Multiple Sklerose (MS): Krankheitsverlauf
Alle Betroffenen wollen natürlich wissen: Was passiert bei Multipler Sklerose? In 95 Prozent aller Fälle kommt es zu einem relativ gutartigen MS-Verlauf. Der wird umso wahrscheinlicher, je länger die MS stabil bleibt, sich also keine großen Schübe zeigen.
Die Entzündungsherde in Gehirn und Rückenmark, die das Krankheitsbild der Multiplen Sklerose prägen, bilden sich in vielen Fällen wieder vollständig zurück. Es bleiben allerdings oft Narben (Läsionen), die sich in Röntgen- oder MRT-Bildern zeigen.
Drei MS-Verlaufsformen lassen sich unterscheiden:
- Schubförmiger Verlauf (schubförmig remittierende MS)
Die Symptome setzen plötzlich über Tage oder Wochen ein, können mit Kortisontherapie behandelt werden. Dann folgen wieder beschwerdefreie Intervalle über Monate und sogar Jahre. - Primär chronisch-progredienter (schleichend-fortschreitender) Verlauf
Die Einschränkungen nehmen zu, ohne dass sich klar abgrenzbare Schübe zeigen.
Eine schleichende MS tritt häufiger bei älteren Erstbetroffenen (ab dem 40. Lebensjahr) auf. - Sekundär chronisch-progredienter Verlauf
Die Einschränkungen bilden sich nicht vollständig zurück, sondern nehmen von Schub zu Schub weiter zu.
Ein typisches Multiple Sklerose-Endstadium gibt es nicht, da die MS unterschiedliche Verläufe haben kann. Die Verlaufsformen von MS sind in jedem Fall höchst individuell. Damit sind auch die MS-Stadien i. d. R. bei jedem Erkrankten anders. Es gibt aber eine Reihe von sog. Prognose-Faktoren, die für einen eher günstigen (leichten) bzw. einen eher ungünstigen (schweren) Verlauf einer Multiplen Sklerose sprechen:
Prognose-Faktoren, die eher für einen günstigen Verlauf einer MS sprechen:
- Nur ein Symptom am Anfang (entweder Kribbeln oder Taubheitsgefühle oder Sehstörungen) des Krankheitsverlaufs der MS
- Kurze Dauer des Symptoms und gute Rückbildung nach dem MS-Schub
- Lange Intervalle zwischen den Schüben
- Niedriger Behinderungsgrad nach fünf Jahren Krankheitsdauer
- Keine Lähmungen oder Gleichgewichtsstörungen
- Erkrankungsbeginn vor dem 35. Lebensjahr
Eher ungünstige Prognose-Faktoren sind:
- Mehrere Beschwerden zu Beginn der MS (u. a., wenn sie auf eine Entzündung im Kleinhirn oder Rückenmark hinweisen, etwa Gangstörungen, Zittern der Arme oder Beine, Bewegungs- und Sprachstörungen, Muskelkrämpfe oder -steifigkeit)
- Lang andauernde Schübe mit schlechter Rückbildung der Symptome sprechen für einen schweren Verlauf der MS
- Erkennbare Entzündungen und Narben (Läsionen) im MRT-Bild
MS-Schub
Ein MS-Schub tritt zu Beginn der Erkrankung bei nahezu allen Betroffenen (rund 90 Prozent) auf. Schübe sind durch viele Symptome gekennzeichnet. Je nachdem, wo eine Entzündung auftritt, sind die Anzeichen für einen Schub ganz unterschiedlich.
Einen MS-Schub zu erkennen ist gar nicht so einfach. Deshalb ist es hilfreich, sich mit den möglichen Erscheinungsformen oder Symptomen eines MS-Schubs auseinanderzusetzen. Mal ist die Bewegungsfähigkeit bestimmter Körperregionen beeinträchtigt, z. B. der Arme oder der Beine oder die Blasen- oder Darmfunktion (Inkontinenz), das Sehen oder das Sprechen sind eingeschränkt. Manchmal entwickeln sich die Einschränkungen recht plötzlich, manchmal beginnen sie schleichend und nehmen dann allmählich an Stärke zu.
