Definition: Harnverhalt
Von einem Harnverhalt spricht man, wenn es trotz starken Harndrangs und einer gefüllten Harnblase nicht möglich ist, die Blase durch Urinieren zu entleeren. Andere Bezeichnungen für den Harnverhalt sind Harnverhaltung, Harnretention oder Ischurie. Ein Harnverhalt ist eine Blasenentleerungsstörung, die sich plötzlich entwickelt oder chronisch über einen längeren Zeitraum ausdehnt.
Das Harnsystem: Aufbau & Funktion
Zentrum unseres Harnsystems sind die Nieren. Jeder Mensch hat zwei davon. Sie filtern giftige Stoffe und Substanzen, die der Körper nicht verwerten kann, aus unserem Blut heraus. Mit dem Harn scheiden wir diese Abfallprodukte aus. Auch er wird in den Nieren gebildet.
Von jeder Niere führt jeweils ein Harnleiter (Ureter) zur Harnblase. Täglich gelangt auf diesem Weg etwa 1,7 Liter Harn in unsere Blase.(1) Das geschieht durch schwache Kontraktionswellen der glatten Muskelschicht in der Wand des Harnleiters, der Ureterwand.

Das menschliche Harnsystem, © pflege.de
Die Harnblase speichert die Flüssigkeit, bis der maximale Füllstand erreicht ist. Das sind bei Frauen etwa 500 Milliliter, bei Männern bis zu 700 Milliliter. Dazu dehnt sie sich wie ein Ballon aus. Ab etwa 150 bis 250 Milliliter geben Nerven in der Blasenwand ein Signal ans Gehirn, dass es Zeit ist, auf die Toilette zu gehen.
Zum Urinieren zieht sich dann die Muskulatur, die die Harnblase umschließt – der sogenannte Musculus detrusor vesicae, kurz: Detrusor – zusammen. Gleichzeitig entspannt sich der Blasenschließmuskel (Blasensphinkter) am Blasenausgang und der Harn kann ungehindert in die Harnröhre (Urethra) gelangen. Über die Scheide bei Frauen und die Eichel bei Männern fließt der Urin schließlich ab.
Damit kein Urin aus der Blase zurück in den Harnleiter gelangt, schließt sich das untere Ende des Harnleiters automatisch aufgrund der veränderten Druckverhältnisse.
Symptome bei Harnverhalt
Die Medizin unterscheidet zwischen einem akuten und einem chronischen Harnverhalt.(2)
Symptome bei akutem Harnverhalt
Beim akuten Harnverhalt führt der ansteigende Blasendruck zu einem qualvollen Harndrang, der mit folgenden Anzeichen einhergehen kann:(3)
- Unruhe
- Blässe
- Schweißausbrüche
- Sehr starke Schmerzen oberhalb des Schambeins
- Druckempfindlichkeit
Ein akuter Harnverhalt ist ein medizinischer Notfall. Suchen Sie deshalb bei Verdacht so schnell wie möglich einen Arzt oder ein Krankenhaus auf oder rufen Sie den Rettungsdienst (112).
Symptome bei chronischem Harnverhalt
Symptome bei chronischem Harnverhalt ähneln denen einer Überlaufblase. Dem Druck der ständig vollen Blase kann der Blasenschließmuskel nicht mehr kontinuierlich standhalten. Kleinere Mengen Urin entweichen immer wieder, das sogenannte Harnträufeln.
Weitere mögliche Symptome bei chronischem Harnverhalt sind:(3)
- Häufige Toilettengänge
- Harnstrahl bildet sich nur langsam
- Schwacher, unterbrochener Harnstrahl
- Nach dem Urinieren bleibt der starke Harndrang
Ursachen für Harnverhaltung
Ein Harnverhalt entsteht zum einen, weil die Harnröhre verengt wird. Das kann die Folge von wiederkehrenden Entzündungen in Blase und Harnwegen sein oder eines Hindernisses wie etwa ein Blasenstein, Prostata- oder Blasenkrebs.
Zum anderen können neurologische Schäden zu einer Lähmung der Blasenmuskulatur (Blasenatonie) und so zu einer neurogenen Blasenentleerungsstörung führen.
