Umgang mit Demenz: Tipps für Angehörige

Umgang mit Demenzerkrankten

Eine Demenzerkrankung bringt viele Herausforderungen mit sich – nicht nur für Betroffene, sondern insbesondere auch für Angehörige. Manchmal verstärken sich kleine Charaktereigenschaften, manchmal verändert sich die Persönlichkeit der erkrankten Person stark. Je nach Art der Demenzform und in welchem Stadium der Erkrankung sich Betroffene befinden, können ungewohnte Situationen entstehen, mit denen auch pflegende Angehörige lernen müssen, neu umzugehen.

pflege.de zeigt Ihnen, wie Sie sich auf die neue Situation und ihren demenzerkrankten Angehörigen einstellen können.

Inhaltsverzeichnis

Umgang mit beginnender Demenz

Es gibt verschiedene Situationen, die den Verdacht auf eine Demenz verstärken können: Die betroffene Person kann beispielsweise ihren Alltag nicht mehr selbstständig bewältigen, hat Schwierigkeiten, sich mitzuteilen oder verlegt regelmäßig Gegenstände.

Wer im Internet einen sogenannten Selbsttest zur Demenzerkennung gemacht hat, darf das Ergebnis auf keinen Fall als Diagnose betrachten. Besteht der Verdacht, jemand könnte tatsächlich an Demenz erkrankt sein, ist ein Besuch beim Hausarzt der erste Schritt. Dieser hat verschiedene Möglichkeiten, Tests durchzuführen und verweist Patienten an Fachärzte wie beispielsweise einen Neurologen.

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Tipp
Angehörige sollten sich über die Krankheit informieren

Beim Verdacht auf Demenz sollten Sie sich als Angehörige über die Krankheit informieren. Von Demenz-Tests und demenzgerechter Raumgestaltung bis zu unterschiedlichen Formen wie frontotemporale Demenz oder Alzheimer: Je mehr Sie über die Krankheit wissen, desto besser können Sie die betroffene Person verstehen und werden sicherer im Umgang mit der erkrankten Person.

Angehörige sollten behutsam mit dem Verdacht Demenz umgehen. Für jeden Betroffenen ist die Diagnose wahrscheinlich eine existenzielle Nachricht, die extreme Reaktionen auslösen kann. Viele reagieren mit Angst oder leugnen, dass das Gehirn nicht mehr richtig funktioniert. Oft kommt es dann dazu, dass Defizite versteckt werden, was wiederum Gefahren bergen kann.

Angehörige können unterstützen, indem sie anstatt von einer Alzheimer-Erkrankung oder einer Demenz von „Störungen des Kurzzeitgedächtnisses“ oder von „Vergesslichkeit“ sprechen. Die Möglichkeit, dass jemand Demenz hat, sollte stets behutsam angesprochen werden. Dabei sollten Angehörige die Vorteile einer frühen Diagnose in den Fokus stellen. Es gibt unterschiedlich Verläufe einer Demenz. Jetzt gilt es, den Verlauf positiv zu beeinflussen: Regelmäßige Bewegung, gesunde Ernährung und Schlaf beeinflussen das Wohlempfinden vom Betroffenen und können eine hohe Lebensqualität trotz Demenz begünstigen.(1)

Der Umgang mit Demenz in der Familie ist komplex und erfordert viel Kraft. Wichtig ist dabei, dass betreuende und pflegende Angehörige selbst Entlastung finden und sich regelmäßig Auszeiten nehmen, um abzuschalten und „den Akku wieder aufzuladen“.

Kommunikation im Umgang mit Demenz: 3 Tipps zur Verständigung mit Menschen mit Demenz

  1. Sagen oder fragen Sie immer nur eine Sache auf einmal.
  2. Stellen Sie keine „Warum, Weshalb, Wann und Wo“-Fragen.
  3. Zeigen Sie Anerkennung für das, was gelungen ist und weisen Sie nicht auf Fehler hin.

Weitere hilfreiche Tipps, mit denen die Kommunikation mit Demenzerkrankten besser gelingt finden Sie im Interview „Bauen Sie Brücken“ mit der Demenzexperten Laura Mey.

Positives betonen

Sprechen Sie beim Umgang mit Ihrem dementen Angehörigen über positive Themen. Das können Dinge sein, die die Person in der Vergangenheit besonders gerne gemacht hat. Auch Dinge, auf die die Person stolz ist, sollten Angehörige regelmäßig loben, zum Beispiel:

„Du hast vier Kinder großgezogen, und alle sind dir sehr gut geraten!“.

„Du bist dein ganzes Leben lang um 4:30 Uhr aufgestanden, um zur Arbeit zu fahren. Das warst immer sehr tüchtig!“

„Dir war ein aufgeräumter Schrank immer sehr wichtig – da bist du heute noch sehr diszipliniert!“

Tipp
Pflegen Sie Erinnerungen

Legen Sie eine Trödelkiste mit Erinnerungsstücken wie Fotos, Familienfilmen oder anderen Gegenständen an und schauen Sie sich diese mit dem Demenzerkrankten hin und wieder an. So werden positive Erinnerungen aus dem Langzeitgedächtnis aufgerufen, die der Betroffene erlebt hat.

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Umgang mit demenzerkrankten Eltern

Für Kinder kann es sehr belastend sein, wenn ein Elternteil an Demenz erkrankt. Häufig werden dann die Rollen getauscht und die Kinder übernehmen die Kümmerfunktion. Dieser Rollentausch ergibt sich meist von ganz allein und ist für viele Menschen selbstverständlich. Dennoch kann es zu Konflikten kommen, wenn beispielsweise der demenzerkrankte Elternteil „ungefiltert“ alte Konflikte anspricht.

Bei Beschuldigungen und Anfeindungen ist es wichtig, ruhig zu bleiben und sich nicht auf Diskussionen einzulassen. Das Kind muss sich immer darüber im Klaren sein, dass das Verhalten der demenzerkrankten Mutter beziehungsweise des demenzerkrankten Vaters auf die Krankheit zurückzuführen ist. Kommt es häufiger zu verbalen Attacken oder sogar zu Aggressionen bei Demenz, sollte das betreuende Kind professionelle Hilfe, beispielsweise einen Psychologen, zu Rate ziehen. Manchmal kann es hilfreich sein, wenn eine externe Hilfe wie ein ambulanter Pflegedienst oder eine Seniorenassistenz die Betreuung für kurze Zeit übernimmt. Finanzieren können Sie diese Hilfearten durch die Verhinderungspflege oder den Entlastungsbetrag. Beides steht Ihnen zu, wenn ein Pflegegrad vorliegt.

