Was bedeutet die neue indikatorengestützte Qualitätsprüfung?
Mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) wurde Anfang 2019 die Einführung der neuen Pflegeheim-Bewertung beschlossen. Mit der alten MDK-Qualitätsprüfung wurden die Pflegeheime in Deutschland im Durchschnitt mit der Schulnote 1,2 bewertet. Dies war zwar eine sehr gute Bewertung, die allerdings vielfach kritisiert wurde. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn kritisierte den damaligen sogenannten „Pflege-TÜV“ unter anderem mit folgenden Worten:
Ein TÜV, bei dem heute fast jedes Heim ein „sehr gut“ bekommt, verdient seinen Namen nicht.(1)
Deshalb gibt es nun ein neues Verfahren zur Pflegeheim-Bewertung: Seit November 2019 werden Pflege-Einrichtungen mit dem neuen Verfahren, der sogenannten indikatorengestützten Qualitätsprüfung, begutachtet und bewertet. Aufgrund der Corona-Pandemie wurden die Regelprüfungen bis Ende September 2020 ausgesetzt. Bis Ende 2021 sollen alle Pflegeheime mit dem neuen Indikatorenmodell beurteilt worden sein, sodass ein guter Vergleich zwischen allen Einrichtungen möglich wird.
Entwicklung der neuen indikatorengestützten Qualitätsprüfung
Durch die anhaltende Kritik an den ausnahmslos guten Pflegenoten, wurde bereits 2015 mit dem Zweiten Pflege-Stärkungsgesetz (PSG II) beschlossen, das bestehende System zu reformieren.
Begleitet durch den Qualitätsausschuss Pflege vom Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld (IPW) und vom Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH (aQua) wurden bis 2019 indikatorengestützte Instrumente und Verfahren für die Qualitätsprüfungen gemäß § 113b SGB XI entwickelt.(2) Menschen aus der Wissenschaft arbeiteten zusammen mit Experten intensiv an der neuen indikatorengestützten Qualitätsprüfung, um sowohl für die stationäre Pflege im Altenheim als auch für die Tages- und Nachtpflege sowie für den Pflegedienst eine realistische Bewertung zu ermöglichen.
Einbezogen wurden dabei auch die Meinungen von pflegebedürftigen Menschen selbst sowie von deren pflegenden Angehörigen, Leistungserbringern und Kostenträgern wie der Pflegekasse beziehungsweise Pflegeversicherung.
Indikatoren zur Pflegeheim-Bewertung: interne und externe Qualitätsprüfung
In den vergangenen Jahren gab es viele Diskussionen, wie die Bewertung von Pflegeheimen erfolgen kann und woran Pflegequalität gemessen werden soll. Darauf basierend wurde das neue Indikatorenmodell für Pflegeeinrichtungen als Prüfsystem entwickelt, und zwar mit dem Ziel, den Fokus der Seniorenheim-Bewertung auf die Ergebnisse der tatsächlich durchgeführten Pflege zu legen.
Es sollen bei der Bewertung der Pflegeheime nicht nur die personellen und sachlichen Gegebenheiten sowie die Durchführung der Pflege bewertet werden, sondern vor allem die sog. Ergebnisqualität. Diese wird mit dem reformierten Qualitätssystem in vollstationären Einrichtungen erhoben (a): Das Pflegeheim erfasst selbständig, welche Ergebnisse durch die Pflege der Bewohner bzw. die angewendeten Maßnahmen erzielt wurden.
Um Manipulationen bei der Datenerhebung zu vermeiden, werden die dokumentierten Ergebnisse anschließend mit zwei verschiedenen Verfahren auf ihre Plausibilität geprüft. Ob die Ergebnisse einleuchtend, nachvollziehbar und logisch sind, wird überprüft durch ein datentechnisches Programm (b) sowie eine externe Prüfung durch den Medizinischen Dienst bzw. den PKV-Prüfdienst (c).
Interne Qualitätsprüfung (a)
Ein neuer Bestandteil der Pflegeheim-Bewertung ist die Verknüpfung des internen Qualitätsmanagements der Einrichtungen mit der externen Prüfung durch den Prüfdienst.
So funktioniert die interne Qualitätsprüfung:
- Alle Pflegeheime beurteilen ihre Versorgungsqualität für ihre Bewohner alle sechs Monate selbst.
- Die Ergebnisse werden elektronisch an eine Auswertungsstelle übermitteln.