Außerdem tritt in einigen Fällen ein Harnverhalt nach der Operation eines Organvorfalls oder einer Inkontinenz auf, das sogenannte postoperative Harnverhalten.(3)
Darüber hinaus hat ein Harnverhalt manchmal eine psychische Ursache. Das kann bei Menschen mit einer sogenannten schüchternen Blase (Paruresis) vorkommen. Sie können nicht auf öffentlichen Toiletten wasserlassen. Befinden sie sich zu lange in dieser für sie nicht lösbaren Situation, besteht die Gefahr eines Harnverhalts.(4)
Ursachen für verengte Harnröhren
Es gibt verschiedene Gründe für einen Harnverhalt aufgrund einer verengten Harnröhre, zum Beispiel:
- Harnwegsinfekte
- Prostatavergrößerung (Prostatahyperplasie)
- Prostatakrebs
- Prostataentzündung
- Angeborene Verengung der Harnröhre
- Verletzung der Harnröhre
- Blasensteine
- Gebärmuttersenkung
- Harnblasen- oder Harnröhrentumore
Ursachen für Blasenatonie
Gründe für einen Harnverhalt, die auf eine neurologische Schädigung zurückgehen, sind neben möglichen Nebenwirkungen bestimmter Medikamente (zum Beispiel einiger Antidepressiva) verschiedene Krankheiten im Alter:
- Bandscheibenvorfall
- Schlaganfall
- Multiple Sklerose
- Diabetes mellitus
- Morbus Parkinson
Harnverhalt-Diagnostik
Der erste Schritt der Diagnosestellung ist die Anamnese. Mit gezielten Fragen zu Ihren Beschwerden und Ihrer Krankengeschichte versucht ein Facharzt für Urologie oder Gynäkologie herauszufinden, ob ein chronischer oder akuter Harnverhalt vorliegt.
Beispielsweise fragt er Sie:
- Wie lange haben Sie die Probleme bereits?
- Haben Sie andere Erkrankungen?
- Welche Medikamente nehmen Sie ein?
- Haben Sie sich einer Operation im Bereich der Harnwege oder Geschlechtsorgane unterzogen?
Es folgt die körperliche Untersuchung, bei der der Mediziner Ihren Unterleib abtastet. Die Harnblase kann bei einem Harnverhalt so groß werden, dass sie sogar auf Höhe des Bauchnabels tastbar ist. Bei Männern könnte der Urologe außerdem rektal die Lage und Größe der Prostata ertasten.
Bildgebende- und Laboruntersuchungen
Eine anschließende Ultraschalluntersuchung zeigt, wie voll Ihre Blase ist. Auch Ihre Harnwege und Nieren können dabei untersucht werden, um mögliche Ursachen für den Harnverhalt aufzudecken.
Kann Ihnen der Arzt mit diesen Mitteln noch keine sichere Diagnose stellen, folgen weitere Labor- und bildgebende Untersuchungen, um der Ursache Ihrer Entleerungsstörung auf den Grund zu gehen. Dazu einige Beispiele:
- Urinanalyse
- Blutuntersuchung
- Computertomographie (CT)
- Magnetresonanztomographie (MRT)
- Neurologische Untersuchungen
- Blasenspiegelung (Zystoskopie)
Klären Sie einen möglichen chronischen Harnverhalt unbedingt rechtzeitig mit Ihrem Arzt ab. Je früher er behandelt wird, desto besser können Sie Komplikationen wie etwa einen Harnstau in den Harnleitern oder sogar Schädigungen der Nieren verhindern.
Therapie gegen Harnverhaltung
Um den akuten Harnverhalt zu behandeln, setzt der Arzt zunächst einen Blasenkatheter, über den er den Urin ablässt. Das erfolgt entweder über die Harnröhre (transurethraler Katheter) oder, wenn dieser Weg versperrt ist, durch die Bauchdecke (suprapubischer Katheter). Diese kontrollierte Entleerung der Harnblase verschafft Ihnen eine erste Erleichterung.
Die weitere Behandlung richtet sich nach der Ursache des Harnverhalts:(4)
- Antibiotika bei bakterieller Infektion der Harnblase oder Harnröhre
- Blasensteine mittels Blasenspiegelung oder seltener einer Operation entfernen
- Operative Korrektur eines Organvorfalls
- Medikamente (zum Beispiel Alpha-1-Rezeptorblocker und 5-Alpha-Reduktase-Inhibitoren) oder eine Operation bei Prostatavergrößerung
- Psychotherapeutische Gespräche bei schüchterner Blase
Tritt der Harnverhalt als Begleitsymptom einer anderen Grunderkrankung auf, wie einer neurologischen oder Krebserkrankung, muss diese gezielt behandelt werden.