Neben finanziellen Hilfen für die Pflege eines Angehörigen gibt es auch Beratungs- oder Schulungsangebote sowie psychische Entlastung durch Selbsthilfen. Mehr zu diesen Hilfen und Selbsthilfen für Pflegende lesen Sie im Ratgeber Demenz-Hilfe für Angehörige.

Tipp
Hilfsangebote kennen und beanspruchen

Scheuen Sie nicht, sich bei den zahlreichen und unterschiedlichen Aufgaben der Pflege von Demenzerkrankten frühzeitig Hilfe zu holen. Sei es, dass jemand anderes die Pflege oder Betreuung komplett übernehmen soll oder aber Ihnen unterstützend zur Seite steht. Durch einen Pflegegrad erhalten Betroffene viele Hilfsleistungen für eine passende Demenzbetreuung oder einen monatlichen Entlastungsbetrag.

Der kostenlose Pflegegradrechner hilft Ihnen bei der Einschätzung, ob und welcher Pflegegrad voraussichtlich anerkannt wird. Dabei basiert der Rechner auf den aktuellen Bewertungsmodulen, die auch für die Pflegegrad-Begutachtung eingesetzt werden.

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Leben mit Demenz: Pflege zuhause oder im Pflegeheim?

Nachdem eine Demenz diagnostiziert wurde, stellt sich die Frage, wo der Betroffene gepflegt und betreut wird. In den meisten Fällen entscheiden sich Angehörige für das Zuhause des Demenzerkrankten. Dabei sollten Sie als Angehörige jedoch bedenken, dass es manchen Betroffenen mit fortschreitender Krankheit immer schwerer fällt, sich zurechtzufinden und Gefahren richtig einzuschätzen. Um möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben zu können, sollte die Wohnung räumlich und technisch an die sich veränderte Lebenssituation angepasst und nach den Prinzipien einer demenzgerechten Raumgestaltung eingerichtet werden. Für den Alltag in der Häuslichkeit gibt es verschiedenste Alltagshilfen und Hilfsmittel bei Demenz, die das Leben mit Demenz erleichtern.

Im Rahmen einer Aktion zur Demenzwoche 2021 war pflege.de unter anderem mit dem gerontopsychiatrischen Fachpfleger und Praxisanleiter Tobias Münzenhofer im Gespräch. Im Interview sprechen Tobias Münzenhofer und pflege.de-Redakteurin Johanna Karch über Praxis-Tipps zu Umgang und Kommunikation mit demenzerkrankten Menschen.

Info
Rechtliches bei Demenz

Bei einer Demenz stellen sich viele rechtliche und finanzielle Fragen, die für die Zukunft geregelt werden müssen. Das beginnt bei der Ausübung des Berufs, geht über Alltägliches wie das Autofahren, die Vorsorgevollmacht bis hin zur Geschäftsfähigkeit. Ist der Demenzerkrankte irgendwann nicht mehr in der Lage, Entscheidungen für sich selbst zu treffen, müssen Sie als Angehörige dies oft in seinem Namen tun. Wenn keine Vorsorgevollmacht vorliegt, wenden sich Betroffene und Angehörige an das örtliche Betreuungsgericht, um den gesetzlichen Betreuer zu bestimmen. Mehr zu diesem Thema finden Sie im Ratgeber Rechtliche Fragen bei Demenz.

Leben mit Demenz: Umzug ins Pflegeheim

Mit dem Fortschreiten der Demenz kann die Pflege und Betreuung der betroffenen Person irgendwann sehr belastend sein und Angehörige überfordern. Dann kann der Umzug in eine Einrichtung wie ein Pflegeheim eine gute Lösung sein. Welches Pflegeheim das richtige ist, hängt von vielen Faktoren ab. Wichtige Fragen sind zum Beispiel:

  • Befindet sich das Pflegeheim in pendelbarer Nähe?
  • Ist es eine offene oder gesicherte Einrichtung?
  • Wie genau werden Demenzerkrankte betreut?

Auch wenn die Entscheidung für einen Umzug in ein Pflegeheim oft schwerfällt, kann sie für beide Seiten doch viele Vorteile mit sich bringen: Der Demenzerkrankte wird rund um die Uhr professionell betreut, erhält verschiedene therapeutische Angebote und hat Kontakt zu Gleichaltrigen. Sie als pflegender Angehöriger können sich von der Belastung erholen und sind ausgeruhter und positiver, wenn Sie Zeit mit Ihrem erkrankten Angehörigen verbringen.

Ist die Entscheidung für einen Umzug ins Pflegeheim oder eine andere Einrichtung gefallen, muss dieser gut vorbereitet werden. Bei der Planung hilft eine Checkliste, die die wichtigsten Punkte zusammenfasst.

Bonus
Vorbereitung auf den Einzug in eine Pflegeeinrichtung
  • An diese Dinge müssen Sie vor dem Umzug denken
  • Versicherungen kündigen und mehr – so vergessen Sie nichts
  • Einfach ausdrucken und Punkt für Punkt abhaken

Herausforderndes Verhalten bei Demenz

Manchmal passiert es, dass die Demenz die Persönlichkeit von Erkrankten verändert und sie plötzlich ihr Verhalten ändern. Es können Ängste, Wahnvorstellungen und Depressionen auftreten. In einigen Fällen kann es zu Aggressionen bei Demenz kommen.

Der Umgang mit herausforderndem Verhalten bei Demenz ist für das Umfeld nicht einfach und erfordert viel Wissen darüber, warum sich Menschen mit Demenz so verhalten, wie sie es tun. Sie merken zwar, dass sich ihr Alltag verändert und Dinge nicht mehr so ablaufen, wie es mal war. Jedoch bringen Betroffene dies nicht immer mit ihrer Krankheit in Verbindung, sondern beschuldigen ihre Mitmenschen, Fehler begangen zu haben.