Grundlage für die interne Qualitätsprüfung sind die folgenden zehn Qualitätsindikatoren
- Erhalt der Mobilität*
- Erhalt der Selbstständigkeit bei alltäglichen Verrichtungen
- Erhalt der Selbstständigkeit bei der Gestaltung des Lebensalltags
- Entstehung von Dekubitus*
- Schwerwiegende Sturzfolgen*
- Unbeabsichtigter Gewichtsverlust*
- Durchführung eines Integrationsgesprächs nach Einzug in das Pflegeheim
- Anwendung von Gurten
- Anwendung von Bettseitenteilen
- Aktualität der Schmerzeinschätzung
Die mit einem Sternchen (*) gekennzeichneten Indikatoren Mobilität, Entstehung von Dekubitus, schwerwiegende Sturzfolgen sowie Gewichtsverlust werden für jeweils zwei getrennte Gruppen erhoben:
- Für Personen ohne oder mit nur geringen kognitiven Einbußen
- Für Personen mit mindestens erheblichen Einschränkungen
Ausschluss von Personen bei der internen Qualitätsprüfung
Bestimmte Personen werden bei der Beurteilung von einzelnen Punkten ausgeschlossen. Unter anderem zählen dazu
- Bewohner mit einem Dekubitus, der im Krankenhaus entstanden ist ( = diese Personen werden nicht mit zu den Personen mit einem neuem Dekubitus gezählt)
- Bewohner mit einem Schlaganfall, welcher nicht länger als sechs Monate zurückliegt ( = diese Personen werden beim Indikator der Mobilität nicht berücksichtigt).
Dieser Ausschluss von Personengruppen findet statt, um möglichst nur die direkte Ergebnisqualität durch die Einrichtung zu ermitteln und Behandlungsfehler anderer Einrichtungen oder medizinische Ereignisse nicht zu Lasten des Pflegeheims auszulegen. Daher werden auch beispielsweise Bewohner, die nur zur Kurzzeitpflege aufgenommen wurden und Personen, deren Einzug weniger als 14 Tage zurückliegt, nicht berücksichtigt.
Ablauf der internen Qualitätsprüfung: Beurteilung, Übermittlung und Bewertung
- Die Beurteilung soll diejenige Pflegekraft übernehmen, welche hauptsächlich für den Bewohner zuständig ist.
- Nach der Erhebung werden die Daten pseudonymisiert und elektronisch an die Auswertungsstelle übertragen. Außerdem erfolgt eine Übermittlung der Pflegedokumentation sowie der zugehörigen Protokolle.
- Die Datenauswertungsstelle berechnet aus den übermittelten Informationen die Ergebnisse für die gesamte Einrichtung. Beispielsweise wird bestimmt, welcher Anteil der Bewohner in den letzten sechs Monaten einen Dekubitus entwickelt hat.
- Diese Werte werden anschließend mit dem Bundesdurchschnitt verglichen. Hierbei werden Punkte zwischen eins und fünf vergeben. Sie sollen deutlich machen, ob die Einrichtung dem Durchschnitt entspricht oder besser beziehungsweise schlechter abschneidet. Eine Punktzahl von eins heißt, dass die Einrichtung in diesem Prüfungsbereich weit unter dem Durchschnitt liegt, ein Wert von drei, dass das Pflegeheim dem Durchschnitt entspricht. Die Höchstzahl fünf würde überdurchschnittliche Leistungen anzeigen.
- Damit die Punktwerte eindeutig zuzuordnen sind, wird ein Referenzwert festgelegt, welcher der Punktzahl drei entspricht. Dieser wird wissenschaftlich hergeleitet und ergibt sich aus dem Bundesdurchschnitt aller Einrichtungen.
Bewertung der Versorgungsergebnisse
5 von 5 blauen Kreisen = weit über dem Durchschnitt
4 von 5 blauen Kreisen = leicht über dem Durchschnitt
3 von 5 blauen Kreisen = nahe dem Durchschnitt
2 von 5 blauen Kreisen = leicht unter dem Durchschnitt
1 von 5 blauen Kreisen = weit unter dem Durchschnitt
Externe Qualitätsprüfung (b & c)
Um die Richtigkeit und Gültigkeit der dokumentierten Ergebnisse der Einrichtungen festzustellen, wird zusätzlich eine externe Prüfung vorgenommen. Dies geschieht auf zwei Weisen.
Technische Überprüfung (b)
Hierzu wird zunächst ein datentechnisches Tool benutzt, welches kontrolliert, ob die Ergebnisse glaubhaft sind. Dabei wird zum Beispiel geprüft, ob die Eingaben vom letzten Mal lediglich kopiert wurden oder ob es eine drastische und damit eben unglaubwürdige Verbesserung in einem Bereich gab.