MS-Schub: Dauer
Die Dauer eines Multiple Sklerose-Schubs variiert zwischen einigen Stunden, Tagen oder Wochen. Danach klingen die Beschwerden langsam ab. Manchmal verschwinden die Schub-Symptome von allein, manchmal nur mit Hilfe von Medikamenten.
Gibt es eine MS ohne Schübe?
Rund ein Drittel der Betroffenen hat nach 10 bis 15 Jahren keine Schübe mehr. Es besteht dann also keine schubförmige (genauer „schubförmig remittierende“) MS mehr, sondern die Krankheit nimmt einen sog. sekundär chronisch-progredienten Verlauf an, bei der die Schübe im weiteren Lauf weniger werden. Nur zehn Prozent der Betroffenen haben von Anfang an eine langsam fortschreitende Verschlechterung (primär chronisch-progredient), sodass die MS ohne Schübe verläuft.

Verlaufsformen von Multiple Sklerose. Grafik: pflege.de
Multiple Sklerose: Lebenserwartung
Eine Multiple Sklerose (MS) verkürzt die Lebenserwartung kaum. Eine Studie aus Kanada wies nach, dass MS-Erkrankte durchschnittlich zwischen 74 Jahren (Männer) und 79 Jahre (Frauen) alt werden. Das ist nur unwesentlich weniger als die Lebenserwartung gesunder Menschen, die zwischen 78 Jahren (Männer) und 83 Jahren (Frauen) liegt. Zudem sind all dies statistische Werte; sie haben also für die einzelne Person nur eine begrenzte Aussagekraft.
Eine MS ist nicht generell tödlich. Es sind eher Komplikationen wie Lungenentzündungen oder schwere Harnwegsinfekte, die zum Tod führen können.
Heilung: Ist eine MS heilbar?
Eine Multiple Sklerose ist derzeit nicht heilbar. Da die Ursache der Entzündungen bislang nicht geklärt ist, gibt es lediglich die Möglichkeit, die Symptome zu behandeln – doch die Behandlung von MS-Symptomen kann gute Ergebnisse erzielen und oft dazu führen, dass die Patienten möglichst beschwerdefrei leben.
MS: Therapie & Behandlung
Eine MS ist auch mit Therapien nicht heilbar. Die Behandlung dient dazu, die Beschwerden der Krankheit möglichst weit einzudämmen. Bei der MS-Behandlung wird auf vier große Ziele gesetzt:
- Hemmung der akuten Entzündungsreaktion (Schubtherapie)
- Verlängerung der schubfreien/-armen Zeit (Verlaufsmodifizierende Therapie)
- Linderung der Symptome (Symptomatische Therapie)
- Vermeidung möglicher Komplikationen (Symptomatische Therapie)
Diese therapeutischen Ziele werden normalerweise miteinander kombiniert, individuell auf den Patienten zugeschnitten und ständig – abhängig vom Krankheitsbild – modifiziert.
Mehrere Behandlungsmethoden haben sich als symptomlindernd bei der MS-Behandlung herausgestellt:
- Schubtherapie
Für die Schubtherapie stehen vor allem Kortisonpräparate zur Verfügung, die die Entzündungen eindämmen sollen. Im akuten Schub werden sie über drei bis fünf Tage als Infusion verabreicht (Hochdosis-Schubtherapie). Sie gelten als gut verträglich. Dennoch können in Einzelfällen Magenprobleme, Schlafstörungen oder eine Erhöhung des Blutzuckers und des Blutdrucks auftreten.
Bleiben die Symptome auch nach mehreren Tagen bestehen, kann die Therapie (mit höherer Dosis) wiederholt werden.