Experten-Stimme

Herausforderndes Verhalten bei Demenz hinterfragen und verstehen

Herausforderndes Verhalten kostet alle Beteiligten Kraft und bringt die meisten in eine unangenehme Situation. Dabei kann ein Perspektivenwechsel bereits Vieles verändern. Denn das Handeln und Verhalten eines Menschen mit Demenz ist immer auch Ausdruck seines Erlebens und wird bis zu 80 Prozent von der Umgebung beeinflusst. Hinter einem herausfordernden Verhalten kann auch ein unbefriedigtes Bedürfnis stehen. Begegnen Sie dem demenzerkrankten Menschen also an dieser Stelle mit Verständnis und nutzen Sie dies als Schlüssel für Ihre Interaktion und Kommunikation. Auf diese Weise kann sich das Miteinander verändern und sowohl beim betroffenen Menschen als auch beim Begleitenden zu einem erlebbaren Mehr an Wohlbefinden führen.

Tobias  Münzenhofer
Gerontopsychiatrischer Fachpfleger & Praxisanleiter

Angstzustände bei Demenz

Angstzustände bei Demenz können beispielsweise bei einer frontotemporalen Demenz auftreten und sollten unbedingt ernst genommen werden. Es ist wichtig, herauszufinden, was beziehungsweise welche Situationen beim Betroffenen Angst auslösen. Das hilft, richtig zu reagieren und häufig auch, Angst bei Demenz vorzubeugen. So können beispielsweise Spiegel oder dunkle Fußböden Angst auslösen. Dann hilft es, Spiegel mit einem Tuch abzuhängen und dunkle Böden gegen helle Bodenbeläge auszutauschen. Oder aber der Betroffene verspürt Angst, weil in seinem Alltag nichts mehr so läuft, wie es früher einmal war. Häufig hängen Angstzustände bei Demenz mit anderen Gefühlen wie Kontrollverlust und Selbstzweifel zusammen. Durch eine angepasste Kommunikation und eine verständnisvolle Haltung können Angehörige Ängsten entgegenwirken.

Experten-Info

Eine starke Beziehung kann Ängste bei demenzerkrankten Menschen reduzieren

Ein Mensch mit Demenz mag zwar kognitive Einbußen haben, aber seine emotionale Wahrnehmung bleibt weiterhin erhalten. Demenzerkrankten Menschen fehlen häufig die Gefühle von Geborgenheit und Sicherheit. Bedrohlich erlebte Momente oder Trennungssituationen sind meist der Grund, weshalb sie sich unsicher fühlen. Schaffen Sie also eine möglichst starke Beziehung, die auf gegenseitigem Vertrauen sowie Verlässlichkeit beruht und erzwingen Sie nichts gegen den Willen des demenzerkrankten Menschen.

Tobias  Münzenhofer
Gerontopsychiatrischer Fachpfleger & Praxisanleiter

Wahn und Halluzinationen

Wahnvorstellungen gehören zu den häufigen Verhaltensänderungen bei Demenz, beispielsweise bei der Lewy-Body-Demenz. Betroffene sind oft davon überzeugt, dass sie betrogen oder bestohlen werden oder dass ihre Mitmenschen ihnen etwas anderes Böses wollen. Nicht selten sagen sie es auch direkt. Wer sich in die Situation eines Demenzerkrankten hineinversetzt, kann diese Gefühle oftmals verstehen: Nichts im Alltag scheint zu klappen, manche Dinge scheinen unauffindbar und wohin der Partner gegangen ist, weiß man auch nicht mehr. Kein Wunder also, dass sich Betroffene ohnmächtig und unfähig fühlen und die Schuld schließlich bei anderen suchen.

Sieht der Demenzerkrankte eine Person, die nicht im Raum ist, hört Stimmen oder riecht etwas, obwohl die Luft klar ist, leidet er unter Halluzinationen beziehungsweise Sinnestäuschungen.

Betreuende sollten zunächst versuchen herauszufinden, was die Situationen hervorruft. Manchmal hilft es schon, störende Geräusche wie Fernseher oder Radio auszuschalten, Spiegel abzuhängen oder die Beleuchtung zu ändern. Treten die Halluzinationen regelmäßig auf, sollten Angehörige mit dem behandelnden Arzt über mögliche Medikamente sprechen.

Tipp
Angehörige von Demenzerkrankten: Wie mit Vorwürfen umgehen?

Nicht persönlich nehmen: Keine Frage, es fühlt sich schrecklich an, wenn der Angehörige mit Vorwürfen um sich wirft. Nehmen Sie es dennoch auf keinen Fall persönlich, sondern erinnern Sie sich immer daran, dass die Demenz an diesem Verhalten schuld ist.

Nicht diskutieren: Es bringt nichts, mit dem Demenzerkrankten darüber zu diskutieren, wo der Geldbeutel sein könnte oder wer Recht hat. Auch Kritik ist fehl am Platz. Üben Sie besser Verständnis und ärgern Sie sich ein bisschen mit. 

Ablenkung hilft: Um aus der Situation herauszukommen, sollten Sie den Betroffenen ablenken. Hierfür kann es helfen, etwas gemeinsam zu tun, das er gut kann und gerne macht. 

Schreien bei Demenz

Grundloses, unkontrolliertes Schreien kann symptomatisch bei einer fortgeschrittenen Demenz sein. Während manche Betroffene laut singen, rufen andere Worte und ganze Sätze. Schreien bei Demenz kann für die Angehörigen, aber auch für alle anderen Mitmenschen eine enorme Belastung sein. Um auch dieses Verhalten zu verstehen, muss es zunächst analysiert werden.

Die Gründe für das Schreien bei Demenz können sehr vielfältig sein. Menschen mit Demenz schreien, wenn sie sich nicht mehr verständigen können, aber dennoch auf sich aufmerksam machen wollen – zum Beispiel, weil sie Schmerzen, Hunger oder Durst haben, sich einsam fühlen oder wütend sind. In diesem Fall lohnt es sich, professionelle Hilfe beim Hausarzt einzuholen, der dabei hilft, die Auslöser für das unkontrollierte Schreien zu finden.

Demenzerkrankte beruhigen: Was hilft, wenn Demenzerkrankte schreien?

Demenzerkrankte reagieren oft auf Berührungen und sanfte Bewegungen: Manchmal hilft es schon, den Betroffenen in den Arm zu nehmen, ihn zu streicheln oder ihn, wenn er im Rollstuhl sitzt, etwas zu bewegen. Leichte rhythmische Bewegungen können helfen, eine aufgebrachte Person zu beruhigen. Respektieren Sie jedoch, wenn die Person gerade nicht angefasst werden möchte.

