Medikamente wie Chemotherapeutika, Infektionen sowie Auto-Immunerkrankungen wie das Sjögren-Syndrom, Zöliakie und monoklonale Gammopathie. In einigen Fällen wurde SFN als mögliche Folge von COVID-Erkrankungen beobachtet.(12)(13)
Polyneuropathie: Symptome und Anzeichen
Eine Polyneuropathie kann sich mit ganz unterschiedlichen Symptomen bemerkbar machen – abhängig davon, ob die Signalübertragung bei sensiblen, motorischen oder autonomen Nervenfasern des peripheren Nervensystems beeinträchtigt ist.
Sensible Symptome bei Polyneuropathie
Die sensiblen Nervenfasern leiten Empfindungen wie Berührungen, Temperatur und Schmerzen vom Körper an das Gehirn weiter.
Typische Symptome einer sensorischen Polyneuropathie sind Missempfindungen wie
- Kribbeln oder „Ameisenlaufen“,
- Schwellungs- und Taubheitsgefühle
- sowie starke brennende oder stechende Schmerzen an betroffenen Körperteilen.
Oftmals ist auch das Temperatur- und Schmerzempfinden stark herabgesetzt.(1)
Motorische Symptome bei Polyneuropathie
Motorische Nervenfasern sind für die Steuerung der Muskulatur verantwortlich. Werden die Impulse nicht mehr richtig übertragen, kann es zu Koordinationsstörungen, unwillkürlichen Muskelzuckungen, Muskelkrämpfen, Lähmungen sowie mit der Zeit zu Muskelschwund kommen.(1)
Treten zusätzlich zu motorischen Symptomen noch sensible Beschwerden auf, sprechen Ärzte auch von einer sensomotorischen Polyneuropathie.
Autonome Symptome bei Polyneuropathie
Das autonome oder auch vegetative Nervensystem regelt automatisch ablaufende Prozesse im Körper wie Herzschlag, Blutdruck, Stoffwechsel und Verdauung, Blasenkontrolle, die Bildung von Körperflüssigkeiten und sexuelle Reaktionen.
Die Schädigung autonomer Nervenfasern kann zahlreiche Symptome wie Herzrhythmusstörungen, Blutdruckabfall beim Aufstehen, Magen-Darm-Beschwerden, verstärkte oder verminderte Schweißbildung, Inkontinenz oder Erektionsstörungen hervorrufen.(2)
Wo treten die Beschwerden bei einer Polyneuropathie auf?
Die ersten Anzeichen einer Polyneuropathie zeigen sich vorrangig an den vom Rumpf am weitesten entfernten Stellen. Das sind meistens die Füße oder manchmal die Hände.
Bei Menschen mit Diabetes mellitus beginnt die Polyneuropathie gelegentlich auch an den Oberschenkeln.
Die Beschwerden machen sich überwiegend symmetrisch an beiden Seiten des Körpers bemerkbar.
Treten die Symptome asymmetrisch nur in einem Bereich auf, können unter anderem Gefäßentzündungen, Infektionen wie Borreliose oder auch Umweltgifte wie Blei ursächlich sein.(5)
Akute und chronische Polyneuropathien
Wie schnell Symptome auftreten und wie lange sie anhalten, kann je nach Art der Polyneuropathie stark variieren:(7)
- Akute Polyneuropathie: Die Symptome entwickeln sich innerhalb weniger Tage bis maximal vier Wochen. Typisch ist dies zum Beispiel beim Guillain-Barré-Syndrom. In schweren Fällen können binnen Stunden lebensbedrohliche Komplikationen auftreten.
- Chronische Polyneuropathien: Anfangs zeigen sich nur leichte Symptome, die sich im weiteren Verlauf oft verschlimmern und über Monate bis Jahre bestehen.
Ablauf der Diagnostik bei einer Neuropathie
Bei Missempfindungen oder anderen Beschwerden, die im Zusammenhang mit einer Neuropathie stehen könnten, ist der Hausarzt die erste Anlaufstelle. Er kennt die medizinische Vorgeschichte und die aktuelle Medikamenteneinnahme.
Bei einem Verdacht auf Polyneuropathie verweist er an einen Facharzt für Neurologie, der auf Erkrankungen des Nervensystems spezialisiert ist.
Da inzwischen circa 600 mögliche Ursachen für eine Polyneuropathie bekannt sind, ist bei der Neuropathie-Diagnostik ein strukturiertes Vorgehen notwendig.