- Blutwäsche (Plasmapharese)
In vielen Fällen wird auf eine sog. Blutwäsche ausgewichen (Plasmapharese), bei der Blut entnommen, gereinigt und wieder in den Körper zurückgeleitet wird. In rund der Hälfte der Fälle hat sich die Blutwäsche als Therapie bei MS als hilfreich erwiesen.
Die Plasmapharese ist nur in speziellen Zentren möglich und wird auch nur bei schweren akuten Schüben durchgeführt. Bei dieser Blutwäsche werden Eiweiße aus dem Blut entfernt – was wiederum die Infektanfälligkeit der Patienten erhöht.
- Blutwäsche (Immunadsorption)
Nebenwirkungsärmer ist eine spezielle Form der Blutwäsche, die sog. Immunadsorption, bei der das Blut in Plasma (Blutflüssigkeit) und Blutzellen getrennt wird. Nur das Plasma wird gereinigt, mit den Blutzellen wiedervereinigt und dem Körper zurückgegeben.
Diese Form der Behandlung eröffnet neue Perspektiven bspw. bei schweren Schüben, die nicht auf eine Cortisontherapie ansprechen. Die Therapie erfolgt stationär und dauert ca. 1-2 Wochen. Dabei wird etwa jeden zweiten Tag eine Behandlung von etwa 3 Stunden Dauer durchgeführt. In der Regel sind es insgesamt 5-6 Behandlungen.
- Immunstärkende Präparate
Es gibt eine Reihe von Medikamenten, die das Immunsystem stärken und Entzündungen vorbeugen sollen. Diese haben allerdings zum Teil schwere Nebenwirkungen. Sie können die Infektanfälligkeit erhöhen, Schmerzen in Kopf und/oder Rücken verursachen, die Leber schädigen und das Blutbild verändern.
Viele Medikamente stammen ursprünglich aus der Krebstherapie und ihre Anwendung erfordert einen versierten Experten und eine engmaschige Überwachung des Patienten.
MS & Homöopathie
Viele MS-Betroffene greifen zu homöopathischen Mitteln, um Beschwerden und Symptome zu lindern, z. B. Johanniskraut bei depressiven Verstimmungen oder Mistelpräparate, die auf das Nervensystem wirken.
MS-Forschung
Die Forschung an den Ursachen und der Behandlung von MS beschäftigt Experten schon lange. Obwohl ein Heilmittel bislang noch nicht gefunden wurde, können Mediziner die Krankheit Multiple Sklerose dank neuester Diagnoseverfahren heute sehr viel früher diagnostizieren und auch effektiver behandeln.
Kompetenznetz MS
Die Wissenschaft hat die Krankheit Multiple Sklerose mittlerweile ganz für sich entdeckt. Aus dem Forschungsinteresse entwickelte sich ein großes Kompetenznetzwerk für Multiple Sklerose. Die Krankheit wird mittlerweile von der Multiple Sklerose-Forschung aus vielen Blickwinkeln betrachtet. Alle Aspekte der Krankheit werden stark erforscht, von der Ursachenforschung über Diagnoseverfahren bis hin zu den optimalen Therapien und der Möglichkeit, entzündliche Formen der MS einzudämmen.
So beschäftigen sich nicht nur Neurologen und Immunologen mit MS, sondern es werden auch Ergo- und Physiotherapeuten miteinbezogen und neue Berufsbilder wie die MS-Schwester bzw. der MS-Pfleger sind jüngst entstanden.
Multiple Sklerose: Erfahrungsberichte
Die Multiple Sklerose macht Angst. Sie verunsichert, weil kein Betroffener jemals wirklich sicher sein kann, dass keine Schübe mehr auftreten oder dass die Krankheit gar zum Stillstand gekommen ist. Je länger die Krankheit stabil bleibt – sich also nicht verschlechtert – umso günstiger ist die Prognose.