Tipp
Rückzugsort bieten

Manchmal ist es ratsam, einen Ort der Ruhe zu bieten. Bauen Sie ein „Kuschelnest“. Dies kann vielleicht nach einer emotionalen Situation ein guter Rückzugsort werden, an dem sich der Betroffene geborgen und sicher fühlt.

Wenn sich die Person allein fühlt, bieten Sie ihr Gesellschaft und Beschäftigung an: „Ich bereite gerade das Essen vor und muss noch den Tisch decken. Möchtest du mir helfen und die Servietten für die Teller falten? Schau mal, ich habe rote und weiße Servietten. Welche findest du passender?“

Tagesstruktur bei Demenz

Menschen mit Demenz brauchen eine Tagesstruktur mit festen Tagesabläufen, Ritualen und einfachen Regeln. Das liefert Orientierung und Sicherheit. Aktivitäten oder Aufgaben sollten jede Woche am selben Tag zur selben Zeit stattfinden. Dasselbe gilt auch für die Mahlzeiten.(2) Ob es gute und schlechte Tage beziehungsweise Tageszeiten bei Demenzerkrankten gibt, ist individuell unterschiedlich. Viele Angehörige machen die Erfahrung, dass sich der Vormittag besser für Aktivitäten eignet, da die Konzentration und Leistungsfähigkeit dann meist höher sind. Im Laufe des Tages lassen die kognitiven und körperlichen Fähigkeiten dagegen oftmals nach. Orientierungshilfen wie Wandkalender oder große Uhren helfen dem Betroffenen, sich zeitlich zu orientieren.

Info
5 Fehler im Umgang mit Demenzerkrankten
  1. Zu schnell sprechen: Sprechen Sie langsam, in kurzen Sätzen und in einfachen Worten. Halten Sie in Gesprächen Blickkontakt.
  2. Keine Tagesstruktur: Feste Abläufe sind enorm wichtig für Betroffene. Sie geben Sicherheit und Orientierung, zum Beispiel bei Mahlzeiten.
  3. Gefühle ignorieren: Gehen Sie unbedingt auf die Gefühle und Bedürfnisse der demenzerkrankten Person ein. Zeigen Sie Verständnis und versuchen Sie herauszufinden, was die Ursache ist, wenn die Person unzufrieden ist.
  4. Vorwürfe machen: Für einen Demenzerkrankten ist es schwierig genug, seine Krankheit zu akzeptieren. Machen Sie ihm daher niemals Vorwürfe, wenn er Fehler gemacht hat.
  5. Kleine Beschäftigung: Auch Menschen mit Demenz möchten das Gefühl haben, gebraucht zu werden und etwas zu können. Geben Sie lösbare Aufgaben und beschäftigen Sie den Betroffenen. Demenzgerechte Ideen finden Sie im Ratgeber Beschäftigung und Spiele für Demenzerkrankte.

Umgang mit Demenz: Nahrungsaufnahme

Ab einem bestimmten Krankheitsstadium kann es sein, dass es der betroffenen Person schwerfällt, selbstständig zu essen. Wie benutze ich Messer und Gabel nochmal? Was auf dem Teller spieße ich zuerst auf? Soll ich alles auf dem Teller aufessen? Angehörige können hier gut unterstützen:

  • Kontraste darstellen: Legen Sie eine rote Serviette unter den Teller, damit der Tellerrand besser sichtbar wird.
  • Zeigen, wie es geht: Setzen Sie sich neben die Person und machen Sie die Benutzung von Messer und Gabel vor. Helfen Sie gegebenenfalls, indem Sie die Hände führen.
  • Fingerfood: Bereiten Sie Essen zu, das die Person auch mit den Fingern essen kann.
  • Zum Trinken animieren: Oft wird auch bei einer Demenz das Trinken vergessen. Animieren Sie regelmäßig zum Trinken, beispielsweise durch Zuprosten und Trinksprüche.

Umgang mit Demenzerkrankten: Musik statt Worte

Im fortgeschrittenen Stadium der Demenz haben Betroffene oft Schwierigkeiten, verbal mit ihrer Umwelt zu kommunizieren. Dieser Umstand kann sich negativ auf das emotionale Wohlbefinden und die Lebensqualität der Betroffenen auswirken. Forschungsergebnissen zufolge kann Musik helfen, die Stimmung zu verbessen und damit das Wohlbefinden zu steigern.

Musik aktiviert Erinnerungen

Der Forscher Teppo Särkämö vom Institut für Verhaltenswissenschaften an der Universität Helsinki ging mit seinem Team der Frage nach, ob Musik bei Menschen mit beginnender Demenz die Laune sowie Aufmerksamkeit und Gedächtnis verbessert. Aufgrund der Ergebnisse schlägt der Forscher vor, Musik in die Betreuung und Therapie von Demenzerkrankten einzubeziehen. Denn für Betroffene ist es oft eine Reise in die Vergangenheit, die durch bekannte Lieder aktiviert wird. Spielen Sie dem Demenzerkrankten deshalb regelmäßig seine Lieblingslieder vor, um Erinnerungen zu wecken.(3)

Umgang mit Demenz: Aktiv im Alltag

Wie die meisten Menschen brauchen auch Demenzerkrankte Aufgaben im Alltag, die ihnen Freude machen und sie körperlich und geistig herausfordern. Vor allem Hobbys sollten auf keinen Fall aufgegeben, sondern an die neuen Bedingungen angepasst werden und einen festen Platz im Wochenplan haben.

Alltägliche Aufgaben: Gedächtnistraining bei Demenz wie Kreuzwort- und Bilderrätseln, ein großes Puzzle und Konzentrationsspiele können eine schöne Beschäftigung für Demenzerkrankte sein. Alltägliche Aufgaben sind aber oft schon Herausforderung genug: Unkraut im Garten zupfen, Blätter zusammenkehren, das Auto waschen, den Briefkasten leeren oder Wäsche falten erfordern für Menschen mit fortgeschrittener Demenz bereits absolute Konzentration.