Basisdiagnostik bei Polyneuropathie
Gemäß der Leitlinie „Diagnostik bei Polyneuropathien“ werden folgende Basisuntersuchungen durchgeführt:(14)
- Anamnese: Bei der Erfassung der Krankengeschichte fragt der Neurologe nach den aktuellen Symptomen und ihrem ersten Auftreten, Grunderkrankungen und Medikation. Risikofaktoren wie Alkoholkonsum werden ebenfalls erfragt.
- Klinische Untersuchung: Bei der körperlichen Untersuchung werden Reflexe, Temperatur-, Schmerz- und Vibrationsempfinden an betroffenen Gliedmaßen überprüft sowie Gleichgewicht, Stand, Gang und Muskelkraft getestet. Eine mögliche Beteiligung des vegetativen Nervensystems wird unter anderem mit der Pupillenreaktion des Auges und Tests zur Blutdruckregulation erfasst.
- Nervenleitgeschwindigkeit (NLG): Gemessen wird, wie schnell elektrische Signale durch die Nerven geleitet werden. Verzögerungen weisen auf Nervenschäden hin und helfen, zwischen verschiedenen Neuropathie-Arten zu unterscheiden.
- Elektromyografie (EMG): Mit der Messung der elektrischen Aktivität der Muskeln kann festgestellt werden, ob die Muskelschwäche durch eine Nervenschädigung oder den Muskel selbst verursacht wird.
- Bluttests: Einige Ursachen wie Diabetes, Vitaminmangel, Lebererkrankungen oder Infektionen lassen sich mit einer Bestimmung der Blutwerte erkennen.
Spezialuntersuchungen bei Polyneuropathie
Oftmals genügen die Basisuntersuchungen, um die Ursache der Polyneuropathie zu klären und die Diagnose Neuropathie zu sichern. In einigen Fällen ist eine erweiterte Diagnostik notwendig:(14)
- Haut- oder Nervenbiopsie: Bei Verdacht auf eine Small Fiber Neuropathie oder andere seltene Formen kann eine Gewebeprobe aus der Haut oder einem Nerv entnommen werden, um spezifische Veränderungen festzustellen.
- Spezielle Laboruntersuchungen: Das Blut wird auf spezifische Antikörper getestet. Andere Blutparameter wie zum Beispiel der Rheumafaktor können auf Erkrankungen hinweisen, die als mögliche Auslöser einer Neuropathie bekannt sind.
- Untersuchung des Hirnwassers: Einige Erkrankungen lassen sich im Hirnwasser beziehungsweise Liquor nachweisen, das durch eine Lumbalpunktion entnommen wird.
- Gentest: Bei einer familiären Häufung kann ein Gentest angezeigt sein.
- Bildgebung: Mittels hochauflösender Sonographie können beispielsweise Veränderungen in der Dicke eines Nervs detektiert werden. Nervenveränderungen können auch durch spezialisierte MRT-Techniken wie der MR-Neurographie nachgewiesen werden.
Behandlung von Polyneuropathie
Trotz großer medizinischer Fortschritte gibt es kein „Wundermittel“ gegen Polyneuropathie.
Ist die Ursache der Neuropathie eine Erkrankung, steht als Erstes deren gezielte Behandlung an. So ist zum Beispiel bei Diabetes mellitus eine optimale Blutzuckereinstellung unerlässlich. Für einige immun-vermittelte und entzündliche Erkrankungen stehen wirksame medikamentöse Therapien zur Verfügung.(5)
Wurde die Polyneuropathie durch toxische Substanzen ausgelöst, ist darauf möglichst zu verzichten.
Rufen bestimmte Medikamente als Nebenwirkung neuropathische Beschwerden hervor, sollte in Absprache mit dem Arzt auf ein Präparat mit einer anderen Zusammensetzung umgestiegen werden.
Bei Alkoholismus als Ursache ist eine sofortige, lebenslange Abstinenz angezeigt. Da es schwierig ist, sich selbstständig von einer Suchterkrankung zu befreien, sollte man sich nicht scheuen, professionelle Hilfe – beispielsweise in Form einer Entwöhnungskur – in Anspruch zu nehmen.(1)
Zusätzlich gibt es verschiedene Möglichkeiten zur symptomatischen Behandlung. Diese richtet sich danach, welche Beschwerden im Vordergrund stehen. Experten empfehlen einen kombinierten Ansatz, der eine medikamentöse Therapie mit nicht-medikamentösen Maßnahmen wie zum Beispiel Physiotherapie ergänzt.(12)
Schmerztherapie bei Neuropathie
Ein zentraler Bestandteil der symptomatischen Behandlung ist die Schmerztherapie, da etwa 50 Prozent der Betroffenen unter neuropathischen Schmerzen leiden.(12)
Schmerzmittel bei Polyneuropathie
Klassische Schmerzmittel sind bei Polyneuropathie nur schlecht wirksam. Zum Einsatz kommen stattdessen in erster Linie bestimmte Antiepileptika und Antidepressiva, die sich bei Nervenschmerzen bewährt haben.