Persönliche Kontrolle (c)
Nach der statistischen Prüfung erfolgt eine persönliche Kontrolle der Einrichtung durch den Prüfdienst, die einen Tag zuvor angekündigt wird. Bei dieser Prüfung wird nicht jeder Bewohner einzeln betrachtet, sondern eine zufällig ausgewählte Stichprobe aus neun Personen beurteilt. Der Prüfdienst schaut unter anderem, ob die Ergebnisse des Pflegeheims zum jetzigen Zustand des Bewohners passen. Die Bewohner müssen hierzu eine Einverständniserklärung unterschreiben. Eine Beurteilung findet dann auf Basis der Pflegedokumentation, dem Gespräch mit Fachkräften sowie den jeweiligen Bewohnern und den Beobachtungen vor Ort statt.
Qualitätsbereiche der indikatorengestützten Qualitätsprüfung von Pflegeeinrichtungen
Bei der MD-Prüfung einer Pflegeeinrichtung wird einerseits die individuelle Versorgung der Bewohner in der Einrichtung geprüft, andererseits die Struktur und Organisation der Einrichtung. Das Hauptaugenmerk liegt dabei jedoch ganz klar auf der Versorgung. Die Prüfung konzentriert sich auf sechs Qualitätsbereiche. Diese Bereiche umfassen insgesamt 24 Qualitätsaspekte und sind als Überbegriffe für einen Themenkomplex zu betrachten. Die Prüfer beurteilen, inwiefern die Bewohner in diesen Bereichen von der Einrichtung unterstützt werden.
1. Qualitätsbereich: Unterstützung bei der Mobilität und Selbstversorgung
Bei diesem Kriterium wird geprüft, inwiefern die Mobilität, die von Positionswechsel innerhalb des Bettes bis hin zur Fortbewegung im Wohnraum reicht, gefördert und erhalten wird. Zudem wird beurteilt, inwiefern die Bewohner in ihrer Selbstversorgung gestärkt werden. Dazu zählt neben der Körper- und Hautpflege, das An- und Auskleiden, die Ernährung und Flüssigkeitsversorgung sowie die Förderung der Kontinenz.
Zugehörige Qualitätsaspekte:
- Unterstützung bei der Ernährung und Flüssigkeitsversorgung
- Unterstützung bei Inkontinenz und Kontinenzförderung
- Unterstützung der Körperpflege
- Unterstützung der Mobilität
2. Qualitätsbereich: Unterstützung bei der Bewältigung von krankheits- und therapiebedingten Anforderungen und Belastungen
In diesem Bereich geht es um die Unterstützung bei der medizinischen Versorgung. Dabei spielt die medikamentöse Therapie, das Schmerzmanagement und die Wundversorgung eine wesentliche Rolle. Bewertet wird aber auch der Umgang mit besonderen medizinischen-pflegerischen Bedarfen sowie die Bewältigung von weiteren therapiebedingten Anforderungen.
Zugehörige Qualitätsaspekte:
- Medikamentöse Therapie
- Schmerzmanagement
- Unterstützung bei besonderen medizinisch-pflegerischen Bedarfslagen
- Unterstützung bei der Bewältigung von sonstigen therapiebedingten Anforderungen
- Wundversorgung
3. Qualitätsbereich: Unterstützung bei der Gestaltung des Alltagslebens und der sozialen Kontakte
Beim dritten Punkt des neuen Prüfverfahrens gilt es zu bewerten, ob der Bewohner bei der Strukturierung seines Tages unterstützt wird und Beschäftigungsangebote erhält. Auch wird geprüft, inwiefern er Hilfe bei der Aufrechterhaltung seiner sozialen Kontakte bekommt.
Zugehörige Qualitätsaspekte:
- Nächtliche Versorgung
- Unterstützung bei der Beschäftigung, Kommunikation und Tagesstrukturierung
- Unterstützung bei der Beeinträchtigung der Sinneswahrnehmung
4. Qualitätsbereich: Unterstützung in besonderen Bedarfs- und Versorgungssituationen
In diesem Qualitätsbereich wird der Umgang mit Bewohnern mit besonderen Bedarfen beurteilt. Dabei geht es zum Beispiel um die Unterstützung bei der Eingewöhnung in die Einrichtung oder die Überleitung ins Pflegeheim nach einem Krankenhausaufenthalt. Zudem geht es darum, wie mit Bewohnern mit herausforderndem Verhalten und psychischen Problemlagen umgegangen wird und in diesem Zusammenhang freiheitsentziehende Maßnahmen eingesetzt werden.