Regelmäßige Bewegung: Bewegung fördert die Verdauung, den Kreislauf, erhöht den Appetit und sorgt für einen besseren Schlaf. Schon allein aus diesen Gründen sollte sie mehrmals pro Woche auf dem Tagesplan stehen. Durch einen aktiven Alltag halten sich Betroffene körperlich und geistig fit und bleiben fähig, ihre Gefühle auszudrücken und besser mit ihrer Umwelt zu kommunizieren. Dies kann sich auf das Wohlbefinden des Demenzerkrankten positiv auswirken.

Umgang mit Demenzerkrankten lernen: Schulungen & Kurse

Es gibt spezielle Schulungen und Kurse, in denen pflegende Angehörige jede Menge Wissen zu Pflegethemen und Demenz vermittelt bekommen. Solche Pflegekurse werden von der Pflegekasse bezahlt, die auch die erste Anlaufstelle für Angehörige ist. Auf Wunsch kann die Schulung auch Zuhause stattfinden.

Tipp
Angehörige müssen Demenz verstehen lernen

Wenn Sie die Symptome und typisches Verhalten bei Demenz verstehen lernen, wird es Ihnen leichter fallen, mit herausforderndem Verhalten umzugehen und richtig zu reagieren. Aggressionen beispielsweise können in vielen Fällen dann sogar verhindert werden.

Häufig gestellte Fragen

Wie gehe ich mit herausforderndem Verhalten von Demenzerkrankten um?

Zeigen Sie Verständnis und versuchen Sie herauszufinden, was hinter Verhaltensänderungen steckt. Nehmen Sie Anfeindungen, Beleidigungen oder Beschuldigungen nicht persönlich. Wenn Sie sich überfordert und hilflos fühlen, holen Sie sich professionelle Hilfe. Erste Anlaufstelle ist der Hausarzt.

Wann sollen Demenzerkrankte ins Pflegeheim umziehen?

Mit dem Fortschreiten der Demenz kann die Pflege der betroffenen Person pflegende Angehörige sehr belasten und mitunter überfordern. Wenn die Belastung für Angehörige zu groß wird, kann eine auf Demenz spezialisierte Einrichtung wie ein Pflegeheim eine gute Lösung sein.

Wer berät und unterstützt Angehörige von Demenzerkrankten?

Erste Anlaufstelle sind die gesetzlichen Pflegekassen beziehungsweise privaten Pflegeversicherungen und Beratungsstellen. Beispielsweise bietet die Deutsche Alzheimer Gesellschaft kostenlose Beratungen & Infomaterial an.

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Erstelldatum: 1202.90.8|Zuletzt geändert: 3202.20.22
(1)
Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V. (o. J.): Empfehlung zum Umgang mit Diagnose und Aufklärung bei Demenz
www.deutsche-alzheimer.de/fileadmin/Alz/pdf/empfehlungen/empfehlungen_diagnose_aufklaerung.pdf (letzter Abruf am 07.09.2021)
(2)
Qualitätsverbund Netzwerk im Alter Pankow e.V. (QVNIA) (o. J.): Was hilft Menschen mit Demenz im Alltag?
www.qvnia.de/fur-menschen-mit-demenz-und-ihre-familien/infoplattform/betreuungskonzepte (letzter Abruf am 07.09.2021)
(3)
Särkämö, Teppo et al. (2016)
Clinical and Demographic Factors Associated with the Cognitive and Emotional Efficacy of Regular Musical Activities in Dementia, in: Journal of Alzheimer‘s Disease (vol 49), S. 767 – 781.
(4)
Bildquelle
©MandicJovan / Fotolia.com
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Interview

Demenz und Migration: Das Projekt DeMigranz

Sümeyra Öztürk
Im Interview
Sümeyra Öztürk
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt "DeMigranz"

Sümeyra Öztürk ist Sozialarbeiterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Demenz Support Stuttgart. Sie forscht und publiziert zu den Themen kultursensible Pflege sowie Demenz und Migration. Ihr Engagement galt zuletzt vor allem dem Projekt „DeMigranz – Bundesweite Initiative Demenz und Migration“.

Jede Demenzerkrankung ist eine riesige Herausforderung für die Angehörigen und Freunde. Für Menschen mit Migrationshintergrund sind diese Herausforderungen oft sogar noch größer, denn sprachliche und kulturelle Barrieren erschweren unter anderem den Zugang zu Informationen und Dienstleistungen. Hier setzt das Projekt „DeMigranz – Bundesweite Initiative Demenz und Migration“ an.

Eines der Ziele der Initiative liegt darin, die Bedürfnisse der betroffenen Menschen mit Migrationshintergrund zu erkennen und entsprechendes Material und Hilfsangebote bereitzustellen. Sümeyra Öztürk hat sich von Anfang an in dem Projekt engagiert und verfolgt auch darüber hinaus das Thema Pflege und Migration.

pflege.de: Wieviel Kultur steckt eigentlich in der Pflege? Man könnte ja denken, dass die Pflege und Betreuung hilfsbedürftiger Menschen in erster Linie gesundheitliche Grundbedürfnisse betreffen, die alle Menschen teilen.

Sümeyra Öztürk: Für die gesundheitlichen und pflegerischen Bedürfnisse ist das absolut zutreffend. Eine gute Pflege und Versorgung nur auf diese zu beschränken, wäre jedoch zu kurz gedacht. Sehr wichtig sind auch die sozial-emotionalen Komponenten. Dazu gehören psychosoziale Aspekte wie Bräuche, Gepflogenheiten, Esskultur, religiöse Bedürfnisse, biografische Ereignisse und das Bedürfnis von Heimat. Diese zu übergehen wäre, wie ein Haus auf nur einer tragenden Stütze zu bauen.

pflege.de: Und wie steht es mit Demenz: Spielen Kultur und Sprache hier eine besonders große Rolle? Welche Herausforderungen birgt das für pflegende Angehörige?

Sümeyra Öztürk: Kultur und Sprache sind zwei sehr bedeutende Pfeiler in der Begleitung von Menschen mit Demenz. Oft wird hier von einer dreifachen Fremdheit gesprochen. Damit gemeint ist: Verlust der Heimat, Verlust der Sprache, Verlust an kognitiven Fähigkeiten – dies stellt Betroffene wie Angehörige vor große Herausforderungen und Hürden. Daher sind kultursensible Angebote ein wichtiger Zugang, um die Lebensqualität Betroffener und ihrer Familien zu stärken.