Aufgrund häufig auftretender Nebenwirkungen wie Schwindel, Müdigkeit und Konzentrationsstörungen ist abzuwägen, ob und welches Präparat im Einzelfall geeignet ist.
Wichtig ist zudem, dass die verordnete Dosierung exakt eingehalten wird. Eine komplette Schmerzfreiheit lässt sich mit den Medikamenten nicht erreichen.
In schweren Fällen können Opioide in Betracht gezogen werden. Diese werden jedoch allenfalls für eine kurze Zeit verschrieben, da sie zu einer Abhängigkeit führen können.(11)(12)
Schmerzmittel zur äußerlichen Anwendung
Eine Alternative zu oralen Medikamenten können Schmerzpflaster mit hochdosiertem Capsaicin oder Lidocain sein, insbesondere bei lokalisierten Beschwerden wie Schmerzen und Missempfindungen. Sie gelten im Allgemeinen als gut verträglich, da sie weniger systemische Nebenwirkungen aufweisen.(15)
Medizinisches Cannabis bei Polyneuropathie
Seit 2017 können Ärzte in Deutschland medizinisches Cannabis auf Rezept verschreiben. Der Einsatz von medizinischem Cannabis bei chronischen neuropathischen Schmerzen wird kontrovers diskutiert. Während sich in einigen Studien ein positiver Effekt zeigte, konnte in anderen Untersuchungen keine Wirkung nachgewiesen werden.(16)(17)
In einem Interview mit pflege.de spricht eine Schmerzpatientin über ihre Erfahrungen mit einer Cannabis-Therapie und wie diese ihren Lebensalltag verändert hat.
Physiotherapie und Ergotherapie bei Polyneuropathie
Physiotherapie kann bei motorischen Einschränkungen und Gangunsicherheit dazu beitragen, die Beweglichkeit und Stabilität zu verbessern. Mit einfachen, individuell abgestimmten Übungen wird die Muskulatur gestärkt und das Gleichgewicht geschult, um Stürzen vorzubeugen.
Bei feinmotorischen Störungen kann ein ergotherapeutisches Training hilfreich sein.(12)
Nervenstimulation bei Polyneuropathie
Bei der transkutanen Elektrostimulation, kurz TENS, werden kleine Elektroden auf die Haut geklebt, die sanfte elektrische Impulse abgeben. Diese Impulse können helfen, Schmerzen zu lindern und das Nervensystem zu stimulieren.
Bei Polyneuropathie kann TENS dabei unterstützen, neuropathische Schmerzen zu lindern, indem sie die individuelle Schmerzschwelle erhöht und die Schmerzweiterleitung zum Gehirn blockiert.(18)
Naturheilkunde bei Polyneuropathie
Naturheilkundliche Therapieansätze können die Behandlung von neuropathischen Beschwerden unterstützen, insbesondere physikalische Verfahren wie zum Beispiel:
- Wassertreten nach Kneipp
- Aquagymnastik
- Kalte Unterschenkelgüsse
- Lehmpackungen
- Regelmäßige Saunagänge
Zu beachten ist, dass bei einer Polyneuropathie oftmals das Temperaturempfinden herabgesetzt ist. Um Erfrierungen und Hitzeschäden zu vermeiden, ist daher bei Kälte- und Wärmeanwendung eine besondere Sorgfalt geboten.(20)
Einige Patienten haben bei chronischen neuropathischen Beschwerden auch positive Erfahrungen mit Akupunktur gemacht.
Chancen auf Rückbildung einer Polyneuropathie
Ob eine Neuropathie heilbar ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Bei einigen Formen kann es zur vollständigen Rückbildung kommen, insbesondere bei akuten Polyneuropathien wie dem Guillain-Barré-Syndrom bestehen gute Chancen auf eine Gesundung.(21)
Eine komplette Rückbildung innerhalb einiger Monate ist auch bei Post-COVID-Neuropathien zu erwarten.(22)
Viele Polyneuropathien weisen einen chronischen Verlauf auf und begleiten Betroffene über eine lange Zeit. Ob eine Rückbildung möglich ist, können im individuellen Fall nur die behandelnden Ärzte abschätzen. Oft lässt diese Frage erst nach einer gewissen Behandlungsdauer beantworten.