Doch all das ist Statistik und was im Allgemeinen zutreffend sein mag, muss nicht auch im Einzelfall stimmen. Mit dieser Unsicherheit müssen alle Menschen, die an MS erkrankt sind, leben. Sie alle wissen, dass sie zwar abends mit einem guten Allgemeingefühl zu Bett gehen können, aber damit rechnen müssen, dass sie am nächsten Morgen aufwachen und Sehstörungen oder Lähmungen haben können.
Leben mit MS
Hierzulande erkranken immer mehr Menschen an MS. Die Krankheit ist ein Lebensbegleiter, den sich niemand wünscht, mit dem aber immerhin rund 250.000 Menschen in Deutschland bzw. 2,5 Millionen Menschen auf der ganzen Welt leben müssen. Und das kann auch gelingen.
Ein Leben mit MS kann durchaus lebenswert sein. Vorausgesetzt, die Betroffenen nehmen ihre Erkrankung an und gestalten ihr Leben mit der MS statt gegen sie. Dazu gehört:
- Beeinträchtigungen annehmen
Beeinträchtigungen annehmen, aber nicht zum Hauptinhalt des Lebens zu machen: Wenn das Gehen mal schwerfällt, ist Radeln vielleicht leichter. Fällt das Schalten beim Autofahren schwer, weil die Arme schwach sind, so kann ein Automatikwagen durchaus eine gute Alternative sein. - Belastungsgrenzen anerkennen
Die körperlichen Belastungsgrenzen anerkennen und z. B. das Sportprogramm so dosieren, dass Sie Ihre Leistungsfähigkeit nicht überschreiten. Generell sind Ihren Vorlieben beim Sport keine Grenzen gesetzt. Ob Sie nun Wassergymnastik bevorzugen oder Klettern im Hochgebirge. Evtl. lernen Sie auch während einer Reha-Maßnahme noch neue Sportarten kennen, z. B. Geräte- oder Balancetraining, die Ihnen viel Spaß machen können. - Ernährung anpassen
Ihre Ernährung können Sie auf Ihre Erkrankung abstimmen: Es gibt zwar keine spezielle MS-Diät, aber eine Fülle von Empfehlungen, z. B. eine vegane Ernährungsweise, eine antientzündliche Diät oder auch eine Ernährung, bei der möglichst wenig Kohlehydrate (low carb), aber viele Proteine aufgenommen werden. Vitamin D – so sagen es Experten – sollte immer zur Ernährung gehören, evtl. auch als Zusatzpräparat, wenn Ihr Arzt das für sinnvoll hält.
Bei unter 5 Prozent der MS-Erkrankten kommt es im Verlauf der Krankheit zu einer sehr schweren Behinderung. Diese Menschen erhalten normalerweise einen Pflegegrad und bekommen damit Anspruch auf viele Unterstützungsleistungen. Dazu kann z. B. der Einbau von barrierefreien Türen oder verschiedene Hilfsmittel aus dem Hilfsmittelverzeichnis zählen. Es lohnt sich in jedem Fall, den Pflegegradrechner einmal auszuprobieren.
MS: Hilfe & Selbsthilfe
Es gibt mittlerweile viele MS-Selbsthilfegruppen für an MS erkrankte Menschen. Die MS-Selbsthilfe gibt Betroffenen Halt und ermöglicht den Austausch untereinander. Das erhöht die Lebensqualität immens. MS-Selbsthilfegruppen gibt es auch für Angehörige.
Wer im Internet nach den Stichwörtern „MS“ und „Hilfe“ sucht, kann unter mehr als 36 Millionen Ergebnissen wählen. Die zwei wichtigsten Ansprechpartner im deutschsprachigen Raum sind:
- Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG)
Hier können Sie wichtige Adressen in Erfahrung bringen, z.B. von zertifizierten MS-Zentren, Landesverbänden und auch von Foren (Mitglieder- und Expertenforen) und Selbsthilfegruppen vor Ort. - Kompetenznetz Multiple Sklerose
Hier geht um den aktuellen Forschungsstand, Leitlinien zur MS und generelle Fachinformationen zur Krankheit.