Familiäre Pflege wird, wie in jeder anderen Kultur und Familie auch, in der Regel bevorzugt, solange es möglich ist. Für pflegende Angehörige birgt die Pflege an sich bereits eine hohe Belastung. Professionelle Unterstützung kann hier Entlastung schaffen. Die in Deutschland vorhandene professionelle Unterstützung ist jedoch überwiegend deutschsprachig. Hier beginnt die Herausforderung für die pflegenden Angehörigen mit Migrationshintergrund.

Denn professionelle Unterstützung bei der häuslichen Pflege gelingt leichter, wenn die an Demenz erkrankte Person und die Fachkraft eine gemeinsame Kommunikationsebene haben. Menschen mit Migrationshintergrund und Demenz fallen mit fortschreitender kognitiver Beeinträchtigung in ihre Muttersprache zurück und vergessen die später erlernte Sprache. Um eine gute Kommunikation zu gewährleisten, brauchen Sie also auch muttersprachliche Angebote.

Das Thema Kommunikation spielt für pflegende Angehörige auch im Beratungskontext eine große Rolle. Pflegende Angehörige, also oft die zweite oder dritte Generation der Eingewanderten, sprechen über Gefühle oder sensible Themen teilweise lieber in der Haupt-Muttersprache. Dort gibt es oft bildhafte Ausdrücke, mit denen sie ihre Emotionen einfach treffender ausdrücken können. Ein Beispiel aus dem Türkischen: „Meine Lunge brennt!“ Wenn Sie als deutsche Berater:in diese Aussage hören, dann schicken Sie die Person wohl zuerst zum Lungenfacharzt, dabei ist diese Aussauge Ausdruck für ein seelisches Leid.

Zusammengefasst bedeutet das für pflegende Angehörige, dass sie wenig passende Unterstützung haben und mit der Pflege und Versorgung größtenteils allein fertigwerden müssen. Das kann zu Überlastung führen. Und den Betroffen wird dadurch die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschwert.

pflege.de: Ein Ziel von DeMigranz ist es, die Bedürfnisse von Menschen mit Migrationshintergrund im Zusammenhang mit Demenz besser zu verstehen. Was sind dabei die wichtigsten Themen, wo gibt es die größten Probleme?

Sümeyra Öztürk: DeMigranz hat die allgemeinen Bedürfnisse verstanden. Es geht vor allem um mehr kultursensible Wohnangebote, mehrsprachige Beratung und Unterstützung sowie Beteiligung an Gestaltungs- und Umsetzungsprozessen. Jetzt müssen wir diesen Themen mehr Aufmerksamkeit schenken und diese Erkenntnisse und das Verständnis auch dem Versorgungssystem und den Entscheidungsträgern nahebringen.

In Deutschland reagiert das Versorgungssystem vor allem auf Zahlen, Daten und Fakten. Man braucht also einen messbaren Bedarf, um neue Angebote umsetzen zu können. Und hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn da es wenige kultursensible Angebote in diesem Bereich gibt oder diese nicht bekannt sind, findet ein Großteil der Pflege ohne Unterstützung durch das Gesundheitswesen statt. Das bedeutet, dass der Bedarf als Anfrage bei den entscheidenden Institutionen gar nicht ankommt. Und da die Anfrage nicht ankommt, kann sie auch nicht als Bedarf gemessen werden. So kann man leider keine Verbesserungen herbeiführen.

Wie es besser geht, zeigt zum Beispiel das Sozialamt der Landeshauptstadt Stuttgart. Hier wurde in Zusammenarbeit mit Personen aus der türkischsprachigen Community und einer Wohnungsbaugesellschaft eine ambulant betreute Wohngemeinschaft für Menschen mit Demenz und türkeistämmigem Migrationshintergrund auf die Beine gestellt. Ganz nach dem Prinzip: Wir entwickeln das Angebot und schauen mal, wie es angenommen wird. Die Wohngemeinschaft besteht immer noch und in Anbetracht der Warteliste wird es sie auch noch lange geben.

pflege.de: Wenn ein Mensch an Demenz erkrankt, sind es oft die frühesten Kindheitserinnerungen, die am längsten präsent bleiben. Erinnerungen, die bei manchen Menschen mit Migrationshintergrund in ganz anderen Umgebungen stattgefunden haben. Das sorgt für zusätzliche Verwirrung. Welche Tipps haben Sie für pflegende Angehörige, die damit umgehen müssen?

Sümeyra Öztürk: Zuerst ist mir wichtig zu sagen, dass Demenz kein sofortiger Verlust von Erinnerungen und Ressourcen ist. Bis ein Mensch mit Demenz in seinen/ihren Kindheitserinnerungen ankommt, sind noch lange viele andere Erinnerungen und Fähigkeiten präsent.

Nun zu den Tipps für Angehörige: Lassen Sie die Erinnerungen bildhaft aufleben. Hier können Fotoalben von früher, Besuche in der „alten“ Heimat, Lieder, Rituale und natürlich kulinarische Köstlichkeiten helfen, Erinnerungen lebendig werden zu lassen. Seien Sie offen, hören Sie genau hin, was die Person aktuell bewegt. Nehmen Sie Ihr Gegenüber ernst mit allen Gefühlen und Äußerungen.

Auch nonverbale Kommunikation ist ein guter Schlüssel – liebevolle Berührung oder Handhalten gibt Vertrauen. Biografisches Wissen zur Person mit Demenz ist ein wichtiger Schlüssel und ebenso wichtig, wie Kenntnisse zur Kultur und zum Herkunftsland. Diese Schätze sind es immer wert, geborgen zu werden und in den Alltag einzufließen.

pflege.de: Nach mehr als vier Jahren im Projekt DeMigranz: Gibt es eine Errungenschaft oder Erfolgsgeschichte, die Sie persönlich besonders begeistert hat?

Sümeyra Öztürk: Da gibt es so vieles. Wir haben ein bundesweites Netzwerk auf die Beine gestellt in dem Kooperationspartner aus verschiedenen Bundesländern voneinander lernen und kooperieren können. Informationsmaterialien in über zehn Sprachen sind entstanden, die über Demenz Support Stuttgart kostenfrei runtergeladen werden können.