Je nach Art und Schweregrad der Symptome kann die Lebensqualität betroffener Personen beeinträchtigt sein. Auf die Lebenserwartung wirkt sich eine Polyneuropathie im Allgemeinen jedoch nicht aus.
Spezialklinik für Polyneuropathie
Viele Reha-Einrichtungen und Fachkliniken für Neurologie bieten eine umfassende Diagnostik bei neuropathischen Erkrankungen und Therapieansätze, die individuell auf die jeweiligen Patienten-Bedürfnisse abgestimmt sind.
Stehen die Schmerzen bei Polyneuropathie im Vordergrund, kann der Aufenthalt in einer speziellen Schmerzklinik hilfreich sein.
Der interdisziplinäre Ansatz dieser Kliniken ermöglicht eine optimale Betreuung durch Schmerztherapeuten, Internisten, Neurologen und weitere Fachkräfte.
Hilfe und Tipps für Betroffene mit Polyneuropathie
Wenn Sie von einer Polyneuropathie betroffen sind, können Sie selbst einiges tun, um den Behandlungserfolg zu unterstützen. Oft tragen schon kleine Anpassungen im Alltag dazu bei, sich deutlich besser zu fühlen.
Selbsthilfegruppen für Menschen mit Polyneuropathie
In einer Selbsthilfegruppe treffen Sie auf Menschen, die genau verstehen, was es bedeutet, mit Polyneuropathie zu leben. Hier können Sie sich mit anderen Betroffenen über ihre Erfahrungen austauschen und praktische Tipps für den Alltag erhalten. Zu wissen, dass man mit den Herausforderungen nicht alleine ist, kann den Umgang mit der Erkrankung erleichtern.
Informationen über regionale Selbsthilfegruppen finden Sie beim Deutschen Polyneuropathie Selbsthilfe e.V.. Anlaufstellen für Patienten mit Diabetes mellitus sind auf dem Diabetesinformationsportal gelistet.
Ernährung bei Polyneuropathie
Ein spezielles Ernährungskonzept ist bei Polyneuropathie im Allgemeinen nicht notwendig – mit einer ausgewogenen Ernährungsweise versorgen Sie Ihren Körper mit allen essenziellen Vitaminen und Nährstoffen. Achten Sie besonders auf eine ausreichende Zufuhr von B-Vitaminen, da diese für das Nervensystem unverzichtbar sind.
Eine Nahrungsergänzung mit Folsäure, B12 oder anderen B-Vitaminen ist nur angeraten, wenn bei Ihnen ein ärztlich nachgewiesener Mangel besteht. Eine unkontrollierte Einnahme kann zahlreiche Nebenwirkungen hervorrufen, daher lassen Sie sich hierzu bitte von einem Arzt beraten.(5)
Auf Alkohol und stark zuckerhaltige Lebensmittel sollten Sie möglichst verzichten, da sie Nervenschäden verschlimmern können.
Ausführliche Ernährungsempfehlungen für Menschen mit Diabetes mellitus finden Sie in unserem Diabetes-Ratgeber.
Sport und Bewegung bei Polyneuropathie
Regelmäßige Bewegung kann neuropathische Beschwerden lindern und die Regeneration der Nerven anregen. Ideal ist die Kombination aus einem moderaten Ausdauertraining und Krafttraining. Besprechen Sie vorab mit Ihrem Arzt, welche Sportarten für Sie geeignet sind.
Zur Verbesserung von Gleichgewicht und Mobilität können schon einfache Übungen wie das Stehen auf einem Bein oder Gehen auf einer Linie helfen. Auch Fußgymnastik fördert die Beweglichkeit und stabilisiert die Muskulatur.
Sorgfältige Fußpflege bei Polyneuropathie
Bei Sensibilitätsstörungen ist eine tägliche Fußpflege unverzichtbar. pflege.de gibt Ihnen Tipps, worauf Sie hierbei achten sollten:
- Untersuchen Sie Ihre Füße täglich auf Druckstellen, Wunden und Verletzungen.
- Waschen Sie die Füße circa drei bis fünf Minuten in einem lauwarmen Fußbad bei maximal 37 Grad Celsius und trocknen Sie sie sorgfältig ab.
- Cremen Sie Haut anschließend mit einer feuchtigkeitsspendenden Fußcreme ein.
- Kürzen Sie die Fußnägel mit einer Nagelfeile anstatt mit der Schere, um Verletzungen zu vermeiden. Die Hornhaut lässt sich mit einem Bimsstein sanft entfernen.