Therapie des chronischen Harnverhalts
Parallel zur Behandlung der ursächlichen Erkrankung einer chronischen Harnverhaltung, gibt es einige Möglichkeiten, die unmittelbaren Symptome eines Harnverhalts anzugehen. So können etwa Alpha-Blocker die Blasenentleerung bei Männern verbessern, indem sie die glatte Muskulatur der Prostata entspannen und damit den Widerstand des Harnflusses verringern.(5)
Anderen helfen Dauerkatheter oder das selbstständige Legen von Kathetern bei Bedarf (Selbstkatheterisierung) – also wenn die betroffene Person merkt, dass ein Harnverhalt droht.
Ein letzter Ausweg ist eine permanente Harnableitung, um einen Harnstau zu verhindern.(6) Wichtig bei der Verwendung von Kathetern ist, dass besonderes Augenmerk auf den richtigen Umgang mit dem Hilfsmittel gelegt wird, vor allem wie Sie Ihre Katheter spülen und pflegen.
Tipps für Pflegemaßnahmen
Der Gang auf die Toilette ist eine sehr persönliche Sache. Kaum jemand spricht offen darüber, wenn es dabei zu Problemen kommt. Für pflegende Angehörige ist es daher manchmal nicht leicht, einen drohenden Harnverhalt vorauszuahnen.
Deshalb ist es wichtig, bei Menschen mit den ursächlichen Grunderkrankungen wie etwa einer gutartigen Prostatavergrößerung, Diabetes oder Parkinson besonders genau hinzuschauen:
- Muss die zu pflegende Person häufig auf die Toilette?
- Hat sie danach trotzdem noch das Gefühl, zu müssen?
- Ist sie unruhig, schwitzt und klagt über Schmerzen im Unterbauch?
All das können Hinweise auf eine Blasenentleerungsstörung sein, die einen Harnverhalt zur Folge hat. Am Gang zum Facharzt führt dann kein Weg mehr vorbei.
Hygiene ist das A und O
Ist ein chronischer Harnverhalt diagnostiziert, gehört es manchmal zu den pflegerischen Tätigkeiten dazu, regelmäßig einen Blasenkatheter zu legen. Oder der Betroffene wurde bereits operiert und Sie müssen die OP-Wunde versorgen, damit sie gut verheilt.
In beiden Fällen müssen Sie als pflegende Person ein besonderes Augenmerk auf die Hygiene in der häuslichen Pflege legen. Weder die Harnwege noch eine OP-Wunde dürfen sich mit Krankheitserregern infizieren. Eine sorgfältige Desinfektion ist daher wichtig.
Häufig gestellte Fragen
Was ist Harnverhalt?
Ein Harnverhalt ist eine Blasenentleerungsstörung. Die betroffene Person kann trotz starken Harndrangs und einer gefüllten Blase nicht ihre Harnblase durch Urinieren entleeren. Der akute Harnverhalt ist ein medizinischer Notfall, der so schnell wie möglich behandelt werden muss.
Was tun bei Harnverhalt?
Gehen Sie möglichst bald zum Urologen oder Gynäkologen, wenn Sie einen Harnverhalt bei sich vermuten. Je früher er behandelt wird, desto besser können Sie Komplikationen wie etwa einen Harnstau in den Harnleitern oder sogar Schädigungen der Nieren verhindern.
Was kann man gegen Harnverhalt nach einer Operation tun?
Tritt ein Harnverhalt nach einer Operation auf, hilft ein Katheter, um den Druck von der Blase zu nehmen. Hält das Problem an, rät die Medizin, bei Bedarf selbst einen Katheter zu legen.
Wie lange hält ein Harnverhalt nach einer Operation an?
Die relative Häufigkeit von postoperativem Harnverhalten liegt zwischen 1,4 und 40 Prozent. Die Spanne ist so groß, da es bislang keine einheitliche Definition für dieses Krankheitsbild gibt.
Was kann man selbst gegen Harnverhalt tun?
Manchmal helfen warme Bäder, um die Blasenmuskulatur zu entspannen. Außerdem können Sie bei anhaltendem Harnverhalt selbst regelmäßig einen Katheter legen, um für eine Entlastung Ihrer vollen Blase zu sorgen. Klären Sie die Möglichkeiten mit Ihrem behandelnden Arzt ab.
Was kann man selbst gegen akuten Harnverhalt tun?
Bei einem akuten Harnverhalt können Sie lediglich eins tun: Sofort zum Arzt oder ins Krankenhaus gehen.
Was kann man selbst gegen chronischen Harnverhalt tun?
Bei einem chronischen Harnverhalt ist therapeutische Hilfe notwendig, die der Facharzt je nach Ursache mit Ihnen festlegt. Sie sollten sich also möglichst an seine Anweisungen halten.