Auf der gemeinsamen Website von DeMigranz und der „Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. Selbsthilfe Demenz“ finden Sie eine Netzwerkkarte, auf der kultursensible Angebote zu Beratung und Wohnen und anderen Bereichen zu finden sind.
Mich begeistern besonders die Kreativität und der Mut vieler engagierter Menschen in diesem Feld und vor allem die unkonventionellen Wege. Wir haben gelernt…

  • … wie eine türkische Theatergruppe nach Hamburg kommt und daraus ein Handbuch mit vielen Anregungen zur Gestaltung kultursensibler Veranstaltungsformate entstehen kann.
  • … wie aus einer schwäbische Kehrwoche ein Weg zur Demenzbegleiter-Schulung für Frauen mit Migrationsgeschichte werden kann.
  • … wie eine Bustour dazu beitragen kann, Orte wie Begegnungsstätten, Wohngemeinschaften oder auch Pflegeeinrichtungen als Begegnungsorte bekannt zu machen und Barrieren abzubauen.
  • … wie Akteure aus dem Netzwerk sich in Form von besonderen Aktionen in andere Bereiche und Veranstaltungen einbringen und so für viele Menschen den Zugang zum Thema „Pflege, Demenz und Migration“ erleichtern.

pflege.de: Wo sehen Sie nach wie vor die größten Baustellen? Was müsste die Politik ändern, was können Vereine und Sozialverbände tun? Welche Tipps haben Sie für diejenigen, die selbst einen demenzerkrankten Menschen mit Migrationshintergrund pflegen oder betreuen?

Sümeyra Öztürk: Wo fangen wir denn da am besten an?

Zum Thema Beratung: In der Bundesrepublik ist eine große Zahl an mehrsprachigen personellen Ressourcen vorhanden. Es gibt viele junge Menschen aus Migrantenfamilien, die bereits zweisprachig aufgewachsen sind und in sozialen oder Gesundheitsberufen tätig sind. Das ist ein großer Schatz an Menschen, die sowohl fachlich als auch kulturell kompetent sind. Es wäre ein guter Weg, mehr von diesen Menschen an zentralen Anlaufstellen zu platzieren, um das Beratungssystem mit mehrsprachigem Personal auszustatten. Hier besteht ein großer Bedarf.

Zum Thema Information und Angebot: Die Erfahrung von Akteuren aus dem Netzwerk hat gezeigt, dass man proaktiv auf die Bevölkerung mit Migrationshintergrund zugehen muss, wenn man schnelle und gute Ergebnisse erzielen möchte. Die Informationen nur passiv bereitzustellen reicht oft nicht aus. Man muss rein in die Stadtteile und Vereine und die Menschen informieren.

So entstehen Kontakte und dann können Angebote entwickelt werden, die den Bedürfnissen der Menschen vor Ort entsprechen. Hier wäre es schön, wenn die Politik bürokratische Hürden verringern und Prozesse beschleunigen könnte. Ein weiterer wichtiger Baustein wäre es, mehr Menschen mit Migrationsgeschichte in Entscheider-Positionen in Politik und Verwaltung zu haben. Das betrifft aber auch die privaten Dienstleister.

pflege.de: Das Projekt DeMigranz soll Ende 2022 auslaufen. Wie geht es danach weiter? Gibt es ein Folgeprojekt, oder eine Organisation, die ähnliche Aufgaben übernehmen kann?

Sümeyra Öztürk: Uns als DeMigranz-Team und auch dem Förderer, der Robert Bosch Stiftung, liegt viel daran, dass Thema Migration weiterhin auf der „Ältere-Menschen-und-Demenz-Agenda“ stehen zu haben. Wir wollen das bei jedem neuen Angebot mitdenken und vorhandene Angebote interkulturell öffnen, sodass die gesamte Bevölkerung in Deutschland die Unterstützung erhält, die sie braucht.

Migration und Einwanderung ist schließlich ein immer weitergehendes Thema. Einst waren es die Gastarbeiter, Vertriebene, Spätaussiedler und weitere. In den letzten zwanzig Jahren waren es Kriegsflüchtlinge aus z.B. Syrien oder wie heute aus der Ukraine. Wenn das Gesundheits- und Versorgungssystem, Institutionen und Wohlfahrtsverbände dieses Bewusstsein haben, werden wir keine Folgeprojekte mehr brauchen und das gesamte System wird auf die Bedarfe aller in Deutschland lebenden Menschen angepasst. Dann ist es ein von Grund auf kultur- bzw. diversitätssensibles System.

An dem Punkt sind wir noch nicht ganz angelangt, aber sicher bald, da bin ich zuversichtlich. Deshalb arbeiten wir als Demenz Support Stuttgart aktuell noch an verschiedenen Möglichkeiten, um das Thema weiter zu tragen und die Netzwerke, die im Rahmen des Projektes gebildet wurden, weiter aktiv zu halten.

pflege.de: Das Team von pflege.de bedankt sich für das Interview und wünscht Ihnen und allen Beteiligten viel Erfolg für die Zukunft!

Erstelldatum: 2202.01.4|Zuletzt geändert: 2202.01.11
Interview

Demenz und Ernährung

Margaret Sommer
Im Interview
Margaret Sommer
Klinische Ernährungstherapeutin

Margaret Sommer ist studierte Ökotrophologin (M.sc). Sie ist als Teamleitung in der klinischen Ernährungstherapie tätig.

Schon von klein auf heißt es, das Auge isst mit. Wenn ein Essen schön angerichtet ist und es hervorragend riecht, läuft einem das Wasser im Mund zusammen. Auch im Alter spielen die Sinne beim Genuss vom Essen weiterhin eine wichtige Rolle. Allerdings können Erkrankungen wie eine Demenz die Sinneswahrnehmung stören. Was einmal das Lieblingsessen war, können Betroffene nicht mehr wahrnehmen oder richtig essen. Im Verlauf einer Demenz entwickeln sich nämlich oftmals Schluckstörungen, die das Essen erschweren.

Mit der richtigen Beratung von einer Ernährungsfachkraft erhalten Pflegende und pflegende Angehörige das notwendige Wissen für eine gesunde und ausgewogene Ernährung bei Menschen mit Demenz.

Margaret Sommer, klinische Ernährungstherapeutin, erklärt, worauf Pflegende und pflegende Angehörige im Alltag bei der Ernährung von Demenzerkrankten achten müssen.

pflege.de: Als klinische Ernährungstherapeutin kommen Sie sicher häufiger in Kontakt mit älteren Menschen, von denen einige an einer Demenz erkrankt sind. Bei einer Demenzerkrankung ändert sich bei Betroffenen auch die Sinneswahrnehmung. Wie wirken sich diese Änderungen auf das Ess- und Trinkverhalten aus?