Zugehörige Qualitätsaspekte:
- Freiheitsentziehende Maßnahme
- Unterstützung des Bewohners in der Eingewöhnungsphase nach dem Einzug
- Unterstützung von Bewohnern mit herausforderndem Verhalten und psychischen Problemlagen
- Überleitung nach Krankenhausaufenthalt
5. Qualitätsbereich: Bedarfsübergreifende fachliche Anforderungen
Der fünfte Aspekt setzt sich mit den allgemeinen beruflichen Kompetenzen der Pflegekräfte auseinander. Dabei geht es vor allem darum zu bewerten, inwiefern diese in der Lage sind, Risiken und Gefährdungen abzuwehren und Persönlichkeitsrechte zu schützen. Zudem wird die Einhaltung von Hygienevorschriften und der Einsatz von Hilfsmittel geprüft.
Zugehörige Qualitätsaspekte:
- Abwehr von Gefahren und Risiken
- Biografieorientierte Unterstützung
- Einhaltung von Hygienemaßnahmen
- Versorgung mit Hilfsmitteln
- Schutz von Persönlichkeitsrechten und Unversehrtheit
6. Qualitätsbereich: Organisationsaspekte und internes Qualitätsmanagement
Der Qualitätsbereich setzt sich vor allem mit der Struktur und Organisation der Einrichtung auseinander. Hierbei wird bewertet, welche Qualifikation die Pflegedienstleistung vorweist und welche Aufgaben sie wahrnimmt. Der Medizinische Dienst prüft zudem, welche Maßnahmen ergriffen werden, um die Qualität zu erhalten bzw. um Mängeln vorzubeugen. Mit dem sechsten Bereich wird zudem überprüft, inwiefern sterbende Bewohner und deren Angehörige betreut und begleitet werden.
Zugehörige Qualitätsaspekte:
- Begleitung sterbender Bewohner und ihrer Angehörigen
- Maßnahmen zur Vermeidung und zur Behebung von Qualitätsdefiziten
- Qualifikation und Aufgabenwahrnehmung der Pflegedienstleitung
Jeder Qualitätsaspekt wird hierbei einzeln bewertet und in eine von vier Kategorien (A bis D) eingestuft. Dabei wird beurteilt, ob es Defizite in der Versorgung gibt und inwiefern diese Risiken für den Bewohner darstellen oder ob daraus bereits negative Folgen resultiert sind.
A) Keine Auffälligkeiten oder Defizite
B) Auffälligkeiten ohne Risiken oder negative Folgen für den Bewohner
C) Defizit mit Risiko negativer Folgen für den Bewohner
D) Defizit mit eingetretenen negativen Folgen für den Bewohner
Die Einzelbewertungen der Aspekte eines Qualitätsbereichs werden anschließend zusammengeführt und eine Gesamteinschätzung für den Bereich gebildet. Dabei werden die Bereiche abhängig von der Anzahl an C- beziehungsweise D-Defiziten eingestuft.
Bewertung durch die Qualitätsprüfer:
- Keine beziehungsweise geringe Qualitätsdefizite
- Moderate Qualitätsdefizite
- Erhebliche Qualitätsdefizite
- Schwerwiegende Qualitätsdefizite
Transparenzbericht für die Pflege
Am Ende jeder externen Prüfung einer Einrichtung steht das Abschlussgespräch. In diesem bespricht der Prüfer die Ergebnisse der Altenheim-Bewertung mit der Heimleitung sowie den Pflegefachkräften. Somit erhalten diese in Form des Pflegetransparenzsystems klare Auskünfte über Schwachstellen in der aktuellen Versorgung in Form und werden über mögliche Verbesserungsmaßnahmen beraten.
Die Gesamtbeurteilung und Vergabe der Pflegenote erfolgt nach dem Prüfbesuch des Medizinischen Dienst.
Final wird die Pflege-Einrichtung nach dem 3-Säulen-System beurteilt
- Externe Qualitätsprüfung
- Interne Erhebung mit Qualitätsindikatoren sowie einrichtungsbezogene Informationen wie die Option zum Probewohnen, der Personalbestand oder die Erreichbarkeit der Einrichtung.
- Der finale Prüfbericht schlüsselt dann die Ergebnisse der externen sowie internen Prüfung einzeln auf. Die Versorgungsergebnisse der Einrichtungen werden dabei mithilfe von blauen Punkten und die Resultate des Prüfdienstes mit brauen Kästen dargestellt, um eine bessere Unterscheidbarkeit zu gewährleisten.