Weitere Tipps und Informationen rund um das Thema Körperpflege lesen Sie in unserem Ratgeber Körper- und Hautpflege in der häuslichen Pflege.
Das richtige Schuhwerk bei Polyneuropathie
Taubheitsgefühle oder eine eingeschränkte Schmerz- und Temperaturempfindung können das Risiko für Stürze und Verletzungen am Fuß erhöhen. Umso wichtiger ist es, dass Sie geeignetes Schuhwerk tragen. pflege.de gibt Ihnen hierzu drei Tipps an die Hand:
- Wählen Sie bequeme, flache Schuhe aus weichen Materialien, möglichst aus Leder.
- Tragen Sie Ihre Schuhe gut ein und überprüfen Sie sie vor dem Anziehen auf drückende Nähte oder kleine Steinchen.
- Wechseln Sie täglich die Socken. Ideal sind Strümpfe ohne Naht aus atmungsaktiven Materialien.
Mehr zu speziellen Maßnahmen, mit denen Sie Stürzen gezielt vorbeugen können, lesen Sie in unserem Ratgeber Sturzprophylaxe.
Hilfsmittel bei Polyneuropathie
Verschiedene Hilfsmittel können das Leben mit Polyneuropathie erleichtern. Mögliche Hilfsmittel sind zum Beispiel:
- Sensomotorische Schuheinlagen mit spezieller Polsterung für eine bessere Tiefenwahrnehmung
- Weichbettungseinlagen für Menschen mit Diabetes mellitus federn die Füße vor Stößen ab und verringern das Verletzungsrisiko
- Verschiedene Gehhilfen wie beispielsweise Gehstöcke oder Rollatoren geben Stabilität und Sicherheit bei Gangunsicherheit und Gleichgewichtsproblemen
- Stütz- und Haltegriffe können die Sicherheit im Badezimmer erhöhen
Häufig gestellte Fragen
Was ist Polyneuropathie?
Polyneuropathie ist ein Sammelbegriff für Erkrankungen, die periphere Nerven betreffen. Diese sind für die Wahrnehmung von Temperatur und Schmerzen, die Beweglichkeit der Muskulatur und automatische Steuerung von Organen verantwortlich. Häufige Symptome sind Empfindungsstörungen und Schmerzen an den Füßen.
Was ist Polyneuropathie für eine Krankheit?
Es gibt nicht „die eine“ Polyneuropathie. Vielmehr umfasst der Begriff eine große und vielfältige Gruppe von Erkrankungen des peripheren Nervensystems. Detaillierte Informationen zu den verschiedenen Formen der Polyneuropathie finden Sie in diesem Ratgeber auf pflege.de.
Wodurch entsteht Polyneuropathie?
Bei Polyneuropathien kommt es zu einer Schädigung der peripheren Nerven oder ihrer Hülle. Dadurch werden die Signale vom und zum Rückenmark und Gehirn nicht mehr oder nur noch fehlerhaft übertragen.
Was ist der Unterschied zwischen Polyneuropathie und Neuropathie?
Neuropathie bezeichnet allgemein eine Schädigung oder Erkrankung peripherer Nerven. Bei einer Polyneuropathie sind gleichzeitig mehrere Nerven betroffen.
Was ist eine periphere Polyneuropathie?
Bei einer peripheren Polyneuropathie sind mehrere Nerven des peripheren Nervensystems betroffen, also die Gesamtheit der Nerven, die außerhalb von Gehirn und Rückenmark verlaufen.
Wie sind die Heilungschancen bei Polyneuropathie?
Die Heilungschancen hängen davon ab, welche Ursache der Polyneuropathie zugrunde liegt. Bei einigen Arten bestehen gute Aussichten auf eine Rückbildung. Viele Formen sind jedoch nicht heilbar, aber gut behandelbar.
Was hilft bei Polyneuropathie?
Liegt der Polyneuropathie eine Erkrankung zugrunde, steht als Erstes deren gezielte Behandlung an. Zusätzlich gibt es verschiedene Möglichkeiten zur symptomatischen Behandlung. Diese richtet sich nach den vorliegenden Beschwerden. Experten empfehlen einen multimodalen Ansatz, der eine medikamentöse Therapie mit nicht-medikamentösen Maßnahmen ergänzt.
Zu welchem Arzt geht man bei einer Polyneuropathie?
Erste Anlaufstelle ist der Hausarzt. Bei Verdacht auf eine Polyneuropathie überweist der Hausarzt an einen Neurologen.