Margaret Sommer: Gerade wenn die Demenz fortschreitet, entwickeln die Menschen Probleme, ihr Essen auf dem Teller oder das Getränk direkt daneben zu erkennen. Beispielsweise könnten Demenzerkrankte ihre früheren Lieblingsspeisen verweigern, weil sie denken, es könnte vergiftet sein. Selbst Ängste vor dem Essen können auftreten. Da sich auch der Geschmackssinn verändert, schmeckt ihnen das Essen vielleicht nicht mehr so gut wie vorher. Denn bei einer Demenz entwickeln Betroffene eine Vorliebe für Süßes, während das Empfinden für andere Geschmäcker abstumpft. Wenn etwas sauer schmeckt, lehnen Erkrankte das Essen eher ab. Alles, was sauer ist, schmeckt ihnen plötzlich nicht mehr.

pflege.de: Im Verlauf einer Demenz können Betroffene Schluckbeschwerden (Dysphagie) entwickeln. Worauf muss in diesem Fall geachtet werden?

Margaret Sommer: In so einem Fall ist es besonders wichtig, auf die Konsistenz zu achten. Wenn das Schlucken schwerfällt, müssen flüssige Speisen und Getränke angedickt werden. Das geht ganz leicht mit speziellen Andickungsmitteln. Wenn Erkrankte sich nämlich verschlucken, können Ängste und Misstrauen entstehen und sie verweigern fortan das Essen. Ganz wichtig dabei ist, dass die Lebensmittel weder zu hart noch klebrig sind. Außerdem sind Ruhe und Geduld zwei wichtige Eigenschaften, die man mitbringen sollte. Betroffene sollten ihr Essen langsam und gründlich kauen, anstelle zu verschlingen. Je schneller sie essen, desto leichter verschlucken sie sich. Erst wenn der Mund leer ist, sollte der nächste Bissen folgen.

Ein weiterer Tipp wäre, dass die Person bei Schluckstörungen gerade sitzen sollten. Mit einer geraden Körperhaltung beim Essen verschlucken sich die Menschen weniger.

Mit diesen Empfehlungen verlieren Demenzerkrankte kein Vertrauen in das Essen und es muss zu keiner Mangelernährung kommen.

pflege.de: Würden Sie sagen, dass es zu einer Mangelernährung kommen kann, wenn pflegende Angehörige und Pflegende nicht ausreichend informiert sind?

Margaret Sommer: Ja, da sich eine Demenzerkrankung auf unterschiedliche Bereiche im Körper auswirkt, ist der richtige Umgang beim Essen mit den Erkrankten sehr wichtig. Ein häufiges Problem stellt das Trinken dar, was häufig vergessen wird. Wenn Erkrankte weniger trinken, kann sich die Vergesslichkeit als Symptom verschlimmern. Hier rate ich dazu, Trinkanreize zu schaffen, beispielsweise mit bunten und süßen Obstsäften.
Auch das Hungergefühl verändert sich im Verlauf einer Demenz. Viele leiden an einer Appetitlosigkeit, wodurch sie weniger essen und an Gewicht ungewollt verlieren. Das Risiko einer Mangelernährung steigt. Damit die betroffene Person genügend Energie für den Tag verfügt, empfehle ich, das Essen mit kalorienreichen Lebensmitteln anzureichern. Dazu zählen Pflanzenöle, Nüsse, Eier oder Sahne. Bei Milchprodukten greift man einfach zu den fetthaltigeren Varianten.

Wenn sich Betroffene mit drei Hauptmahlzeiten quälen, schaffen fünf kleinere Mahlzeiten Abhilfe. Manchmal führen drei große Mahlzeiten zu Überforderungen und es wird nicht aufgegessen. Mit fünf kleinen Mahlzeiten hingegen, wirken die Teller nicht überfüllt und sind im besten Fall nach der Mahlzeit sauber und leer.

pflege.de: Worauf sollten Betroffene und Angehörige bei einer bedarfsgerechten Ernährung achten?

Margaret Sommer: Das Lieblingsessen ist immer mit schönen Gefühlen verbunden. Daher kann es ein besonderes Erlebnis sein, wenn alte Lieblingsgerichte aus der Kindheit der Betroffenen zubereitet werden. Noch besser wäre es, wenn das Essen gemeinsam geplant und gekocht werden kann, um einen persönlicheren Bezug zum Essen herzustellen. Mit kräftigen Farben und intensiven Gerüchen werden die Sinne und der Appetit angeregt. Sollten Betroffene dennoch keinen Appetit verspüren, kann ein Spaziergang vor dem Essen helfen.

Um Verwirrung zu vermeiden, bieten sich Routinen im Alltag an. Zum Beispiel immer derselbe Platz am Tisch oder bei jedem Essen wird das gleiche Geschirr genutzt.

pflege.de: Worauf sollten pflegende Angehörige und Pflegende im Umgang mit dem Essen bei Demenzerkrankten achten?

Eine Demenzerkrankung bedeutet nicht immer, dass die Person nicht in der Lage ist, eigenständig zu essen. Wenn sie nicht mehr weiß, wie sie das Besteck verwenden soll, kann man Finger Food zubereiten. Dann können sie entspannt ohne Messer und Gabel essen. Ansonsten hilft es schon, das passende Besteck bereitzulegen. Zum Beispiel liegt nur ein Löffel auf dem Tisch, wenn es eine Suppe gibt.

Wird das Essen verweigert, dann ist es keine Option, die Person zu zwingen. Stattdessen ist es sinnvoller zu prüfen, warum die Person so abweisend reagiert. Eventuell können Zahnschmerzen oder Entzündungen im Mundraum die Ursachen dafür sein. Es kann auch an der Umgebung liegen, die zu Stress und innerer Unruhe führt. Zu bevorzugen ist eine ruhige Atmosphäre. Vielleicht besteht auch der Wunsch nach Gesellschaft beim Essen oder die Person möchte lieber allein essen.

pflege.de: Das Team von pflege.de bedankt sich bei Ihnen für dieses aufschlussreiche Interview!

Erstelldatum: 2202.01.42|Zuletzt geändert: 2202.01.42
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